Dank moderner Analysemethoden lassen sich selbst winzigste Mengen von Schadstoffen nachweisen. Dennoch bedeutet ihr bloßes Vorkommen nicht auto-matisch eine Gesundheitsgefahr – entscheidend ist die Dosis. Die Unstatistik des Monats April zeigt, wie Medienberichte häufig Ängste schüren, obwohl objektiv kein Grund zur Sorge besteht.
Die Unstatistik des Monats April 2025 ist die Meldung „Verbotener Weichmacher in Kinderurin gefunden“ im Münchner Merkur vom 4. April. Es geht um ein Abbauprodukt des Weichmachers DnHexP (Di-n-hexyl-Phthalat), der seit 2019 in Kosmetik, Lebensmittelverpackungen und Spielzeug verboten ist.
„Trotzdem ist der Weichmacher in vielen Kinderurinproben nachgewiesen worden“, heißt es im Artikel. Zwar wird nur die Existenz des Stoffes gemeldet, nicht aber seine Konzentration – und genau hier liegt das Problem: Dank enormer Fortschritte in der Giftdiagnostik können heute selbst kleinste Men-gen nachgewiesen werden. Diese sind oft völlig ungefährlich, werden jedoch häufig als Anlass für alarmierende Schlagzeilen genutzt.
Bereits in unserer Unstatistik vom Juni 2013 hatten wir auf diesen Mechanismus hingewiesen: Damals wurde berichtet, dass bei 70 Prozent der Großstädter das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat im Urin gefunden worden sei – eine Meldung ohne wirklichen Nachrichtenwert.
Früher war ein Milligramm pro Kilogramm (ppm) die Grenze des Messbaren. In den 1980er Jahren konnten Schadstoffkonzentrationen von 1:1 Milliarde, heute sogar von 1:1 Trillion aufgespürt werden – oft mithilfe modernster Methoden wie Chromatographie, Massenspektrometrie und Kernresonanz-Spektroskopie. Teilweise lassen sich sogar einzelne Moleküle nachweisen.
Doch eine Substanz wird erst dann zur Gefahr, wenn ihre Dosis einen gesundheitlich kritischen Wert überschreitet. In der großen Mehrheit der Fälle ist dies nicht gegeben. Unsere Analyse eines kompletten Jahrgangs der Zeitschrift Ökotest zeigt: In mehr als der Hälfte der Berichte wird die entscheiden-de Angabe zur Dosis schlicht unterschlagen (vgl. W. Krämer und G. Arminger: „Wider das Ökotest-Prinzip“, Novo-Argumente 117, 2014, S. 240–249).
Bereits der große Paracelsus wusste: „Alle Ding sind Giftt und nichts ist ohn Giftt; allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Selbst bestes Trinkwasser kann in Überdosis tödlich sein – wie der tragische Fall einer englischen Hausfrau zeigt, die nach dem Konsum von zehn Litern Wasser an einer Wasservergiftung starb.
Bei Weichmachern liegt der Grenzwert für Kinder und Erwachsene bei 60 Mikrogramm pro Liter. Der Münchner Merkur räumt am Ende seines Berichts kleinlaut ein: „Die Belastungen liegen jedoch für über 99 Prozent der 250 untersuchten Kinder unterhalb der Schwelle für eine gesundheitliche Besorgnis.“ Doch viele Leser kommen bis dahin gar nicht mehr.
Bemerkenswert: Die Zahl der Weichmacherfunde ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Eine plausible Erklärung: Immer mehr frische Lebensmittel werden verpackt verkauft. Die Abkehr von Bedientheken und der Boom von Convenience-Produkten wie Sandwiches haben die Pro-Kopf-Menge an Verpackungsmüll – und damit auch den Einsatz von Weichmachern – deutlich erhöht.
Prof. Dr. Walter Krämer, walterk@statistik.tu-dortmund.de
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Chemie, Medizin, Umwelt / Ökologie, Wirtschaft
überregional
Buntes aus der Wissenschaft, Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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