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09.05.2025 09:25

Wie eine HSBI-Professorin einer KI das Wolkenlesen beibrachte, um die Effizienz von Photovoltaik-Feldern zu steigern

Dr. Lars Kruse Ressort Hochschulkommunikation
Hochschule Bielefeld

    Das Problem: Wenn das Netz überlastet ist, zahlen Photovoltaik-Erzeuger manchmal drauf, wenn sie ihren Strom einspeisen. Die Lösung: Eine Kombination aus Wolkenkamera und KI weiß schon im Voraus, wieviel Strom die Anlage erzeugen wird und speichert ihn rechtzeitig. Die Informatik-Professorin Grit Behrens von der Hochschule Bielefeld und Energiemeteorologen von der TH Rosenheim erforschen gemeinsam, wie sich die Effizienz von PV-Feldern erhöhen lässt. Die Technologie steht kurz vor der Marktreife, das Potenzial für Stromerzeuger und Energiemanager ist beträchtlich.

    Bielefeld (hsbi). „Das brauchen wir nicht mehr.“ Man stelle sich die Enttäuschung vor: Ein Wissenschaftler hat gerade erklärt, wie er ein komplexes Problem mit einer noch komplexeren Methode zu lösen gedenkt, in die er schon Jahre an Forschung gesteckt hat, und dann fällt dieser Satz. Grit Behrens ist berühmt-berüchtigt dafür, ihn häufiger zu sagen. Aber alle im Raum ahnen da auch bereits: Sie hat Recht!

    Prof. Dr.-Ing. Grit Behrens ist am Campus Minden der Hochschule Bielefeld (HSBI) im Lehrgebiet Angewandte Informatik tätig. „Ich beschäftige mich eigentlich immer mit Umweltinformatik“, sagt sie. „Mein Steckenpferd ist das maschinelle Lernen auf Zeitreihen. Ich trainiere neuronale Netzwerke darauf, aus Daten der Vergangenheit Prognosen für die Zukunft abzuleiten.“ Genau damit kommt Behrens jenen Forschenden ins Gehege, die mit klassischen analytischen Werkzeugen und aufwändigen 3D-Modellierungen ihre Vorhersagen, etwa des Wetters, treffen. Aber sie hat die KI auf ihrer Seite, und ist damit vor allem eines: stets viel, viel schneller.

    Angewandte Informatik trifft Energiemeteorologie – eine zukunftsweisende Kombination

    Hohes Tempo lohnt sich vor allem dort, wo es um Geld geht – wie an der Börse. „Auch die Spotmarktpreise für Strom fluktuieren inzwischen sehr stark, und zwar im Viertelstundentakt“, sagt Grit Behrens. „Zum Teil gehen sie sogar ins Minus.“ Solaranlagen-Betreiber müssen also in Phasen der Überkapazität draufzahlen, wenn sie ihren Strom ins Netz einspeisen. „Da haben wir gesagt: Eigentlich wäre es cool, eine Kamera auf dem Photovoltaik-Feld zu haben und zu wissen, welche Wolken in den nächsten 15 Minuten heranschweben. Um so eine kurzfristige Prognose des PV-Ertrages errechnen zu können.“

    Es war die Geburtsstunde des Energiemeteorologie-Projekts „Helios“ an der HSBI. Einer der Projektpartner ist die TH Rosenheim, an der Prof. Mike Zehner „Nachhaltige elektrische Energietechnik“ lehrt. „Zehner ist fasziniert von Wolken, und wir kennen uns seit zwölf Jahren vom PV-Symposium – er ist dort der Mann für die Energiemeteorologie und eine Koryphäe auf dem Gebiet“, erzählt Grit Behrens. „Irgendwann meinte er, wir sollten mal zusammen einen Forschungsantrag schreiben.“ Den nahm die Deutsche Bundesstiftung Umwelt im Herbst 2023 prompt an. Zunächst wird nun bis Ende 2025 geforscht, ein Nachfolgeantrag ist jedoch bereits „in der Pipeline“.

    Das Ziel: zu fast 100 Prozent genaue Kurzzeitprognosen des Photovoltaik-Ertrages

    Die Wolken, die dabei beobachtet werden, ziehen über ein Photovoltaik-Feld im bayerischen Buttenwiesen. Im Abstand von einem Kilometer sind hier zwei All Sky Imagers (ASI) installiert, die durch ihre Fischaugenlinsen alle zehn Sekunden Fotos vom Himmel schießen. „Mit diesen Bildern füttern wir Tag für Tag unsere KI, die damit implizit alles über Meteorologie lernt, was für unseren Zweck von Bedeutung ist“, sagt Grit Behrens.

    Denn die KI soll vor allem eines: zeitlich und räumlich hochauflösende Kurzfristprognosen für solare Einstrahlung erstellen. Jede getroffene Prognose wird mit dem zugehörigen realen PV-Ertrag abgeglichen. So wird das System kontinuierlich „schlauer“, und die Prognosen fallen noch genauer aus. Die zusätzliche Einfütterung von Open-Source-Wetterdaten machen die Vorhersagen abermals präziser. „Bis zum Ende des Jahres wollen wir uns, was die Genauigkeit angeht, der 100-Prozent-Marke möglichst weit annähern“, so Behrens. „Dann wird es dazu auch zwei Masterarbeiten von den beiden wissenschaftlichen Hilfskräften im Projekt Yassine Ribouh und Naoufal El Athmioui geben.“

