Viele Menschen mit (sowjet-)russischen Wurzeln in Kanada vertreten Kreml-nahe Narrative, zeigen geringes Vertrauen in demokratische Institutionen und beziehen ihr Geschichtsbild vor allem aus dem familiären Umfeld. Gleichzeitig ist die zweite Generation deutlich weniger eng mit Russland verbunden.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine untersucht ein neuer Report des Zentrums für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) politische Einstellungen russischstämmiger Kanadier*innen. Die Studie vergleicht ihre Perspektiven mit denen der restlichen kanadischen Bevölkerung und analysiert familiäre Geschichtsbilder innerhalb der Diaspora. Grundlage der Untersuchung ist eine Umfrage mit über 2.300 Teilnehmer*innen, darunter mehr als 500 mit (sowjet-)russischem Hintergrund, ergänzt durch 16 Diskussionen in Fokusgruppen mit über 60 Personen.
Zustimmung zur Kreml-Sicht und Demokratieverdrossenheit
Viele Befragte mit (sowjet-)russischem Hintergrund sehen Russland nicht als alleinigen Verursacher des Kriegs in der Ukraine. Häufig vertreten sie die Ansicht, der Krieg sei eine legitime Reaktion auf westliche Aggression – eine Sichtweise, die mit der offiziellen Linie des Kremls übereinstimmt. Diese Haltung ist vor allem unter jenen verbreitet, die in Russland sozialisiert wurden. Unter ihren in Kanada aufgewachsenen Kindern ist die Zustimmung zu dieser Sicht geringer ausgeprägt (44 Prozent). In der kanadischen Gesamtbevölkerung hingegen halten nur rund 20 Prozent der Befragten den Krieg für einen Ausdruck legitimer russischer Interessen.
Die Studie zeigt zudem: Die russische Diaspora in Kanada blickt kritischer auf die Demokratie als die Gesamtbevölkerung. Das gilt insbesondere für die zweite Generation unter den Befragten. Ursachen sind unter anderem Unzufriedenheit mit der kanadischen Regierung sowie eine vergleichsweise positive Wahrnehmung des autoritären Regierungssystems in Russland.
„Landsleute“ als Zielpublikum des Kremls
In Kanadas multikultureller Gesellschaft bildet die russische Diaspora eine kleinere, gut integrierte Minderheit. Diese Gruppe versucht der Kreml für seine Narrative einzunehmen: „Die Meinungen, die wir ermittelt haben, lassen darauf schließen, dass sie bis zu einem gewissen Grad von Russlands Bemühungen um seine ‚Landsleute‘ beeinflusst worden sind. Das ist auch vor dem Hintergrund der bevorstehenden Wahlen relevant“, ordnet Félix Krawatzek die Ergebnisse ein.
Gleichgültigkeit gegenüber der (sowjetischen) Geschichte
Viele russischstämmige Kanadier*innen bewahren ein sowjetisch geprägtes Geschichtsbild. Der Zweite Weltkrieg wird vielfach als Sieg der Roten Armee über den Faschismus erinnert. Die jüngere Generation übernimmt Geschichtsnarrative häufig von ihren Eltern – seltener aus dem Bildungssystem. Zugleich hat die sowjetische Vergangenheit für die junge Generation eine geringere emotionale Bedeutung als für Menschen in Russland selbst.
Entfremdung von Russland nimmt zu
In der Studie zeigen vor allem jüngere Kanadier*innen mit (sowjet-)russischen Wurzeln eine gewachsene Distanz zu Russland. Persönliche Kontakte nach Russland und Reisen dorthin sind selten. Im Alltag dominiert Englisch, und kulturell orientieren sich viele stärker an kanadischen Lebensweisen. „Diese Entwicklungen schränken den Einfluss Russlands auf die Diaspora erheblich ein“, ergänzt Félix Krawatzek, „sie zeigen aber auch, dass prorussische Einstellungen nicht unbedingt an enge Verbindungen nach Russland geknüpft sind.“
Félix Krawatzek, Hakob Matevosyan
Félix Krawatzek und Hakob Matevosyan: Russian Canadians: Views on Politics, History and Society, ZOiS Report 1/2025.
https://www.zois-berlin.de/publikationen/zois-report/russland-kanadierinnen-ansi...
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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