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07.04.2025 21:00

ISTA-Forschende: Antibiotikaresistenz eher Hilfsfunktion bei Darmbakterien

Andreas Rothe Communications, Events and Science Education
Institute of Science and Technology Austria

    Könnte ein regulatorisches Netzwerk von Genen in Darmmikroben seine ausgeklügelten und streng regulierten molekularen Maschinen nur entwickelt haben, um wahllos Antibiotika herauszupumpen? Forschende des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) zeigen, dass dies eine Hilfsfunktion ist. Indem die genetische Aktivität auf einem Grundniveau gehalten wird, wenn das Netzwerk im AUS-Zustand ist, stellen diese Gene sicher, dass die Bakterien fit und anpassungsfähig an ihre hochvariable Umgebung im Darm bleiben. Die Ergebnisse wurden in PNAS veröffentlicht.

    Dies ist die Geschichte einer Fehlbezeichnung. Und zwar von immensen und komplizierten molekularen Maschinen, die wie eine Schweizer Uhr streng reguliert sind. Oder etwa nicht? Das mar-Netzwerk von Genen wurde im Zusammenhang mit multipler Antibiotikaresistenz (Englisch, „multiple antibiotic resistance“) entdeckt und benannt. Gleichzeitig ist es eines der komplexesten Genregulationsnetzwerke, die bisher bei Darmbakterien bekannt sind, und zeichnet sich durch ein kompliziertes Zusammenspiel von Genen aus, die es ein- oder ausschalten. Darüber hinaus zeigt es eine pulsierende Genfunktion, wenn es angeblich ausgeschaltet ist. Wie konnte also ein solches High-Tech-Stück molekularer Technik in einem gewöhnlichen Organismus entstehen, und warum ‚leckt‘ es trotz strenger Regulierung?

    Ein Team von Forscher:innen am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) unter der Leitung der ehemaligen Postdoktorandin Kirti Jain und Professor Calin Guet wies eine überraschende Schlüsselfunktion für das mar-System nach – wenn das Gennetzwerk eigentlich ausgeschaltet sein sollte. Seine Impulse überschneiden sich in etwa mit den Fütterungszyklen der Wirte und helfen so den Mikroben zu wachsen und sich an ihre sich ständig verändernde Umgebung im Darm anzupassen. „Uns ist kein anderer Mechanismus bekannt, der auf den AUS-Zustand selektiert wurde“, sagt Guet und hebt den überraschenden Aspekt der Ergebnisse hervor.

    Undichte Aktivität oder funktionale Relevanz?

    Das mar-System ist bei dem Darmbakterium Escherichia coli gut untersucht, zweifellos aufgrund seiner Rolle bei der multiplen Antibiotikaresistenz, von der es seinen Namen ableitet. Doch obwohl es streng reguliert ist, weist es in seinem AUS-Zustand immer noch ein messbares Maß an pulsierender Expression auf. „Diese Beobachtung scheint nicht intuitiv zu sein“, sagt Jain, die Erstautorin der Studie. “Wenn sich das mar-System unter starkem Selektionsdruck entwickelt hat, um streng kontrolliert zu werden, warum lässt es dann immer noch eine geringe basale Expression zu? Sollte es nicht sicherstellen, dass die nachgeschalteten Zielgene nur bei Bedarf aktiviert werden? Könnte diese basale Expression eine adaptive Rolle spielen oder eine funktionale Relevanz haben?“ Dieses Paradoxon motivierte Jain, Guet und ihre Mitarbeiter:innen am ISTA, sich mit diesen grundlegenden Fragen zur Evolution und Funktion der basalen Genexpression im mar-System zu befassen.

    Strenge Regulierung und ein seltenes „Start“-Signal

    Insbesondere im Zusammenhang mit der Genregulation wird die basale Genexpression oft übersehen. Dies liegt daran, dass der Fokus eher auf den EIN- oder AUS-Zuständen genetischer Netzwerke liegt als auf den Nuancen der niedrigen Expression. „Bei meiner Arbeit am mar-System habe ich seinen komplexen Regulationsmechanismus schätzen gelernt. Besonders interessant fand ich, dass seine am meisten untersuchte Funktion, die Antibiotikaresistenz, nur ein Aspekt dieses ausgeklügelten molekularen Uhrwerks ist“, sagt Jain. Zusammen mit Guet, Senior Staff Scientist Robert Hauschild, Professor Gašper Tkačik und anderen Kollegen am ISTA machte sie sich daher daran, die Funktion des mar-Systems über Antibiotika hinaus zu verstehen.

