Ein aktueller Cochrane Review zeigt methodische Schwächen bei der Beurteilung von Schmerzen von Neugeborenen auf. Trotz der hohen Relevanz für die klinische Versorgung fehlt für die dafür entwickelten Skalen verlässliche Evidenz. Sie sollen in internationaler Zusammenarbeit weiterentwickelt werden.
In einem kürzlich erschienen Cochrane Review bewerteten die Forschenden die methodische Qualität von 27 Skalen zur Beurteilung von Schmerzen. Der Cochrane Review schloss 79 Studien aus 26 Ländern mit Daten von 7.197 Säuglingen ein. Keine der untersuchten Schmerzskalen entsprach vollständig den methodischen Qualitätsanforderungen. „Mehr als 70 % der Skalen in diesem Review hatten keine Bewertung der Inhalts- und Strukturvalidität“, so Kenneth Färnqvist, Review-Autor am Karolinska-Institut in Stockholm, Schweden. Beide seien aber zentral für die Auswahl eines Messinstrumentes, erklärte Färnqvist. Ohne eine starke Inhalts- und Strukturvalidität könnten andere Kriterien, wie die Reliabilität, nicht genau bewertet werden. Für diese und weitere wichtige methodische Aspekte war das Ergebnis ernüchternd. Durch die Vielzahl der verfügbaren Skalen zur Beurteilung der Schmerzen von Neugeborenen war die Evidenz zudem uneinheitlich.
Die Schmerzbeurteilung bei Früh- und Neugeborenen ist komplex, aber notwendig.
Skalen zur Beurteilung von Schmerzen können immer nur Annäherungen an das erlebte Schmerzempfinden sein, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Forschende nennen ein solches Messinstrument auch „Surrogat-Schmerzskala“. Im Vergleich zu Erwachsenen ist die Schmerzbeurteilung bei Neugeborenen besonders herausfordernd, denn sie können ihre Schmerzen nicht mit Worten ausdrücken. Deshalb müssen Pflege- und ärztliches Personal in der Praxis genau das Verhalten und körperliche Anzeichen beobachten.
Zwischen sechs und neun Prozent aller Neugeborenen brauchen eine intensivmedizinische Betreuung, entweder aufgrund einer Erkrankung oder weil sie zu früh auf die Welt kommen. Auf der Intensivstation müssen Ärzt*innen auch schmerzhafte Eingriffe bei Neugeborenen durchführen. Wiederholte Schmerzen können sich aber negativ auf die langfristige Entwicklung des Neugeborenen auswirken. Zudem zeigen Frühgeborene und schwerkranke Neugeborene oft abgeschwächte Schmerzreaktionen. Das erhöht das Risiko, dass die Schmerzintensität unterschätzt wird und das Kind zu wenig wirksame Schmerzmittel bekommt. Wenn das Fachpersonal Schmerzen andererseits überschätzt, kann das zu unnötiger Sedierung führen. Beides kann potenziell schädliche Folgen haben, beispielsweise für die zukünftige Körperwahrnehmung (somatosensorische Entwicklung) und die Schmerzempfindlichkeit und -antwort. „Gerade bei so vulnerablen Patient*innen dürfen solche Skalen nicht als alleinige Entscheidungsgrundlage dienen“, betont Prof. Roger F. Soll, Neonatologe an der University of Vermont, USA. Er empfiehlt den ärztlichen Kolleg*innen, schmerzhafte Eingriffe bei Neugeborenen so gut wie möglich zu vermeiden.
Die Ergebnisse des Reviews machen den Bedarf an international abgestimmter Forschung deutlich, um die Schmerzbeurteilung bei Neugeborenen zu verbessern. Als nächsten Schritt wollen die Review-Autor*innen mit der Unterstützung der Cochrane Collaboration Expert*innen aus Praxis und Forschung zusammenbringen, um eine neue, evidenzbasierte Schmerzskala für Neugeborene zu entwickeln. Diese soll schon vor der praktischen Einführung den aktuellen methodischen Qualitätsstandards entsprechen.
Erik von Elm
Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Cochrane Deutschland Stiftung
erik.vonelm@cochrane.de
https://www.cochranelibrary.com/cdsr/doi/10.1002/14651858.MR000064.pub2/full
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wissenschaftler
Ernährung / Gesundheit / Pflege, Gesellschaft, Medizin, Psychologie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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