idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
24.04.2025 12:15

Neuer Wirkstoff gegen schwer zu behandelnde Allergien

Johannes Seiler Dezernat 8 - Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

    Erkrankungen wie Reizdarm, chronischer Juckreiz, Asthma oder Migräne sind oft nur schlecht behandelbar. Ausgelöst werden sie häufig dadurch, dass das Immunsystem überempfindlich auf bestimmte Auslöser reagiert. In schweren Fällen können die Folgen lebensbedrohlich sein. Ein Team von Forschenden unter Federführung der Universität Bonn hat nun einen vielversprechenden Wirkstoff gefunden, der diese Gefahr bannen könnte. Er blockiert einen Rezeptor auf bestimmten Abwehrzellen und verhindert so, dass die Immunreaktion entgleist. Die Ergebnisse sind in der Zeitschrift „Signal Transduction and Targeted Therapy“ erschienen.

    Wer schon einmal von einer Mücke gestochen wurde, weiß, wie unangenehm das jucken kann. Eine zentrale Rolle spielen dabei die sogenannten Mastzellen. Dabei handelt es sich um Immunzellen in Haut und Schleimhäuten, die prall mit Entzündungs-Botenstoffen gefüllt sind. Nach einem Stich binden Antikörper an Inhaltsstoffe im Mückenspeichel. Zusammen aktiviert der Komplex dann die Mastzellen, die daraufhin ihren Inhalt schlagartig freisetzen. Die Folgen - Rötung, Schwellung, Juckreiz - klingen jedoch in der Regel schnell wieder ab, ein Prozess, der sich durch entsprechende Salben noch beschleunigen lässt.

    Mastzellen können aber auch direkt durch Kontakt mit einer Substanz aktiviert werden - also ohne dass Antikörper daran beteiligt wären. „Dadurch werden ebenfalls allergische Reaktionen ausgelöst, mit dem Unterschied, dass diese bis heute nur schlecht zu behandeln sind“, erklärt Prof. Dr. Christa Müller von der Universität Bonn. Bis vor etwa 15 Jahren wusste man nicht einmal, auf welchem Weg die Aktivierung überhaupt erfolgt. Damals stieß die Leiterin der Pharmazeutischen und Medizinischen Chemie mit ihrer Arbeitsgruppe auf einen bis dahin unbekannten Rezeptor in der Membran, die die Mastzellen wie eine Haut umgibt. An ihn können unterschiedliche molekulare Signale andocken und dadurch die Ausschüttung der Entzündungs-Botenstoffe einleiten.

    Rezeptor leitet heftige Entzündungsreaktion ein

    Der Rezeptor mit der kryptischen Bezeichnung MRGPRX2 wirkt also wie eine Art Schalter: Wird er betätigt, ist eine sehr heftige lokale Entzündungsreaktion die Folge. „Um das zu verhindern, müsste man den Schalter irgendwie blockieren“, sagt Müller. „Die Frage war nur: wie?“ Ihre Abteilung verfügt über eine Sammlung von rund 40.000 Verbindungen, darunter etliche, bei denen es sich bereits in Tests herausgestellt hatte, dass sie an verwandte Rezeptoren binden können. „Wir haben Zellen verwendet, die aufleuchten, wenn MRGPRX2 aktiviert ist“, erklärt Müllers Doktorandin Ghazl Al Hamwi, die Erstautorin der Studie. „So konnten wir testen, ob diese Substanzen die Aktivierung des Rezeptors wirksam blockieren und dadurch das Lichtsignal ausschalten.“

    Dabei stießen die Forschenden auf einen Wirkstoff, der an den Rezeptor andocken kann und ihn blockiert. Durch chemische Modifizierung dieses Treffers erhielten sie ein Derivat, das schon in extrem geringen Konzentrationen wirksam war. „In Kooperation mit Kolleginnen und Kollegen aus Polen konnten wir zeigen, dass bei Mäusen dadurch lebensbedrohliche allergische Reaktionen komplett unterbunden werden“, sagt Al Hamwi. Angesichts dieser Ergebnisse isolierten Forschende der Charité in Berlin zusätzlich menschliche Mastzellen und reinigten sie auf - ein äußerst aufwändiger Prozess. Dadurch konnten die beteiligten Arbeitsgruppen zeigen, dass das gefundene Molekül auch dort an MRGPRX2 bindet und die Ausschüttung von Entzündungs-Botenstoffen verhindert.

