idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
13.05.2025 11:32

Reformen, die wirken? Zur Umsetzung von aktuellen Migrations- und Integrationsgesetzen

Heike Köhn Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR)

    Im Bereich Migration und Integration wurden in den vergangenen Jahren viele Veränderungen auf den Weg gebracht und zum Teil mit hohen Erwartungen verknüpft: Insbesondere bei der Fachkräfteeinwanderung und Arbeitsmarktintegration sollen neue Gesetze und Verordnungen für einen erleichterten Zugang sorgen. Doch wie gelingt die Umsetzung in die Praxis? Ist die beabsichtigte Wirkung eingetreten? Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) hat in seinem Jahresgutachten 2025 die strukturellen Rahmenbedingungen für die Rechtsumsetzung und anhand konkreter Fallbeispiele die Umsetzung in die Praxis untersucht – und daraus Handlungsempfehlungen abgeleitet.

    „In dynamischen und kontrovers diskutierten Politikfeldern wie der Migrations- und Integrationspolitik steht die Politik unter einem hohen Erwartungsdruck. In den letzten Jahren wurden Gesetze teilweise in schneller Folge geändert. Das stellt für die ohnehin stark belasteten Verwaltungen eine Herausforderung dar, die Umsetzung kann daher mit dem Tempo der Rechtsetzung oft nicht Schritt halten“, erklärt der SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Winfried Kluth. „Da Bürgerinnen und Bürger die Reaktionsfähigkeit von Politik aber nicht allein daran bemessen, ob der Bund schnell Gesetze erlässt, sondern ob diese auch wirken, empfehlen wir der Politik, in der neuen Legislaturperiode die gute Umsetzung als Ziel verstärkt in den Blick zu nehmen.“ In seinem Jahresgutachten 2025 nimmt der SVR eine doppelte Perspektive ein: Im ersten Teil analysiert er allgemeine strukturelle Rahmenbedingungen der Rechtsumsetzung wie den Gesetzgebungsprozess und seine Bedeutung, die Zuständigkeitsverteilung im föderalen Staat und den Stand der Digitalisierung in der Verwaltung. Im zweiten Teil geht das Gutachten auf konkrete Praxisfelder wie das Fachkräfteeinwanderungsgesetz, den Job-Turbo und die Einbürgerungspraxis nach der Reform des Staatsangehörigkeitsrechts ein; gefragt wurde, wie die entsprechenden Regelungen umgesetzt werden, wie sie wirken und wo es noch Hürden gibt.

    „Die Analyse zeigt eines ganz klar: Schnelligkeit ist nicht alles. Damit Gesetze gut umgesetzt werden können, braucht es eine gute Vorbereitung, die die Umsetzung mitbedenkt. Wir empfehlen einen Praxis-Check: Durch die frühzeitige Beteiligung derjenigen Stellen, die Gesetze umsetzen müssen, sowie der Adressaten lässt sich sicherstellen, dass Gesetze und Regelungen die beabsichtigte Wirkung entfalten und keine ungewollten Folgen oder Nebenwirkungen auftreten“, sagt Prof. Kluth. „Schließlich haben behördliche Entscheidungen für die Betroffenen eine erhebliche und häufig existenzielle Bedeutung.“

    Fachkräfteeinwanderung: Behörden entlasten durch Einbezug von Unternehmen und mehr Marktlösungen, Zuständigkeiten zentralisieren

