Wurzeln „spüren“ nicht nur die Schwerkraft, um sich im Boden auszubreiten und sich zu verankern. Bei Bedarf können sie auch die eingeschlagene Wachstumsrichtung verändern und Wasserquellen erreichen. Eine neue Studie von Wissenschafter:innen des Institute of Science and Technology Austria (ISTA) und der Northwest A&F University in China zeigt nun, dass Trockenheit diese Richtungsänderung erleichtert, indem sie die Wahrnehmung der Schwerkraft unterdrückt. Diese Erkenntnisse könnten dazu beitragen, Pflanzen zu entwickeln, die extremen Wetterbedingungen besser standhalten.
Pflanzen wachsen ständig, reagieren auf Umweltsignale und passen ihre Entwicklung dementsprechend an. Während sie ihre Triebe in Richtung Sonne strecken – Phototropismus genannt – breiten sie ihre Wurzeln mithilfe der Erdanziehungskraft aus – bekannt als Gravitropismus. Entdecken sie feuchte Bereiche im Erdboden, wird die eingeschlagene Richtung verändert. Diese Fähigkeit – der Hydrotropismus – sichert die Wasserversorgung der Pflanze.
Phototropismus und Gravitropismus sind relativ gut dokumentiert und werden seit mehr als einem Jahrhundert erforscht. Über den Hydrotropismus ist weit weniger bekannt, und das, obwohl dieser für Pflanzen von großer Bedeutung ist, insbesondere in Zeiten des Klimawandels.
Eine aktuelle Studie des Wittgenstein-Preisträgers 2024 und Professors Jiří Friml und der PhD-Studentin Adrijana Smoljan am Institute of Science and Technology Austria (ISTA), sowie Kolleg:innen von der Northwest A&F University in China gibt nun neue Erkenntnisse. Die Forschung zeigt, dass die Suche nach Wasser die Hemmung des Gravitropismus durch den Hydrotropismus-Hauptregulator „MIZ1“ erfordert. Die Ergebnisse wurden diese Woche in PNAS veröffentlicht.
Die Schwerkraft loswerden
Um den Hydrotropismus genauer zu erforschen, stellten sich Friml und Co. die Frage, was wohl passiert, wenn die Schwerkraft das Wurzelwachstum nicht mehr beeinflusst. Der Gravitropismus musste also ‚abgeschaltet‘ werden. Dafür könnte man Pflanzen zum Beispiel in den Weltraum schicken – wie das geht, zeigen das VEGGIE-Experiment der NASA oder Initiativen der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) zur Kultivierung von Pflanzen im All.
Für ihre aktuelle Forschung blieben die Wissenschafter:innen jedoch auf der Erde. Petrischalen mit A. thaliana-Setzlingen wurden auf eine langsam rotierende Plattform platziert. Durch die kontinuierliche Drehung ändert sich die Richtung der Schwerkraft ständig. Die Pflanze kann dadurch nicht mehr auf sie reagieren, da sie ihren Ursprung nicht erkennen kann. Friml vergleicht den Ansatz mit einer Uhr, bei der sich die Pflanzenwurzeln wie die Uhrzeiger drehen.
„Sobald wir die Schwerkraft ausgeschalten haben, konnten wir beobachten, dass der Hydrotropismus viel stärker wird“, erklärt Friml. „Unter normalen Bedingungen mit ausreichend Wasser überwiegt normalerweise der Gravitropismus. Wenn man den Gravitropismus jedoch ausschaltet, werden die Auswirkungen des Hydrotropismus deutlich.“
Bei Trockenheit wird Wasser der Schwerkraft vorgezogen
Anschließend entdeckten die Wissenschafter:innen, dass Pflanzen bei Trockenheit von Natur aus beginnen, den Gravitropismus bis zu einem gewissen Grad zu unterdrücken. „Das macht Sinn“, erklärt Friml. „Die Suche nach Wasser wird plötzlich wichtiger als das weitere Wachstum nach unten. Der Gravitropismus wird bei Trockenheit reduziert und die Pflanzen werden hydrotropischer.“
Aber was löst diesen Wechsel von Gravitropismus zu Hydrotropismus aus? Ein als MIZ1 bekanntes Protein erregte die Aufmerksamkeit der Forschenden. MIZ1 wurde vor Jahrzehnten von japanischen Wissenschafter:innen identifiziert und ist eines der wenigen Gene, von denen bekannt ist, dass sie für den Hydrotropismus wichtig sind.
Das Forschungsteam verglich bereits vorhandene mutierte Pflanzen, denen MIZ1 fehlt, mit Wildtyp-Pflanzen (‚normalen‘ Pflanzen). Sie entdeckten, dass bei den MIZ1-Mutanten die Unterdrückung des Gravitropismus als Reaktion auf Trockenheit nicht funktioniert. Die Pflanzen wiesen einen hydropischen Defekt auf – der Gravitropismus war weiterhin stark ausgeprägt. Ohne MIZ1 haben die Pflanzen also Schwierigkeiten, nach Wasser zu suchen, da dieses MIZ1 eben sonst den Gravitropismus der Wurzeln unterdrückt.
Wassersuche und Klimawandel
Zu verstehen, wie Pflanzen Wasser finden und auf Dürreperioden reagieren, ist in Zeiten des Klimawandels besonders wichtig. „Der letzte Winter in Wien war zum Beispiel besonders trocken“, erklärt Adrijana Smoljan. „So wurden auf der Wetterstation der Hohen Warte nur 32 Liter Niederschlag pro Quadratmeter gemessen – deutlich weniger als die üblichen 130 Liter. Infolgedessen waren die Böden sehr trocken, was die Gefahr von Waldbränden auch im Winter erhöhte.“
Solche extremen Wetterbedingungen unterstreichen einmal mehr die Bedeutung der Forschung der Friml Gruppe am ISTA. Je mehr wir darüber wissen, wie Pflanzen nach Wasser suchen, desto mehr können wir dazu beitragen, Pflanzen zu entwickeln, die besser mit Trockenheit umgehen können – ein wichtiger Schritt für die Landwirtschaft.
„Wenn man Mais- oder Weizenvarianten mit hochaktivem MIZ1-Protein identifiziert, könnte dieses in Varianten mit hohem Ertrag eingeführt werden. Theoretisch könnte man so Pflanzen erhalten, die in Dürreperioden besser Wasser aufnehmen können“, fügt Friml hinzu.
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Projektförderung:
Der ISTA-Teil des Projekts wurde aus Mitteln des Forschungs- und Innovationsprogramm „Horizon 2020“ der Europäischen Union (European Research Council grant agreement number 101142681, CYNIPS), des Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF, Grant Nummer: I 3630-B25), des Institute of Science and Technology Austria Fellow-Programms und des DOC-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) unterstützt.
Y. Zhang, Z. Bao, A. Smoljan, Y. Liu, H. Wang & Jiří Friml. 2025. Foraging for water by MIZ1-mediated antagonism between root gravitropism and hydrotropism. PNAS. DOI: 10.1073/pnas.2427315122
https://ista.ac.at/de/forschung/friml-gruppe/ Forschungsgruppe "Pflanzliche Entwicklungs- und Zellbiologie" am ISTA
Professor Jiří Friml mit der Ackerschmalwand (A. thaliana), dem Modellorganismus seiner Forschungsgr ...
© FWF/Luiza Puiu
Adrijana Smoljan. Die PhD-Studentin erforscht am ISTA, wie Pflanzen Wasserquellen finden und wie sie ...
© ISTA
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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