Ein Forschungsteam der Max-Planck-Institute für evolutionäre Anthropologie, des Cognitive Neuroscience Center Marc Jeannerod (CNRS/Université Claude Bernard Lyon 1) und des Neuroscience Research Center (CNRS/Inserm/Université Claude Bernard Lyon 1) in Lyon hat Tausende von Vokalisationen freilebender Schimpansen im Taï-Nationalpark, Elfenbeinküste, aufgezeichnet und die Regeln untersucht, nach denen sich Bedeutungen verändern, wenn Rufe zu Zwei-Ruf-Kombinationen zusammengesetzt werden.
Auf den Punkt gebracht
- Schimpansen sind zu komplexer Kommunikation fähig: Die menschliche Sprachfähigkeit ist möglicherweise nicht so einzigartig wie bisher angenommen. Schimpansen verfügen über ein komplexes Kommunikationssystem, mit dem sie Rufe zu neuen Bedeutungen kombinieren können, ähnlich der menschlichen Sprache.
- Kreatives Kombinieren von Rufen: Schimpansen verwenden vier Methoden, um die Bedeutung zu verändern, wenn sie einzelne Rufe zu Kombinationen von zwei Rufen kombinieren, einschließlich kompositorischer und nicht-kompositorischer Kombinationen, und sie verwenden eine Vielzahl von Rufkombinationen in einer Vielzahl von Kontexten.
- Ursprünge von Sprache: Die Entdeckung eines komplexen Kommunikationssystems bei Schimpansen hat weitreichende Konsequenzen für das Verständnis der Evolution der menschlichen Sprache. Komplexe Kombinationsfähigkeiten könnten bereits bei den gemeinsamen Vorfahren von Menschen und Menschenaffen vorhanden gewesen sein. Dies macht deutlich, wie wichtig es ist, die Komplexität tierischer Kommunikation und ihre Beziehung zur menschlichen Sprache weiter zu erforschen.
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Menschen sind die einzige Spezies auf der Erde, die Sprache benutzt. Sie tun dies, indem sie Laute zu Wörtern und Wörter zu Sätzen kombinieren und so unendlich viele Bedeutungen schaffen. Dieser Prozess basiert auf linguistischen Regeln, die festlegen, wie die Bedeutung von Lauten in verschiedenen Satzstrukturen verstanden wird. Zum Beispiel kann das Wort „Affe“ mit anderen Wörtern kombiniert werden, um zusammengesetzte Sätze zu bilden, in denen eine Bedeutung hinzugefügt wird: „Der Affe frisst“, oder um eine Bedeutung zu erweitern: „großer Affe“, oder um nicht zusammengesetzte idiomatische Sätze zu bilden, die eine völlig neue Bedeutung schaffen: „affig sein“. Ein wesentlicher Bestandteil der Sprache ist die Syntax, die bestimmt, wie die Reihenfolge der Wörter die Bedeutung beeinflusst, z.B. wie „affig sein“ und „der Affe ist“ unterschiedliche Bedeutungen haben.
Eine grundlegende Forschungsfrage ist, woher diese außergewöhnliche Fähigkeit zur Sprache kommt. Um die evolutionären Ursprünge der menschlichen Sprache zu erforschen, wird häufig ein vergleichender Ansatz gewählt, bei dem die Vokalisationen anderer Tiere, insbesondere von Primaten, mit denen des Menschen verglichen werden. Im Gegensatz zum Menschen verwenden andere Primaten in der Regel Einzelrufe (so genannte „Ruftypen“), und obwohl einige Tierarten Einzelrufe miteinander kombinieren, gibt es pro Art nur wenige Kombinationen, die meist dazu dienen, Artgenossen vor Raubtieren zu warnen. Dies deutet darauf hin, dass ihre Kommunikationssysteme möglicherweise zu begrenzt sind, um als Vorläufer des komplexen, offenen Kombinationssystems der menschlichen Sprache zu gelten. Es könnte aber auch sein, dass wir noch kein vollständiges Bild von den sprachlichen Fähigkeiten unserer nächsten lebenden Verwandten haben, insbesondere davon, wie sie Rufkombinationen nutzen könnten, um ihr Bedeutungsrepertoire erheblich zu erweitern.
Bedeutung von Vokalisationen bei Schimpansen
Forscherinnen und Forscher der Max-Planck-Institute für evolutionäre Anthropologie und für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig sowie des Cognitive Neuroscience Center Marc Jeannerod (CNRS/Université Claude Bernard Lyon 1) und des Neuroscience Research Center (CNRS/Inserm/Université Claude Bernard Lyon 1) in Lyon haben Tausende von Vokalisationen von drei Gruppen freilebender Schimpansen im Taï-Nationalpark in der Elfenbeinküste aufgezeichnet. Sie untersuchten, wie sich die Bedeutung von zwölf verschiedenen Schimpansenrufen verändert, wenn sie zu Zweierkombinationen zusammengesetzt werden.
