Quallen gehören zu den ältesten Tieren der Erde, kommen in allen Ozeanen vor und sind wertvolle Modellsysteme für die biologische Forschung. Mikrobiologinnen der Uni Kiel haben jetzt nachgewiesen, dass die asexuelle Fortpflanzung der Ohrenqualle maßgeblich durch bakterielle Produkte gesteuert wird. Dabei spielt Beta-Carotin, das von Mikroben im natürlichen Mikrobiom der Qualle produziert wird, eine Schlüsselrolle. Fehlen diese Mikroorganismen kommt der so genannte Strobilationsprozess - die Verwandlung des Polypen bis hin zu jungen Medusen – zum Stillstand. Die Folge sind Entwicklungsstörungen und eine stark reduzierte Fortpflanzung. Ihre Ergebnisse wurden im Journal iScience veröffentlicht.
Mikrobiom als zentraler Faktor im Lebenszyklus von Quallen
Das Mikrobiom, also die Gemeinschaft der Bakterien, die in und auf einem vielzelligen Organismus leben, spielt eine entscheidende Rolle für die Fitness und Gesundheit vieler Meerestiere. Die Ohrenqualle besitzt ein besonders vielseitiges Mikrobiom, das sich an unterschiedliche Umweltbedingungen anpassen kann und den Übergang zwischen verschiedenen Lebensstadien beeinflusst. Der mehrstufige Lebenszyklus der Ohrenqualle beginnt mit winzigen Larven, die sich auf festem Untergrund ansiedeln und zu festsitzenden Polypen heranwachsen. In der so genannten Strobilation entstehen aus dem Polypen schwimmende Vorstufen von Quallen (Ephyren), die sich zu frei schwimmenden ausgewachsenen Medusen, entwickeln – ein komplexer asexueller Reproduktionsprozess. Die Forschenden konnten zeigen, dass dieser Entwicklungsprozess entscheidend vom Mikrobiom beeinflusst wird.
„Unsere Ergebnisse belegen, dass nicht nur Umweltfaktoren wie Temperatur oder Salzgehalt eine Rolle spielen, sondern dass das natürliche Mikrobiom der Qualle wesentlich für ihre Fortpflanzung ist. Der Einfluss der Mikroben ist besonders wichtig, bevor die Strobilation einsetzt“, sagt Erstautorin Dr. Nadin Jensen, die zu diesem Thema in der Arbeitsgruppe von Professorin Ruth Schmitz-Streit am Institut für Allgemeine Mikrobiologie der CAU promoviert hat.
Beta-Carotin als Schlüssel zur Metamorphose
Die Strobilation, die Umwandlung vom Polypen zu frei schwimmenden Quallen, ist ein komplexer Prozess: Bakterien im Polypen produzieren zunächst Beta-Carotin, ein Provitamin. Dieses wird im Körper der Qualle in mehrere Produkte umgewandelt – darunter Retinsäure (9-cis-Retinsäure). Sie wirkt als biologisches Signal, das zentrale Gene für die Strobilation aktiviert und so die Metamorphose einleitet. „Ohne das natürliche Mikrobiom entwickeln die Polypen auffällige Fehlbildungen. Sie segmentieren sich nur unvollständig und setzen kaum Ephyren frei,“ erklärt Professorin Ruth Schmitz-Streit, Leiterin der CAU-Arbeitsgruppe Molekularbiologie der Mikroorganismen am Institut für Allgemeine Mikrobiologie (IfAM).
In Laborexperimenten zeigten sterile Polypen, denen das natürliche Mikrobiom fehlte, deutliche Entwicklungsstörungen wie verkürzte Körper, deformierte Segmente, fehlende Tentakeln und eine geringe Freisetzung von Ephyren. Gaben die Forschenden jedoch Beta-Carotin oder 9-cis-Retinsäure in das Umgebungswasser hinzu, konnten die Defekte der Polypen vollständig behoben werden. Umgekehrt konnten die Forschenden den Retinsäure-Signalweg durch bestimmte Hemmstoffe gezielt blockieren und so die Metamorphose verhindern. Auch bei gesunden Polypen mit natürlichem Mikrobiom wurde dadurch die Metamorphose gestört. Die Forschenden, die die aktiven bakteriellen Gene ausschließlich im natürlichen Mikrobiom und nicht im Wirt nachwiesen, konnten damit zeigen, dass das natürliche Mikrobiom den Prozess steuert, die Qualle selbst kann kein Beta-Carotin produzieren.
„Unsere Experimente bestätigen, dass der Retinsäure-Signalweg entscheidend für die Strobilation der Qualle ist. Ohne ihn bleibt der Polyp in einem frühen Entwicklungsstadium stecken,“ sagt Dr. Nadin Jensen. „Allerdings stehen wir mit unseren Untersuchungen noch am Anfang unserer Forschung. Wir konnten bisher noch nicht die genaue Konzentration des Beta-Carotins bestimmen und haben uns zunächst auf vier Schlüsselgene konzentriert.“
Einblicke in die Anpassungsmechanismen mariner Organismen
Die neue Studie zeigt, wie eng die Entwicklung eines marinen Organismus mit seinen bakteriellen Partnern verknüpft ist. Fehlt das natürliche Mikrobiom, können zentrale Entwicklungsprozesse nicht vollständig ablaufen. Die neuen Erkenntnisse helfen dabei nicht nur, das Wachstum von Quallen besser zu verstehen, sondern liefern auch Einblicke in die Anpassungsfähigkeit von Meereslebewesen. Die Erkenntnisse können darüber hinaus helfen, Phänomene wie Quallenblüten in den Weltmeeren besser zu erklären. „Quallen sind ein wichtiger Bestandteil mariner Ökosysteme und haben eine bemerkenswerte Anpassungsfähigkeit an veränderte Umweltbedingungen. Ein besseres Verständnis ihrer Fortpflanzung könnte dazu beitragen, ihre Verbreitung in den Ozeanen besser zu verstehen und zukünftig vielleicht. auch entgegenzusteuern,“ resümiert Mikrobiologin Schmitz-Streit.
Die Forschungsergebnisse sind im DFG geförderten Sonderforschungsbereiches (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ entstanden.
Prof. Dr. Ruth Schmitz-Streit
Institut für Allgemeine Mikrobiologie
Arbeitsgruppe Molekularbiologie der Mikroorganismen
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
E-Mail: rschmitz@ifam.uni-kiel.de
Nadin Jensen, Nancy Weiland-Bräuer, Cynthia Maria Chibani, Ruth Anne Schmitz, Microbiota-derived β carotene is required for strobilation of Aurelia aurita by impacting host retinoic acid signaling, iScience, Volume 28, Issue 2, 2025, 111729, ISSN 2589-0042, https://doi.org/10.1016/j.isci.2024.111729
http://Arbeitsgruppe Molekularbiologie der Mikroorganismen, https://www.mikrobio.uni-kiel.de/de/ag-schmitz-streit
http://Sonderforschungsbereich (SFB) 1182 „Entstehen und Funktionieren von Metaorganismen“ an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), https://www.metaorganism-research.com
http://Über das Teilprojekt B2 unter Leitung von Prof. Dr. Ruth Schmitz-Streit, https://www.metaorganism-research.com/project-groups/b2/
Erstautorin Dr. Nadin Jensen beobachtet unter dem Mikroskop wie sich die Polypen entwickeln. Ohne ih ...
Luisa Göthel
Uni Kiel
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Meer / Klima
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
Erstautorin Dr. Nadin Jensen beobachtet unter dem Mikroskop wie sich die Polypen entwickeln. Ohne ih ...
Luisa Göthel
Uni Kiel
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