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14.05.2025 16:59

Deutschlands Bundeskanzler Merz: Eine Chance für Deutschland und Europa

Markus Kurz IESE Business School München
IESE Business School München

    Von Prof. Franz H. Heukamp, Dean der IESE Business School und Martin Jacob, Professor of Accounting and Control der IESE Business School

    Friedrich Merz ist Deutschlands neuer Bundeskanzler. Ist das eine gute Nachricht auch für Europa? Deutschland, traditionell als Wirtschaftsmotor Europas angesehen, hat eine längere Phase schwacher Konjunktur hinter sich. Zum dritten Mal in Folge gehört es zu den Ländern mit dem geringsten Wirtschaftswachstum in der Europäischen Union. Als größte Volkswirtschaft der Eurozone prägt Deutschland unweigerlich die Rahmenbedingungen in der gesamten EU und Wachstum in Deutschland ist relevant für ganz Europa.

    Unter dem neuen Bundeskanzler Friedrich Merz steht Deutschland vor vielen Herausforderungen, wobei drei strukturelle Herausforderungen besonders hervorstechen: die steigende Staatsverschuldung, sich verändernde Steuer- und Handelsdynamiken und eine alternde Bevölkerung. Wie diese Probleme angegangen werden, wird nicht nur die Konjunkturaussichten Deutschlands beeinflussen, sondern auch die der EU. Und im Hintergrund zeichnet sich eine weitere Herausforderung ab, die letztlich für die Amtszeit von Merz entscheidend sein könnte: Wie soll mit der steigenden Popularität der rechtsextremen AfD umgegangen werden?

    Fiskalpolitik im Wandel

    Ein zentrales Element der Wirtschaftspolitik von Merz ist die expansivere Fiskalpolitik. Geänderte Haushaltsregeln werden Deutschlands Schuldenquote voraussichtlich deutlich über den EU-Richtwert von 60 % steigen lassen. Dies bedeutet eine Abkehr von der traditionell vorsichtigen Fiskalpolitik Deutschlands hin zu einer Ausweitung öffentlicher Investitionen – um strukturellen und geopolitischen Herausforderungen zu begegnen.

    Eine höhere Staatsverschuldung dürfte jedoch auch über die Grenzen Deutschlands hinaus Auswirkungen auf die Finanzlage haben. Eine höhere Staatsverschuldung in Deutschland kann zu steigenden Kreditkosten für andere Länder führen, insbesondere für Länder mit hoher Verschuldung und Haushaltsdefiziten wie Frankreich, Italien und Spanien. Dies erhöht den Druck auf die Staatshaushalte.

    Darüber hinaus dürfte es zu Spillover-Effekten auf den Unternehmenssektor kommen. Steigende Renditen für Staatsanleihen führen tendenziell zu höheren Zinsen für Unternehmen, insbesondere in der EU, wo die Kapitalmärkte eng verflochten sind. Europäische Unternehmen könnten sich daher in den kommenden Jahren mit einem schwierigeren Finanzierungsumfeld konfrontiert sehen.

    Risiken im Bereich Steuer- und Handelspolitik

    Die Koalition des Kanzlers Merz mit den Sozialdemokraten deutet mit potentiellen Unternehmenssteuersenkungen und beschleunigten Abschreibungen auf eine wirtschaftsfreundliche Ausrichtung hin. Werden diese umgesetzt, stützen sie die deutschen Unternehmensinvestitionen und kommen auch europäischen Unternehmen zugute, die mit deutschen Partnern zusammenarbeiten.

    Der fiskalische Spielraum für solche Maßnahmen wird jedoch immer enger. Angesichts steigender Ausgaben und höherer Schuldenkosten könnte die Regierung gezwungen sein, die Steuern an anderer Stelle zu erhöhen. In diesem Zusammenhang dürften die Einkommensteuer und die Mehrwertsteuer – die größten Steuerquellen – ins Visier geraten. Solche Steuererhöhungen mögen zwar aus fiskalischer Sicht notwendig sein, könnten aber den Binnenkonsum schwächen und das Wachstum bremsen.