    Substanz wurde inzwischen weiter optimiert

    Inzwischen haben die Forschenden die Substanz noch weiter optimiert. Sie ist so einerseits noch wirksamer geworden; zudem wird sie im Körper nicht direkt abgebaut, sondern besitzt eine ausreichend lange Wirkungsdauer, wie sie für einen Arzneistoff erforderlich ist. Die Beteiligten konnten zudem zeigen, dass das Molekül ausschließlich den MRGPRX2-Rezeptor blockiert. Dadurch sinkt die Gefahr unerwünschter Nebenwirkungen. „Wir halten die Substanz daher für ausgesprochen vielversprechend“, betont Müller, die auch den Transdisziplinären Forschungsbereichen (TRA) „Life & Health“ und „Matter“ der Universität Bonn angehört. Ob sich der Wirkstoff als Medikament eignet, muss sich allerdings noch in weiteren Studien an Tieren und am Menschen zeigen.

    Falls ja, wäre das aber eine gute Nachricht. Profitieren könnten etwa Patientinnen und Patienten mit entzündlichen Beschwerden des Magen-Darm-Trakts, der Lunge, des Nervensystems oder auch mit schwerem chronischem Juckreiz und weiteren entzündlichen Hauterkrankungen. Viele dieser Erkrankungen sind nicht nur äußerst quälend, sondern gehen auch mit einer verkürzten Lebenserwartung einher. Auch lebensgefährliche allergische Reaktionen nach der Gabe bestimmter Medikamente (ein sogenannter anaphylaktischer Schock) ließen sich möglicherweise durch Blockierung des RGPRX2-Rezeptors verhindern.

    Beteiligte Institutionen und Förderung:

    An der Studie waren die Universität Bonn, die Katholische Universität Leuven (Belgien), die Universität von Pennsylvania (USA), die Charité Berlin, die Ruhr-Universität Bochum, die Jagiellonen-Universität Krakau (Polen) sowie das Universitätsklinikum Erlangen beteiligt. Die Studie wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die US National Institutes of Health (NIH) gefördert.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Christa E. Müller
    Pharmazeutisches Institut der Universität Bonn
    Abteilung für Pharmazeutische und Medizinische Chemie
    Tel. 0228/73-2301
    E-Mail: christa.mueller@uni-bonn.de


    Originalpublikation:

    Ghazl Al Hamwi et. al.: Subnanomolar MAS-related G protein-coupled receptor-X2/B2 (MRGPRX2/B2) antagonists with efficacy in human mast cells and disease models; Signal Transduction and Targeted Therapy; DOI: https://www.doi.org/10.1038/s41392-025-02209-8


    Bilder

    Mastzellen sind prall gefüllt mit Substanzen, die sie nach Kontakt mit Allergenen freisetzen (oben). Wird der Rezeptor blockiert, der dafür verantwortlich ist, verhindert das die Freisetzung und die dadurch ausgelösten starken Entzündungsreaktion (unten).
    Mastzellen sind prall gefüllt mit Substanzen, die sie nach Kontakt mit Allergenen freisetzen (oben). ...

    Abbildung: AG Müller/Universität Bonn

    Prof. Christa Müller, Leiterin der Pharmazeutischen und Medizinischen Chemie an der Universität Bonn.
    Prof. Christa Müller, Leiterin der Pharmazeutischen und Medizinischen Chemie an der Universität Bonn ...

    Foto: Volker Lannert/Universität Bonn


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Mastzellen sind prall gefüllt mit Substanzen, die sie nach Kontakt mit Allergenen freisetzen (oben). Wird der Rezeptor blockiert, der dafür verantwortlich ist, verhindert das die Freisetzung und die dadurch ausgelösten starken Entzündungsreaktion (unten).


    Zum Download

    x

    Prof. Christa Müller, Leiterin der Pharmazeutischen und Medizinischen Chemie an der Universität Bonn.


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).