    Um die Fachkräfteeinwanderung zu erleichtern, empfiehlt der SVR im Kern drei Maßnahmen, mit denen die Verfahren vereinfacht und staatliche Stellen im Sinne der in der neuen Legislaturperiode angestrebten Aufgabenkritik entlastet werden. „Staatliche Aufgaben lassen sich erstens reduzieren durch Stärkung von Arbeitgebern, indem sie die Berufserfahrung potenzieller Arbeitskräfte beurteilen, und zweitens durch einen stärkeren marktbezogenen Ansatz im Bereich der Beratung. Drittens sollten Zuständigkeiten auf Bundesebene konzentriert werden, das nimmt Druck von den Ausländerbehörden“, sagt die Stellvertretende SVR-Vorsitzende Prof. Dr. Birgit Glorius. Die Anerkennung von ausländischen Berufserfahrungen hat mit dem weiterentwickelten Fachkräfteeinwanderungsgesetz an Bedeutung gewonnen. „Diese Aufgabe können Betriebe selbst übernehmen, die etwa durch Kammern zertifiziert worden sind oder sich in der Vergangenheit als seriöse Arbeitgebende erwiesen haben“, so der SVR-Vorsitzende Prof. Kluth.
    Auch bei der Beratungsinfrastruktur ist eine Arbeitsteilung zwischen Staat und Markt sinnvoll. Zwar ist angesichts der komplexen Optionen bei der Erwerbszuwanderung eine gezielte Beratung enorm wichtig. „Das muss aber nicht zwingend der Staat übernehmen“, sagt Prof. Kluth. „Warum sollten Unternehmen, für die betriebliche Personalpolitik eine Kernaufgabe ist, staatlich subventionierte Beratungsleistungen erhalten, wenn sie diese auch am Markt einkaufen können?“ Anders sieht es bei kleinen und mittleren Betrieben aus, die weder über eigene Personalabteilungen noch über die Mittel verfügen, um diese Dienstleistung zu finanzieren. Hier und auch für Arbeitnehmende hält der SVR staatlich finanzierte Beratungen weiterhin für notwendig. „Für alle anderen Zielgruppen ist die Marktlösung die bessere Alternative“, so Prof. Kluth.
    Der SVR unterstützt auch den Ansatz, bei der Fachkräfteeinwanderung Zuständigkeiten auf die Bundesebene zu verlagern. So könnte das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten (BfAA) Visa und Aufenthaltstitel bearbeiten und die Bundesagentur für Arbeit (BA) die Arbeitsmarktzulassung. Dies entlastet die Ausländerbehörden und vereinfacht und beschleunigt Prozesse. Dass die nationalen Visaverfahren weitgehend digitalisiert worden sind, stellt hierfür eine gute Voraussetzung dar.

    Job-Turbo: schnellerer Einstieg in Arbeit zu begrüßen, aber an sprachlicher und fachlicher Qualifizierung festhalten

    Mit dem im Oktober 2023 gestarteten Programm Job-Turbo sollten insbesondere ukrainische Geflüchtete schneller in Arbeit gebracht werden. Tatsächlich ist die Arbeitslosenquote bei ukrainischen Staatsangehörigen seit Anfang 2024 deutlich gesunken, auch wenn noch nicht klar ist, inwieweit dies unmittelbar auf den Job-Turbo zurückzuführen ist. „Deutschland hat damit Elemente aus dem ‚Arbeit zuerst‘-Ansatz aufgenommen, der in einigen anderen EU-Ländern verfolgt wird. Diese Flexibilisierung für eine leichtere Arbeitsaufnahme auch bei begrenzten Sprachkenntnissen und die Möglichkeiten einer Nachqualifizierung sehen wir grundsätzlich positiv“, sagt Prof. Glorius. „Ein vergleichender Blick auf Ansätze europaweit zeigt zugleich, dass sich der ‚Sprache zuerst‘-Ansatz in Deutschland bewährt hat und langfristig den Menschen eine höherwertige Beschäftigung ermöglicht.“ Daher sollte er auch nicht vollständig aufgegeben werden.

    Der SVR empfiehlt, Integrationskurse mit verlässlicher Kinderbetreuung sowie in Teilzeit anzubieten, um es den Teilnehmenden zu erleichtern, parallel zu arbeiten. Da sich fehlende Betreuungsplätze für Kinder als zentrales Hemmnis für die Berufstätigkeit geflüchteter Frauen erwiesen haben, sollte eine aufnahmefähige Betreuungsinfrastruktur als zentrale Rahmenbedingung für Integration verstanden werden. Häufig scheitert derzeit ein weiterer Ausbau frühkindlicher Bildungs- und Betreuungsangebote am Fachkräftemangel im frühpädagogischen Bereich. Daher sollten unbedingt auch die Potenziale ausländischer Fachkräfte in diesem Bereich in Wert gesetzt werden. „Deutschland muss hier die Anerkennungsverfahren für berufliche Qualifikationen vereinfachen und beschleunigen, ohne die Qualitätsstandards zu senken“, empfiehlt Prof. Glorius. Ein Ansatz ist die von Bund und Ländern im Dezember 2024 beschlossene Strategie, Verfahren durch Digitalisierung zu vereinfachen und englischsprachige und muttersprachliche Dokumente zu akzeptieren sowie Kompetenzen zu bündeln. Um Zugangshürden für Frauen abzubauen, sollten auch die Arbeitsbehörden ihre Praxis anpassen. „Arbeitsmarktpolitische Integrationsleistungen wie Qualifizierungsmaßnahmen sollten individuell gewährt werden, wie in anderen Ländern üblich. In Deutschland erhalten die Frauen häufig keine Möglichkeit, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung teilzunehmen, wenn der Ehemann genug verdient“, sagt Prof. Glorius.

