Eine aktuelle Studie des Leibniz-Instituts für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München zeigt: Auch weniger bitter schmeckende Erbsenproteinhydrolysate können ebenso starke Sättigungssignale in Magenzellen auslösen wie ihre bittereren Pendants. Entscheidend ist, dass bei ihrer Verdauung im Magensaft neue bittere Proteinfragmente entstehen, welche die Ausschüttung von Magensäure und des Botenstoffs Serotonin stimulieren – beide Signale tragen im Körper maßgeblich zum Sättigungsgefühl bei. Die Studienergebnisse eröffnen neue Perspektiven für die Entwicklung pflanzlicher Lebensmittel, die Gesundheit, Geschmack und Nachhaltigkeit sinnvoll vereinen.
Erbsenproteinhydrolysate sind Pulver aus enzymatisch oder chemisch aufgespaltenen Erbsenproteinen. Sie bestehen aus einer Mischung von kleinen Proteinfragmenten, sogenannten Peptiden, sowie freien Aminosäuren. Derzeit gewinnen sie in der Lebensmittelproduktion zunehmend an Bedeutung, da sie als gut verträglich gelten, ein hochwertiges Aminosäureprofil aufweisen und das Sättigungsgefühl fördern.
„Ein großes Manko ist jedoch ihr oft intensiver Bittergeschmack, den viele Verbraucherinnen und Verbraucher ablehnen“, erklärt Katrin Gradl, Erstautorin der Studie und Doktorandin am Leibniz-Institut. „Unser Ziel war es daher, Wege zu finden, diese geschmackliche Hürde zu überwinden, ohne die sättigende Wirkung der Produkte zu verlieren“, ergänzt Studienleiterin Veronika Somoza.
Die Herausforderung
Bittere Peptide können im Magen jedoch Signale auslösen, die den Sättigungseffekt verstärken. Den Bittergeschmack der Proteinhydrolysate lediglich zu reduzieren, könnte daher auch ihre sättigende Wirkung mindern. „Unsere früheren Untersuchungen mit Milchproteinen hatten jedoch gezeigt, dass solche bioaktiven, bitteren Peptide nicht zwingend im Ausgangsprodukt enthalten sein müssen, sondern auch erst während der Verdauung im Magensaft entstehen können“, erklärt Co-Autor Phil Richter aus dem Team von Veronika Somoza.
Vor diesem Hintergrund simulierte das Forschungsteam die Magenverdauung eines bitteren und eines weniger bitteren Proteinhydrolysats mithilfe künstlichen Magensafts und analysierte anschließend die neu entstandenen Peptide.
Verdauungsprodukte mit Sättigungseffekt
Mittels chemischer und computergestützter Analysemethoden sowie sensorischer Tests identifizierte das Forschungsteam in beiden Verdauungsprodukten jeweils drei bittere Peptide. Alle sechs Peptide stimulierten in einer menschlichen Magenzelllinie die Freisetzung von Magensäure und Serotonin – unabhängig von der ursprünglichen Bitterkeit des Produkts. „Bemerkenswert war, dass die Peptide aus dem weniger bitteren Hydrolysat die Serotoninfreisetzung besonders stark anregten“ berichtet Katrin Gradl. Darüber hinaus wiesen die Forschenden nach, dass zwei Bitterrezeptortypen an der Auslösung der Sättigungssignale in den Testzellen beteiligt waren.
Fazit: Auch aus weniger bitteren Erbsenproteinhydrolysaten können sich durch den Verdau im Magensaft bioaktive Peptide bilden, die über Bitterrezeptoren Sättigungssignale auslösen. Veronika Somoza betont jedoch: „Um den Einfluss dieser Peptide auf das menschliche Essverhalten und die Gewichtskontrolle endgültig zu beurteilen, sind Humanstudien erforderlich.“ Dennoch zeigt die Studie schon jetzt molekulare Mechanismen auf, die sich nutzen lassen, um gezielt Proteinhydrolysate geschmacklich zu optimieren – ohne dabei durch Bitterstoffe ausgelöste, sättigende Effekte einzuschränken.
