Studie: Automatische Auswertung von Katarakt-OP-Videos für optimierte Ausbildung & KI-Wettbewerb – Obwohl die manuelle Kleinschnitt-Kataraktoperation in den Ländern des globalen Südens weit verbreitet ist, gibt es keinen öffentlich zugänglichen OP-Video Datensatz für diese Operation, was eine kritische Lücke in der Kataraktchirurgie-Forschung hinterlässt. Daher hat ein internationales Forschungsteam an der Sankara Eye Foundation India unter Federführung des Universitätsklinikums Bonn (UKB) und der Universität Bonn erstmals eine automatisierte Phasenerkennung mittels KI bei der sogenannten Small Incision Cataract Surgery (SICS) entwickelt.
Die Ergebnisse der Studie sind jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „Scientific Reports“ veröffentlicht. Parallel dazu startet das internationale Forschungsteam nun einen weltweiten KI-Wettbewerb im Rahmen der MICCAI 2025-Konferenz in Daejeon (Südkorea), bei dem KI-Algorithmen zur OP-Phasenerkennung gegeneinander antreten werden. Einsendefrist ist der 15. August 2025.
Katarakt, umgangssprachlich „Grauer Star“, ist weltweit die häufigste Ursache für Erblindung, besonders betroffen sind Menschen in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen wie beispielsweise Indien. Die günstige und effektive SICS-OP-Methode wird in entsprechenden Ländern bevorzugt eingesetzt, ist aber aufgrund begrenzter Ressourcen und Ausbildungsmöglichkeiten oft mit schlechteren Ergebnissen verbunden. „Zudem ist die Anwendung von KI auf diese Technik noch zu wenig erforscht“, sagt Privatdozent Dr. Maximilian Wintergerst, Arbeitsgruppenleiter an der Augenklinik des UKB und Studienleiter des Projektes. Denn während für die in einkommensstarken Ländern vorherrschende Technik der Kataraktchirurgie, die sogenannte Phakoemulsifikation, Algorithmen für die KI-unterstützte Videoanalyse der einzelnen Operationsphasen bereits entwickelt wurden, gab es für die SICS bisher weder Datensätze noch Algorithmen. Die neue Studie stellt jetzt mit dem „SICS-105“ Datensatz erstmals Videos von manuellen Kleinschnitt-Kataraktoperationen öffentlich zur Verfügung. Der Datensatz beruht auf Operationen von 105 Patienten der Sankara Eye Hospitals in Indien.
Die Studie zeigt, dass das innovative, in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Jürgen Gall an der Universität Bonn entwickelte Deep-Learning-Modell „MS-TCN++“ unterschiedliche OP-Phasen wie Präparation der operativen Zugänge am Auge und der verschiedenen chirurgischen Schritte an der Linse mit über 85 Prozent Genauigkeit erkennen kann. „Die Analyse chirurgischer Phasen ist wichtig, weil sie einen quantitativen Vergleich zwischen verschiedenen Operateuren, Feedback zu identifizierten kritischen Schritten und die Erkennung von Abweichungen von chirurgischen Protokollen ermöglicht. Sie ist somit der erste Schritt zur automatischen Bewertung der chirurgischen Qualität“, sagt Dr. Kaushik Murali, President der medizinischen Verwaltung an der Sankara Eye Foundation India. Die transdisziplinäre Herangehensweise, die diese Fortschritte ermöglicht, wird auch von Erstautor Simon Mueller verkörpert: Nach einem MSc-Abschluss in Life Science Informatics der Universität Bonn studiert er nun in Maastricht Humanmedizin und verfolgt parallel dazu ein an der Bonner Informatik und der Augenklinik am UKB ko-betreutes Promotionsvorhaben.