    Staatsangehörigkeitsrecht: Verfahren optimieren, Anwendungsvorgaben überarbeiten, Behörden durch Lotsen entlasten

    Die Anfang 2024 beschlossene und zur Mitte des Jahres in Kraft getretene Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes hat Einbürgerungshürden abgebaut – unter anderem durch eine kürzere Mindestaufenthaltsdauer und die jetzt grundsätzliche Akzeptanz von Mehrstaatigkeit. Ziel der erleichterten Einbürgerungsvoraussetzungen ist es, Anreize für Integration zu schaffen, eine gleichberechtigte Teilhabe zu ermöglichen und Deutschland auch für ausländische Fachkräfte attraktiver zu machen. Zwar ist die Nachfrage nach Einbürgerungen seit Inkrafttreten der Reform gestiegen, doch verursachen Personalmangel, fehlende Digitalisierung und die komplexe Rechtslage einen Rückstau beim Bearbeiten der Anträge in den Einbürgerungsbehörden – verbunden mit langen Wartezeiten für Einbürgerungswillige. Der SVR hält daher Anpassungen bei der Umsetzung für notwendig. Stellschrauben sind das Bereitstellen von Anwendungshinweisen und Handreichungen für Behördenmitarbeitende sowie flächendeckende Schulungen etwa zu den komplexen Prüfaufgaben wie dem Identitätsnachweis oder dem Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Zu prüfen ist auch, wo sich Zuständigkeiten auf Länderebene zentralisieren und mit anderen Behörden besser verzahnen lassen. „Damit sich Einbürgerungsinteressierte auch tatsächlich dazu entschließen, den deutschen Pass zu beantragen, braucht es leicht zugängige Informationen und Beratungsangebote, sowohl online als auch vor Ort. Der SVR unterstützt hier den pragmatischen Ansatz von regelmäßigen kollektiven Informationsveranstaltungen. Ergänzend können auch communitybasierte Lotsenprojekte helfen, die einige Bundesländer schon umgesetzt haben. Diese entlasten die Behörden und können durch gute Vorbereitung dazu beitragen, die Verfahren zu beschleunigen“, empfiehlt Prof. Kluth.

    Migrationsverwaltung digitalisieren, Prozesse vereinfachen und Verfahren beschleunigen

    „Es braucht mehr Mut zur Vereinfachung“, sagt Prof. Glorius. „Deutschland braucht nicht immer mehr Gesetze, sondern eine effektivere Umsetzung. Da über Jahre zu wenig in Infrastruktur, ausreichendes Personal und in eine effiziente Verwaltung investiert wurde, sind viele Behörden überlastet: Die Digitalisierung kommt nur schleppend voran, Arbeitsprozesse sind überreguliert und dauern häufig zu lange und es fehlt an ausreichend geschultem Personal.“ Es sollte deshalb darum gehen, Bürokratie abzubauen, Prozesse stärker zu digitalisieren, Verfahren zu beschleunigen sowie die föderal organisierten Strukturen zu optimieren und Zuständigkeiten zu bündeln. Um die Wirkung von Gesetzen nachzuverfolgen, empfiehlt der SVR, Gesetzesvorhaben und Maßnahmen regelmäßig zu evaluieren und einer evidenzbasierten Aufgabenkritik zu unterziehen. „Dies gewährleistet, dass die eingesetzten Mittel im angemessenen Verhältnis zu den Zielen und zum Ergebnis stehen und für stabile Verwaltungsstrukturen sorgen“, sagt der SVR-Vorsitzende Prof. Kluth.

    Weitere Themen im SVR-Jahresgutachten 2025:
    • Fachkräftepotenzial durch die Chancenkarte ausschöpfen
    • Chancenaufenthaltsrecht: Erwerbstätigkeit als Brücke für einen ‚Spurwechsel‘ nutzen
    • Integrationsstrukturen in Kommunen nachhaltig gestalten, Finanzierung sichern

    ---
    Über den Sachverständigenrat
    Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Winfried Kluth (Vorsitzender), Prof. Dr. Birgit Glorius (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex, Ph.D., Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Hannes Schammann.

    Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de


    Originalpublikation:

    www.svr-migration.de/publikationen/jahresgutachten/2025/
    Hier finden Sie das SVR-Jahresgutachten 2025, ein Faktenpapier sowie weitere Informationen

    www.svr-migration.de/presse/jahresgutachten-2025/
    Die Presseinformation steht unter diesem Link zum Download bereit.


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
    Gesellschaft, Politik, Recht
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).