    Darüber hinaus wird die stark exportorientierte deutsche Wirtschaft durch die anhaltenden globalen Handelsspannungen auf die Probe gestellt. Eine Schwächung der Handelsbeziehungen Deutschlands zu den Vereinigten Staaten könnte den Weg für einen verstärkten innereuropäischen Handel ebnen. Spanien oder Frankreich mit ihrer etablierten industriellen Basis und ihrer tiefen Integration in die EU dürften, um zwei Beispiele zu nennen, von einer Neuausrichtung der Lieferketten und einer Verlagerung der Investitionsströme weg von der transatlantischen Unsicherheit profitieren.

    Demografischer Druck und politische Untätigkeit

    Schließlich sieht sich Deutschland wie viele andere Industrieländer mit einer alternden Bevölkerung und niedrigen Geburtenraten konfrontiert. Trotz des wachsenden Ungleichgewichts zwischen Erwerbstätigen und Rentnern will die Merz-Regierung die aktuellen Rentenleistungen beibehalten und das Renteneintrittsalter bei 67 Jahren belassen – eine Schwelle, die in der Praxis aufgrund von Frühverrentungen oft nicht erreicht wird. Ohne eine deutliche Erhöhung der Erwerbsquote oder der Nettozuwanderung ist die Nachhaltigkeit des Rentensystems gefährdet. Die Politik steht vor drei politisch heiklen Optionen: Kürzung der Rentenleistungen, Erhöhung der Sozialversicherungsbeiträge oder Anhebung des Rentenalters. Diese Entscheidungen sind politisch schwer zu verkaufen, doch eine Verschiebung der Debatte erhöht nur die langfristige Belastung für den Haushalt. Vor dieser demografischen Herausforderung steht nicht nur Deutschland, aber hier ist sie größer als beispielsweise in Spanien, das von einer relativ starken Nettozuwanderung insbesondere aus Lateinamerika und anderen Teilen Südeuropas profitiert.

    Risiken und Chancen für Europa

    Europa kann sich nicht vollständig vom wirtschaftlichen Kurs Deutschlands abkoppeln. Die Volkswirtschaften sind durch Handel, Investitionen und die gemeinsame Mitgliedschaft in der EU eng miteinander verbunden. Wenn es der Merz-Regierung gelingt, die Wirtschaft in Deutschland wieder anzukurbeln, werden Unternehmen von einer verbesserten Nachfrage und besseren Investitionsbedingungen in der gesamten EU profitieren. Darüber hinaus könnte eine stärkere Rolle Deutschlands in der internationalen Politik, insbesondere gegenüber den Vereinigten Staaten und in den allgemeinen Handelsbeziehungen, dazu beitragen, die Position Europas in einem unsicheren geopolitischen Umfeld zu stabilisieren. Merz hat signalisiert, dass Außenpolitik für ihn Priorität hat. Er könnte der EU eine Stimme geben, die viele in der Vergangenheit gefordert haben. Ein selbstbewusstes und außenpolitisch orientiertes Deutschland kann für jedes europäische Land ein wertvoller Partner sein.

    Die kommenden Monate werden zeigen, ob die deutsche Regierung einen tragfähigen Ausgleich zwischen fiskalischer Unterstützung, Strukturreformen und langfristiger Nachhaltigkeit findet. Der politische Konflikt mit der AfD könnte sich allerdings verschärfen und letztlich einen Großteil der Energie und Begeisterung absorbieren, die die neue Regierung derzeit an den Tag legt.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Franz H. Heukamp, Dean der IESE Business School
    https://www.iese.edu/faculty-research/faculty/franz-heukamp/
    Martin Jacob, Professor of Accounting and Control der IESE Business School
    https://www.iese.edu/faculty-research/faculty/martin-jacob/


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wirtschaftsvertreter, jedermann
    Politik, Wirtschaft
    überregional
    Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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