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05.05.2025 13:46

Mathematik, verkehrt herum

Dr. Florian Aigner PR und Marketing
Technische Universität Wien

    Ein wichtiges Resultat aus der Welt der inversen Probleme konnte an der TU Wien bewiesen werden – ein Gebiet der Mathematik, das faszinierende Anwendungsmöglichkeiten eröffnet.

    Auf eine Frage eine Antwort zu finden, ist oft schwer genug. Aber noch schwieriger ist es manchmal, aus gegebenen Antworten abzulesen, was die Frage war. Aufgaben dieser Art spielen in der Mathematik und den Naturwissenschaften eine wichtige Rolle. Man spricht in diesem Fall von „inversen Problemen“: Anstatt eine mathematische Aufgabe zu analysieren und die Lösungen zu finden, versucht man gewissermaßen, aus den Lösungen darauf zu schließen, wie die Aufgabe genau ausgesehen hat.

    An der TU Wien konnte ein mathematisches Ergebnis erzielt werden, das für die Welt der inversen Probleme eine wichtige Bedeutung hat: Es geht dabei um die Frage, wie die Lösungen bestimmter Rechenaufgaben verteilt sind – diese Frage führt auf abstrakte mathematische Objekte, die in engem Zusammenhang mit sehr praxisrelevanten, alltagsbestimmenden Fragen stehen. Die Ergebnisse wurden nun in den „Annals of Mathematics“ publiziert, einem der weltweit angesehensten Fachjournale für Mathematik.

    Kann man die Form einer Trommel hören?

    In vielen Bereichen der Naturwissenschaft spielen Schwingungen und Wellen eine zentrale Rolle. Mathematisch kann man sie mit Differenzialgleichungen beschreiben. „Mit Hilfe solcher Differentialgleichungen kann man zum Beispiel ausrechnen, welche Schwingungsenergien ein Quantenteilchen haben kann – oder auch die Schwingungen einer Trommelmembran“, erklärt Benjamin Eichinger, einer der Autoren des aktuellen Papers. „Kennt man die geometrische Form einer Trommel, kann man genau ausrechnen, auf welche Weise sie schwingen kann, und welche Frequenzen man erzeugen kann, wenn man sie schlägt.“

    Man kann die Sache aber auch umgekehrt betrachten und die Frage stellen: Angenommen, wir kennen alle erlaubten Schwingungsfrequenzen – können wir daraus dann herauslesen, um welche Differentialgleichung es sich gehandelt hat? Oder konkreter formuliert: Angenommen, man kennt den Klang einer Trommel – kann man dann ausrechnen, welche Form die Trommel hat?

    Solche Aufgaben sind in Technik und Naturwissenschaft allgegenwärtig. So kann man zum Beispiel die Energien und Schwingungen von Atomkernen genau vermessen. Kann man daraus etwas über den Atomkern selbst erfahren? Man kann akustische Wellen in den Boden leiten. Kann man aus ihrem Echo etwas über versteckte Schätze im Boden erfahren? Man kann Menschen mit Ultraschall untersuchen. Kann man daraus etwas über das Innere des Köpers lernen? All diese Aufgaben sind Beispiele für inverse Probleme.

    Frequenzen und ihr Gewicht

    „Man kann allerdings zeigen: Die Schwingungsfrequenzen alleine reichen nicht aus, um auf die Form einer Trommel zurückzuschließen“, sagt Benjamin Eichinger. Um solche inversen Probleme zu lösen, braucht man noch zusätzliche Information – sie steckt in einem zusätzlichen mathematischen Objekt, das als „Gewicht“ bezeichnet wird. Manche Lösungen bekommen einen höheren „Gewichtswert“ als andere – wenn man diese „Gewichtsverteilung“ kennt, dann lässt sich das Problem korrekt lösen.

    Es ist ein bisschen so, als wollte man die Bewegung eines komplizierten Objekts berechnen, das aus vielen wohlbekannten Einzelteilen besteht. Nur wenn man jeweils auch das Gewicht der Einzelteile kennt, hat man eine Chance, die Bewegung des Gesamtobjekts richtig beschreiben zu können.

    Diese „spektralen Gewichte“ sind ein wichtiges Forschungsthema auf diesem Gebiet: Für welche Art der Gewichte lassen sich welche Aussagen ableiten? Welche mathematische Form dürfen sie haben, sodass bestimmte Aussagen garantiert wahr sind?

    „Besonders wichtig ist die Frage: Was passiert, wenn es unendlich viele Lösungen gibt?“, sagt Benjamin Eichinger. Bei einer Trommel etwa sind unendlich viele verschiedene Frequenzen möglich. Schlägt man sie, erklingt eine ganze Reihe von Obertönen – genau dadurch ergibt sich ihr charakteristischer Klang. „Besonders interessant ist, wie diese Lösungen verteilt sind“, sagt Eichinger. „Häufen sie sich an bestimmten Punkten, oder sind sie gleichmäßig verteilt?“

    Zusammenhang zwischen Gewichten und Lösungs-Verteilung bewiesen

    Benjamin Eichinger forschte an dieser Frage am Institut für Analysis und Scientific Computing an der TU Wien, zusammen mit Milivoje Lukic (Texas, USA) und Brian Simanek (Texas, USA). Derzeit forscht Eichinger an der Lancaster University (UK) und arbeitet u.a. mit Harald Woracek von der TU Wien weiterhin an diesen Fragen.

    Gemeinsam konnte das Team zeigen, dass sich Aussagen über die Lösungen von Differentialgleichungen aus den Gewichten auf noch viel allgemeinere Weise ableiten lassen als bisher gedacht. „Die Verteilung der Lösungen hängt mit den Gewichten eng zusammen – das wusste man bereits. Aber wir konnten zeigen, dass die Lösungsverteilung, die wir betrachten, bei einer viel größeren Klasse von Gewichten auftritt, als man bisher dachte. Man bezeichnet das als Universality.“

    An diesem Resultat zeigt sich die Stärke der Grundlagenforschung. Das allgemein gültige Resultat lässt sich in seiner abstrakten Formulierung auf viele verschiedene Systeme anwenden. „Eben genau deshalb, weil es uns gelingt, mathematische Aussagen ganz allgemein, für ganz unterschiedliche Differentialgleichungen aufzustellen, sind unsere Resultate auf ganz unterschiedliche Dinge anwendbar“, sagt Benjamin Eichinger.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Benjamin Eichinger
    ehem. TU Wien,
    derzeit an der Lancaster University
    b.eichinger@lancaster.ac.uk


    Originalpublikation:

    Das Paper wurde kürzlich im Fachjournal Annals of Mathematics angenommen:
    https://annals.math.princeton.edu/articles/22024, öffnet eine externe URL in einem neuen Fenster

    Frei zugänglicher Version auf arxiv:
    https://arxiv.org/abs/2108.01629


    Bilder

    Benjamin Eichinger
    Benjamin Eichinger
    Matthias Heisler
    Matthias Heisler — TUForMath — TU Wien


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Mathematik
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Benjamin Eichinger


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