Publikation:
Gradl, K., Richter, P., and Somoza, V. (2025). Bitter peptides formed during in-vitro gastric digestion induce mechanisms of gastric acid secretion and release satiating serotonin via bitter taste receptors TAS2R4 and TAS2R43 in human parietal cells in culture. Food Chem 482, 144174. 10.1016/j.foodchem.2025.144174. https://doi.org/10.1016/j.foodchem.2025.144174
Förderung:
Das IGF-Vorhaben 21916 N der Forschungsvereinigung Forschungskreis der Ernährungsindustrie e.V. (FEI) wurde im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.
Hintergrundinformation:
Pflanzliche Proteine gelten als umweltfreundliche Alternative zu tierischen Proteinen, da ihre Herstellung etwa fünf- bis zehnmal weniger Energie und Wasser und rund 80 Prozent weniger Agrarflächen benötigt.
Krankhaftes Übergewicht (Adipositas) gilt als Volkskrankheit mit schwerwiegenden Folgen wie Typ-2-Diabetes oder bestimmten Krebsarten. Eine proteinreiche Ernährung kann helfen, das Körpergewicht besser zu kontrollieren, da sie das Sättigungsgefühl erhöht und so einer übermäßigen Energieaufnahme entgegenwirkt. Ebenso gibt es Studien, die zeigen, dass verkapselt verabreichte Bitterstoffe bei gesunden Erwachsenen über die Aktivierung extraoraler Bitterrezeptoren eine Sättigung auslösen.
Serotonin ist eines der wichtigsten Hormone, welche die Nahrungsaufnahme regulieren. Mehr als 90 Prozent des Serotonins in unserem Körper befindet sich in bestimmten Zellen der Magen-Darm-Schleimhaut und des Nervensystems.
Sowohl der Darm als auch der Magen sind an der hormonellen Hunger-Sättigungsregulation beteiligt. Einige Bitterstoffe können die Magensäuresekretion anregen, die Serotoninausschüttung aus Magenzellen erhöhen, die Magenentleerung verzögern sowie eine sättigende Wirkung entfalten. Interessanterweise zählen auch Eiweißbausteine wie bitter schmeckende Peptide und Aminosäuren zu den Bitterstoffen mit Sättigungseffekt.
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Das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München besitzt ein einzigartiges Forschungsprofil an der Schnittstelle zwischen Lebensmittelchemie & Biologie, Chemosensoren & Technologie sowie Bioinformatik & Maschinellem Lernen. Weit über die bisherige Kerndisziplin der klassischen Lebensmittelchemie hinausgewachsen, leitet das Institut die Entwicklung einer Systembiologie der Lebensmittel ein. Sein Ziel ist es, neue Ansätze für die nachhaltige Produktion ausreichender Mengen an Lebensmitteln zu entwickeln, deren Inhaltsstoff- und Funktionsprofile an den gesundheitlichen und nutritiven Bedürfnissen, aber auch den Präferenzen der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgerichtet sind. Hierzu erforscht es die komplexen Netzwerke sensorisch relevanter Lebensmittelinhaltsstoffe entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit dem Fokus, deren physiologische Wirkungen systemisch verständlich und langfristig vorhersagbar zu machen.
Das Leibniz-Institut ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft (https://www.leibniz-gemeinschaft.de/), die 96 selbständige Forschungseinrichtungen verbindet. Leibniz-Institute widmen sich gesellschaftlich, ökonomisch und ökologisch relevanten Fragen. Sie betreiben erkenntnis- und anwendungsorientierte Forschung, auch in den übergreifenden Leibniz-Forschungsverbünden, sind oder unterhalten wissenschaftliche Infrastrukturen und bieten forschungsbasierte Dienstleistungen an. Die Leibniz-Gemeinschaft setzt Schwerpunkte im Wissenstransfer, vor allem mit den Leibniz-Forschungsmuseen. Sie berät und informiert Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Öffentlichkeit.
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Katrin Gradl bei Arbeiten im Zellkulturlabor
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