SICS-155 Challenge: Neuer Meilenstein für Ausbildung und Forschung
Derzeit ruft das Forschungskonsortium zu einem KI-Wettbewerb zur Analyse solcher Operationsvideos auf. Dafür hat das Forschungsteam den ersten öffentlichen Datensatz für SICS der Studie mit chirurgischen Videos und von Hand markierten (annotierten) OP-Phasen auf insgesamt 155 Operationen mit 18 verschiedenen Phasen erweitert. Die Software zur Annotation wurde von Wissenschaftlern bei Microsoft Research India und der Sankara Eye Foundation entwickelt. Anschließend wurden die Annotationen von Augenärzten der Sankara Eye Foundation vorgenommen. „Mit der ‘SICS-155 Challenge’ laden wir internationale Teams ein, ihre KI-Algorithmen zur Phasenerkennung in 155 SICS-Operationen zu testen“, sagt Prof. Dr. Thomas Schultz vom b-it und Institut für Informatik der Universität Bonn sowie vom Lamarr Institute for Machine Learning and Artificial Intelligence. Er ist auch Mitglied in den Transdisziplinären Forschungsbereichen (TRA) „Modeling“ und „Life and Health“ der Universität Bonn. Von den Teilnehmenden erwartet das internationale Forschungsteam, dass sie einen Algorithmus zur Vorhersage chirurgischer Phasen auf der Grundlage von den zur Verfügung gestellten Videodaten einreichen und eine kurze Abhandlung über ihren Ansatz verfassen. „Mit dem Wettbewerb wollen wir den Fortschritt bei der automatischen Auswertung von OP-Videos aus Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen beschleunigen und so langfristig die Ausbildung von Operateuren sowie die Katarakt-OP-Ergebnisse verbessern“, sagt Wintergerst.
Automatische Detektion von OP-Instrumenten und Komplikationen folgt
Neben der „SICS-155 Challenge“ entwickeln die Informatiker bei Microsoft Research India und der Universität Bonn als nächsten Schritt Algorithmen zur automatischen Detektion von OP-Instrumenten und Komplikationen, wodurch die KI-basierte Videoanalyse von SICS Operationen weiter vorangebracht wird.
Partner und Förderung:
Das Projekt ist eine Kooperation zwischen dem Universitätsklinikum Bonn, der Universität Bonn, der Sankara Eye Foundation India und Microsoft Research India. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und die Else Kröner-Fresenius-Stiftung (EKFS) im Rahmen einer akademischen Klinikpartnerschaft der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Der KI-Wettbewerb wird zusätzlich vom Lamarr-Institut für Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz unterstützt.
Publikation: Simon Mueller et al.: Phase Recognition in Manual Small-Incision Cataract Surgery with MS-TCN++ on the Novel SICS-105 Dataset; Scientific Reports; DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-025-00303-z
Weitere Informationen zur Challenge und Registrierung:
https://medvisbonn.github.io
Die Einsendefrist für die Algorithmen ist der 15. August 2025. Die besten Beiträge werden auf der MICCAI Konferenz 2025 in Südkorea präsentiert und mit Preisen ausgezeichnet.
Pressekontakt:
Dr. Inka Väth
stellv. Pressesprecherin am Universitätsklinikum Bonn (UKB)
Stabsstelle Kommunikation und Medien am Universitätsklinikum Bonn
Telefon: (+49) 228 287-10596
E-Mail: inka.vaeth@ukbonn.de
Zum Universitätsklinikum Bonn: Im UKB finden pro Jahr etwa 500.000 Behandlungen von Patient*innen statt, es sind ca. 9.500 Mitarbeiter*innen beschäftigt und die Bilanzsumme beträgt 1,8 Mrd. Euro. Neben den 3.500 Medizin- und Zahnmedizin-Studierenden werden pro Jahr 550 Personen in zahlreichen Gesundheitsberufen ausgebildet. Das UKB steht in der Focus-Klinikliste auf Platz 1 unter den Universitätsklinika (UK) in NRW, hatte in 2023 in der Forschung über 100 Mio. Drittmittel und weist den zweithöchsten Case Mix Index (Fallschweregrad) in Deutschland auf. Das F.A.Z.-Institut hat das UKB mit Platz 1 unter den Uniklinika in der Kategorie „Deutschlands Ausbildungs-Champions 2024“ ausgezeichnet.
PD Dr. med. Maximilian Wintergerst
Arbeitsgruppenleiter
Klinik für Augenheilkunde
Universitätsklinikum Bonn
E-Mail: maximilian.wintergerst@ukbonn.de
Prof. Dr. Thomas Schultz
Bonn-Aachen International Center for Information Technology (b-it)
Institut für Informatik, TRA „Modeling“ & „Life and Health“
Universität Bonn
Principal Investigator Life Sciences, Lamarr-Institut
E-Mail: schultz@cs.uni-bonn.de
Simon Mueller et al.: Phase Recognition in Manual Small-Incision Cataract Surgery with MS-TCN++ on the Novel SICS-105 Dataset; Scientific Reports; DOI: 10.1038/s41598-025-00303-z
https://doi.org/10.1038/s41598-025-00303-z Publikation
Katarakt-OP am Sankara Eye Hospital wird per Video aufgenommen.
Sankara Eye Foundation India & Universitätsklinikum Bonn
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Medizin
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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