„Die Erzeugung neuer oder zusammengesetzter Bedeutungen durch die Kombination von Wörtern ist ein charakteristisches Merkmal der menschlichen Sprache. Um die Ursprünge der menschlichen Sprache zu entschlüsseln, ist es daher wichtig zu untersuchen, ob unsere nächsten lebenden Verwandten, die Schimpansen und Bonobos, eine ähnliche Fähigkeit besitzen“, sagt Catherine Crockford, leitende Autorin der Studie. „Die Aufzeichnung der Lautäußerungen von Schimpansen über mehrere Jahre in ihrer natürlichen Umgebung ist entscheidend, um die Gesamtheit ihres Kommunikationsvermögens zu dokumentieren. Aufgrund der zunehmenden Bedrohung der Schimpansenpopulationen durch den Menschen wird dies jedoch immer schwieriger“, sagt Roman Wittig, Co-Autor der Studie und Direktor des Taï Chimpanzee Project.
Das komplexe Kommunikationssystem der Schimpansen
Die Studie beschreibt vier Möglichkeiten, wie Schimpansen Bedeutungen verändern, wenn sie Einzelrufe zu 16 verschiedenen Kombinationen von Zweierrufen zusammensetzen – ähnlich den wichtigsten linguistischen Prinzipien der menschlichen Sprache. Die Schimpansen verwendeten sowohl bedeutungsergänzende (z.B. A = Fressen, B = Ausruhen, AB = Fressen + Ausruhen) als auch bedeutungspräzisierende (z.B. A = Fressen oder Fortbewegung, B = Aggression, AB = Fortbewegung) Zusammensetzungen. Sie verwendeten auch nicht zusammengesetzte idiomatische Kombinationen, die völlig neue Bedeutungen schufen (z. B. A = Ausruhen, B = Zugehörigkeit, AB = Nestbau). Entscheidend ist, dass die Schimpansen in dieser Studie – im Gegensatz zu früheren Studien, in denen meist nur Rufkombinationen in einem begrenzten Kontext beschrieben wurden, wie z.B. Begegnungen mit Raubtieren – das Bedeutungsrepertoire ihrer Rufe erweiterten, indem sie die meisten ihrer Einzelrufe zu einer großen Vielfalt von Rufkombinationen zusammensetzten und diese in einem breiten Spektrum von Kontexten anwendeten.
„Unsere Ergebnisse deuten auf ein hochgradig generatives vokales Kommunikationssystem hin, das im Tierreich beispiellos ist und die jüngsten Erkenntnisse über Bonobos bestätigt, wonach komplexe Kombinationsfähigkeiten bereits bei den gemeinsamen Vorfahren des Menschen und dieser beiden Menschenaffenarten vorhanden waren“, sagt Cédric Girard-Buttoz, Erstautor der Studie. Er fügt hinzu: „Damit ändert sich die Sichtweise des letzten Jahrhunderts, die die Kommunikation der Menschenaffen als statisch und an emotionale Zustände gebunden betrachtete und deshalb davon ausging, dass sie uns nichts über die Evolution der Sprache sagen könne. Stattdessen sehen wir nun deutliche Hinweise darauf, dass die meisten Ruftypen des Repertoires in Kombination mit anderen Ruftypen ihre Bedeutung variieren oder erweitern können. Die Komplexität dieses Systems deutet entweder darauf hin, dass die Kommunikation der Hominiden tatsächlich etwas Einzigartiges ist – dass komplexe Kommunikation bereits bei unserem letzten gemeinsamen Vorfahren entstand, den wir mit unseren nächsten lebenden Verwandten teilen – oder dass wir die Komplexität der Kommunikation auch bei anderen Tieren unterschätzt haben, was weitere Untersuchungen erforderlich macht.“
Dr. Cédric Girard-Buttoz
ENES Bioacoustics Research Lab, Lyon Neuroscience Reseach Center (CRNL) &
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig
cedric.girard-buttoz@cnrs.fr
Dr. Catherine Crockford
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig &
Institute of Cognitive Sciences Marc Jeannerod, Lyon
crockfor@eva.mpg.de
Dr. Roman Wittig
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, Leipzig &
Institute of Cognitive Sciences Marc Jeannerod, Lyon
wittig@eva.mpg.de
Cédric Girard- Buttoz, Christof Neumann, Tatiana Bortolato, Emiliano Zaccarella, Angela D. Friederici, Roman M. Wittig, Catherine Crockford
Versatile use of chimpanzee call combinations promotes meaning expansion
Science Advances, 09 May 2025, https://doi.org/10.1126/sciadv.adq2879
Freilebende Schimpansen verändern die Bedeutung von Einzelrufen, indem sie sie in verschiedene Rufko ...
© Liran Samuni, Taï Chimpanzee Project
Das Forschungsteam hat Tausende von Vokalisationen von drei Gruppen freilebender Schimpansen im Taï- ...
© Liran Samuni, Taï Chimpanzee Project
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Sprache / Literatur, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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