    Die Technologie steht kurz vor der Marktreife – dann wird die Direktvermarktung von PV-Strom um einiges effizienter

    Mit der Kombination aus Wolkenkamera und Sonneneinstrahlungsmessgerät gibt es in der Branche schon länger Erfahrungen, auf die man bei „Helios“ zurückgreifen kann. „Doch bislang wurde dieses Prinzip nur genutzt, um geeignete Standorte für Photovoltaik-Felder zu identifizieren“, sagt die HSBI-Professorin. „Bei der Direktvermarktung von PV-Strom nutzen die Akteure momentan meist einfach den Wetterbericht und gucken sich die Satellitenbilder an, um die Menge des erzeugten Stroms vorher abzuschätzen.“ Eine ziemlich ungenaue Methode. Die möglichen Folgen für zum Beispiel Stadtwerke: Strom wird zu billig verkauft, anstatt ihn beispielsweise unmittelbar zu verbrauchen oder zu speichern. Im Extremfall erzielt der Verkäufer einen negativen Preis, typischerweise im Frühsommer um die Mittagszeit. „Mit unserem System lässt sich das vermeiden“, ist sich Behrens sicher. „Deswegen haben war auch die Stadtwerke Rosenheim als Projektpartner mit im Boot.“

    Bis zur Marktreife des Systems fehlt nicht mehr viel. „In dem Thema ist gerade richtig viel Musik drin, und zwar weltweit“, freut sich Grit Behrens. Sie verweist etwa auf Firmen, die mit sehr günstigen Kameras den Markteintritt vorbereiten, denen aber noch das nötige Startkapital fehle. Oder auf Forscher in Thailand, die die gleiche Idee wie sie gehabt hätten, aber zu einer völlig anderen Umsetzung gelangt sind.

    Die Stabilität des Stromnetzes wächst – aber dafür braucht es dringend mehr Speicherkapazitäten

    Grit Behrens geht davon aus, dass sich die Technologie auf PV-Feldern in absehbarer Zeit durchsetzen wird. „In Fachkreisen kursiert derzeit die Zahl von dreißig Prozent als mögliche Effizienzsteigerung“, sagt die HSBI-Professorin. „Sogar für private Nutzer in der Stadt, die gemeinsam eine Solaranlage auf ihrem Dach betreiben, könnte sich das lohnen.“ Die Preise der benötigten Kameras sinken gerade rapide. Doch es geht nicht nur um höhere Gewinne für die PV-Stromerzeuger, sondern auch um die Netzstabilität. „Wir haben in den vergangenen Jahren einen enormen Zubau von Solarstrom erlebt“, betont Behrens. „Jetzt brauchen wir dringend mehr Speichermöglichkeiten, um das Ganze balanciert zu halten. Das dezentrale Energiemanagement spielt eine immer größere Rolle.“

    Bis dahin werden die All Sky Imagers von Buttenwiesen noch Terabyte an Bilddaten an den extra zu diesem Zweck angeschafften Server in Bielefeld übermitteln. „Die Hauptarbeit bei Helios besteht für uns darin, Software zu schreiben, die diese Bilder einliest, neue Algorithmen zu kreieren und passende neuronale Netzarchitekturen auszusuchen“, erklärt Grit Behrens. Nebenbei treibt die Forscherin das iRON-Projekt voran, bei dem es darum geht, die Abnutzung von Spundwänden zu prognostizieren und damit den Hochwasserschutz zu verbessern. „Auch hier wurde bislang mit hoch komplizierten Methoden gearbeitet. Die Wasserbauer rechnen berücksichtigen dabei den Salzgehalt des Wassers, die bakterielle Belastung und die Fließgeschwindigkeit, um dann mit ganz langen, heuristisch gewonnenen Formeln die Korrosionsbelastung auszurechnen. Dazu messen dann noch Taucher aufwendig die Dicke von Spundwänden.“ Für Grit Behrens ein weiterer klarer Fall von: „Das brauchen wir nicht mehr.“


    Weitere Informationen:

    https://www.hsbi.de/presse/pressemitteilungen/wie-hsbi-professorin-grit-behrens-... Pressemitteilung und weiteres Bildmaterial auf www.hsbi.de


    Bilder

    Die Idee hinter dem Forschungsprojekt Helios: Eine Kombination aus Wolkenkamera und KI weiß schon im Voraus, wieviel Strom die Anlage erzeugen wird und speichert ihn rechtzeitig.
    Die Idee hinter dem Forschungsprojekt Helios: Eine Kombination aus Wolkenkamera und KI weiß schon im ...

    Andreas Boschert/TH Rosenheim

    Prof. Dr.-Ing. Grit Behrens ist am Campus Minden der HSBI im Lehrgebiet Angewandte Informatik tätig. Ihr Forschungsschwerpunkt: Umweltinformatik.
    Prof. Dr.-Ing. Grit Behrens ist am Campus Minden der HSBI im Lehrgebiet Angewandte Informatik tätig. ...

    P. Pollmeier/HSBI


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Energie, Informationstechnik, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsprojekte, Kooperationen
    Deutsch


     

    Die Idee hinter dem Forschungsprojekt Helios: Eine Kombination aus Wolkenkamera und KI weiß schon im Voraus, wieviel Strom die Anlage erzeugen wird und speichert ihn rechtzeitig.


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    Prof. Dr.-Ing. Grit Behrens ist am Campus Minden der HSBI im Lehrgebiet Angewandte Informatik tätig. Ihr Forschungsschwerpunkt: Umweltinformatik.


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