Analysen alter DNA stellen unser bisheriges Verständnis der phönizisch-punischen Zivilisation in Frage. Ein internationales Forschungsteam hat Genomdaten von 210 Menschen aus der Antike analysiert und entdeckt, dass die phönizischen Städte in der Levante trotz enger kultureller, wirtschaftlicher und sprachlicher Verflechtungen nur wenig genetischen Einfluss auf die punische Bevölkerung im zentralen und westlichen Mittelmeerraum hatten.
Auf den Punkt gebracht
- Erfolgsgeheimnis der phönizisch-punischen Zivilisation: Die einflußreiche Kultur verbreitete sich im Mittelmeerraum nicht durch Massenmigration, sondern primär durch kulturellen Transfer und Assimilation.
- Schmelztiegel verschiedener Kulturen: Die Studie fand heraus, dass die punische Bevölkerung ein hochgradig variables und heterogenes genetisches Profil aufwies, mit signifikanten Anteilen nordafrikanischer und vor allem sizilianisch-ägäischer Abstammung.
- Enge Verbindung: Die antiken phoenizisch-punischen Gesellschaften des Mittelmeerraums waren kosmopolitisch. Menschen aus verschiedenen Regionen trieben Handel, migrierten oft über große Distanzen und vermischten sich.
Die phönizische Kultur entstand in den Stadtstaaten der Levante in der Bronzezeit und brachte bedeutende Innovationen hervor, etwa das erste Alphabet, von dem viele heutige Schriftsysteme direkt abstammen. Bis zum Beginn des ersten Jahrtausends v. Chr. hatten die phönizischen Städte ein ausgedehntes maritimes Netzwerk von Handelsposten bis nach Iberia aufgebaut und ihre Kultur, Religion und Sprache im gesamten zentralen und westlichen Mittelmeerraum verbreitet.
Im 6. Jahrhundert v. Chr. herrschte Karthago, eine aufstrebende phönizische Küstenkolonie im heutigen Tunesien, über diese Region. Diese kulturell phönizischen Gemeinschaften, die mit Karthago verbunden waren oder von Karthago regiert wurden, nannten die Römer „punisch“. Das karthagische Reich hinterließ seine Spuren in der Geschichte. Bis heute weitbekannt sind die drei blutigen „Punischen Kriege“ gegen die aufstrebende Römische Republik um die Vorherrschaft im Mittelmeerraum, darunter der Überraschungsfeldzug des karthagischen Feldherrn Hannibal, der eine gewaltige Armee inklusive Elfanten über die Alpen führte, die die junge Römische Republik an den Rande des Zusammenbruchs brachte.
Im Rahmen des Max Planck-Harvard Research Center for the Archaeoscience of the Ancient Mediterranean, das gemeinsam von Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, und Michael McCormick von der Harvard University geleitet wird, hat ein internationales Forschungsteam nun eine Studie zur genetischen Geschichte dieser alten mediterranen Zivilisationen veröffentlicht.
Neue Einblicke in die Ausbreitung der phönizischen Kultur
Ziel der neuen Studie war es, anhand alter DNA die Abstammung der punischen Bevölkerung zu bestimmen und nach genetischen Verbindungen zwischen ihnen und den levantinischen Phöniziern zu suchen, mit denen sie eine gemeinsame Kultur und Sprache teilten. Dies gelang durch die Sequenzierung und Analyse einer großen Anzahl von Genomen aus menschlichen Überresten, die in 14 phönizischen und punischen archäologischen Stätten in der Levante, Nordafrika, Iberien und auf den Inseln Sizilien, Sardinien und Ibiza begraben waren.
Dabei kamen die Forscherinnen und Forscher zu einem unerwarteten Ergebnis. „Wir haben überraschenderweise nur einen geringen direkten genetischen Anteil der levantinischen Phönizier an den punischen Populationen im westlichen und zentralen Mittelmeer gefunden“, sagt Erstautor Harald Ringbauer, der als Postdoc an der Harvard University arbeitete, als er mit der Studie begann, und heute Gruppenleiter am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie ist. „Das wirft ein neues Licht darauf, wie sich die phönizische Kultur ausbreitete - nicht durch Massenmigration, sondern durch einen dynamischen Prozess von Kulturtransfer und Assimilation.“
Die Studie zeigt, dass die punischen Stätten damals von Menschen mit sehr unterschiedlicher genetischer Abstammung besiedelt waren. „Wir finden in der punischen Gesellschaft ein sehr heterogenes genetisches Profil“, sagt David Reich, Professor für Genetik und Evolutionsbiologie des Menschen an der Harvard University und ein leitender Autor der Studie. „Die genetische Herkunft der Menschen war an allen Fundorten sehr vielfältig, wobei die größte genetische Gruppe aus Menschen bestand, die heutigen Menschen in Sizilien und der Ägäis ähnelten. Darüber hinaus gab es eine große Anzahl von Menschen mit signifikanter nordafrikanischer Abstammung.“
Alte DNA enthüllt kosmopolitische Natur der punischen Welt
Die Ergebnisse zeigen den kosmopolitischen Charakter der punischen Welt. In allen untersuchten punischen Siedlungen, einschließlich Karthago, lebten Menschen nordafrikanischer Abstammung neben und vermischten sich mit der überwiegend sizilianisch-ägäischen Bevölkerung. Darüber hinaus deuten genetische Netzwerke im gesamten Mittelmeerraum darauf hin, dass gemeinsame demografische Prozesse wie Handel, Heirat und Vermischung eine entscheidende Rolle bei der Entstehung dieser Gemeinschaften spielten. Die Forscherinnen und Forscher haben sogar zwei nahe Verwandte (ca. Cousins zweiten Grades) über das Mittelmeer hinweg ausfindig gemacht, von denen der eine in einem punischen Grab in Nordafrika und der andere in Sizilien begraben liegt.
„Diese Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass die damaligen Gesellschaften im Mittelmeerraum eng miteinander verbunden waren und die Menschen über oft große geografische Entfernungen hinweg migrierten und sich vermischten“, sagt Ilan Gronau, Professor für Informatik an der Reichman University in Herzliya, Israel, ein weiterer leitender Autor der Studie. „Solche Studien zeigen das Potenzial alter DNA, Informationen über die Abstammung und Mobilität historischer Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, von denen wir nur wenige direkte historische Aufzeichnungen haben“, sagt Gronau.
Dr. Harald Ringbauer
Grppenleiter "Computational Population Genomics", Abt. für Archäogenetik
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
harald_ringbauer@eva.mpg.de
Prof. Dr. Ilan Gronau
Efi Arazi School of Computer Science
Reichman University, Herzliya, Israel
ilan.gronau@runi.ac.il
Prof. Dr. David Reich
Dept. of Human Evolutionary Biology
Harvard University, Cambridge, USA
reich@genetics.med.harvard.edu
Harald Ringbauer et al.
Punic people were genetically diverse with almost no Levantine ancestors
Nature, 23 April 2025, https://doi.org/10.1038/s41586-025-08913-3
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Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Geschichte / Archäologie, Kulturwissenschaften
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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