    Ein einzigartiger Aspekt des mar-Systems ist das erste Transkriptions-Startsignal, das es trägt, der Code, der die genetische Aktivität in Gang setzt. Dieses sogenannte „Startcodon“ hat einen ungewöhnlichen GTG-Code (Guanin-Thymin-Guanin), der in der DNA von Bakterien und anderen Organismen seltener vorkommt. Dieser ungewöhnliche Code ist jedoch bei allen Darmmikroben neben E. coli am Anfang ihrer mar-Systeme erhalten. Da das Team vermutete, dass dieses ungewöhnliche Startcodon eine Rolle bei der pulsierenden Aktivität des mar-Systems im AUS-Zustand spielt, mutierten die Forscher:innen es zu anderen Startcodon-Sequenzen. Dabei stellten sie fest, dass diese scheinbar triviale genetische Veränderung die Expression des mar-Systems erheblich veränderte und sie deutlich erhöhte oder verringerte. Andererseits sorgte das seltene Startcodon in den natürlich vorkommenden Bakterien dafür, dass die Expressionspulse in etwa den Mustern der Nahrungsaufnahme des Wirts entsprachen. Diese Impulse genetischer Aktivität im AUS-Zustand halfen den Darmmikroben, ihr Wachstum an ihre sich verändernde Umgebung anzupassen, indem sie diejenigen verdrängten, die nicht pulsierten. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Wahl verschiedener Startcodons ein äußerst effektiver genetischer Regler für die Feinabstimmung der Dynamik komplexer genregulatorischer Netzwerke sein kann“, sagt Jain.

    Pumpen und Hilfsfunktionen

    Nachdem die Wissenschafter:innen den molekularen Mechanismus identifiziert hatten, der dem mar-System wahrscheinlich einen evolutionären Fitnessvorteil verschafft hat, argumentierten sie, dass sich dadurch Hilfsfunktionen entwickeln konnten. Zu diesen Hilfsfunktionen gehört die Aktivierung riesiger und ausgeklügelter molekularer „Pumpen“, um Antibiotika aus Darmbakterien herauszuspülen. Frühere Berichte deuteten darauf hin, dass sich diese Pumpen wahrscheinlich als Schutzmechanismus entwickelt haben, um vom Wirt aufgenommene Giftstoffe auszuleiten. Tatsächlich sind diese Pumpen in ihrer Wirkung nicht sehr selektiv, da sie eine weit verbreitete Molekülstruktur erkennen, die in vielen organischen Molekülen vorkommt. Eine solche Funktion aufrechtzuerhalten, ist für die Mikroben sehr ‚kostspielig‘. Daher wäre es für die Ressourcen der Darmbakterien, d. h. für ihre Fitness und ihr Überleben, schädlich, wenn dies die Hauptfunktion des mar-Systems wäre.

    Die vorliegende Studie wirft ein neues Licht auf die Systeme, die die Antibiotikaresistenz steuern, und könnte Wissenschafter:innen somit bei der Entwicklung neuer therapeutischer Strategien für wirksame Maßnahmen im Public-Health-Bereich unterstützen. Darüber hinaus unterstützt sie die bereits früh nach der Entdeckung des mar-Systems geäußerte Vermutung, dass es ein Förderer von „multiple adaptational responses“ (übersetzt, „multiple Anpassungsreaktionen“) sei. So wäre diese Funktion geeigneter als die multiple Antibiotikaresistenz für die Benennung des mar-Systems. „Als wichtigste Erkenntnis aus diesem Projekt möchte ich hervorheben, wie entscheidend es ist, grundlegende, aber übersehene Fragen zu stellen und Beobachtungen im Lichte technologischer Fortschritte neu zu untersuchen“, sagt Jain. „Ich bin froh, dass Calin mir die Möglichkeit gegeben hat, solche Fragen zu untersuchen, und mich und das Projekt trotz aller Widrigkeiten unterstützt hat. Außerdem haben Robert und Gašper mit ihrem interdisziplinären Fachwissen meine Herangehensweise an die Analyse verändert. Solche Kooperationen unterstreichen die vielfältige und interdisziplinäre Forschung am ISTA.“

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    Projektförderung:
    Dieses Projekt wurde durch Mittel aus dem Stipendium IC1006FELL02 des Institute of Science and Technology Austria (ISTA), der Chan Zuckerberg Initiative und dem Donor advised-Fund Grant 2020-225401 (10.37921/120055ratwvi) sowie den Grants ESP253-B, 10.55776/ESP219 und I5127-B finanziert.


    Originalpublikation:

    K. Jain, R. Hauschild, O. O. Bochkareva, R. Roemhild, G. Tkačik, and C. C. Guet. 2025. Pulsatile basal gene expression as a fitness determinant in bacteria. PNAS. DOI: https://doi.org/10.1073/pnas.2413709122


    Weitere Informationen:

    https://ista.ac.at/de/forschung/guet-gruppe/ Forschungsgruppe "System- und synthetische Biologie genetischer Netzwerke" am ISTA


    Bilder

    Die Erstautorin Kirti Jain, ehemalige Postdoktorandin am ISTA.
    Die Erstautorin Kirti Jain, ehemalige Postdoktorandin am ISTA.

    © Privat

    Pulsierende Gene und Nuancen in der Genexpression. Unterschiede in der pulsierenden Aktivität des mar-Systems, die mithilfe von Fluoreszenz in verschiedenen gentechnisch veränderten E. coli-Bakterien nachgewiesen wurden.
    Pulsierende Gene und Nuancen in der Genexpression. Unterschiede in der pulsierenden Aktivität des ma ...

    © Guet Gruppe | ISTA


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Die Erstautorin Kirti Jain, ehemalige Postdoktorandin am ISTA.


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    Pulsierende Gene und Nuancen in der Genexpression. Unterschiede in der pulsierenden Aktivität des mar-Systems, die mithilfe von Fluoreszenz in verschiedenen gentechnisch veränderten E. coli-Bakterien nachgewiesen wurden.


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