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03.06.2025 11:06

Prävention gegen auslandsbezogenen Extremismus: frühe Sensibilisierung erforderlich

Jochen Hövekenmeier Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge

    Der auslandsbezogene Extremismus (AEX) umfasst unterschiedliche extremistische Gruppierungen, die in Deutschland aktiv sind, aber politische Ziele im Ausland verfolgen. Beispiele hierfür sind die Grauen Wölfe im rechten und die (ehemalige) kurdische PKK im linken Spektrum. Der Verfassungsschutz schätzt, dass 30.650 Personen dem AEX zugeordnet werden können. Eine neue Studie des BAMF-Forschungszentrums untersucht, wie wirkungsvoll die Präventionsstrukturen gegen AEX aufgestellt sind und welchen Herausforderungen sie gegenüberstehen. Sie zeigt: trotz Ausbau sind die Angebote fragmentiert, selten miteinander vernetzt und erreichen nur wenige gefährdete oder radikalisierte Personen.

    AEX steht für ein breites Spektrum von links- bis rechtsextremistischen Ideologien, teils mit religiösen oder separatistischen Elementen. Obwohl das Personenpotenzial sowie damit assoziierte Straftaten steigen, ist die Präventionsarbeit in diesem Bereich in Deutschland ein bislang kaum beachtetes Handlungsfeld. Die bestehenden Präventionsmaßnahmen sind reaktiv entstanden und selten aufeinander abgestimmt. Das ist eines der Ergebnisse der Analyse von Nelia Miguel Müller, Dr. Alina Neitzert und Alexandra Wielopolski-Kasaku vom BAMF-Forschungszentrum (BAMF-FZ). Die Wissenschaftlerinnen untersuchen im Forschungsbericht „Präventionsstrukturen gegen auslandsbezogenen Extremismus“ den Status Quo und die Herausforderungen der Präventionsarbeit im Bereich AEX.

    Präventionsangebote deutschlandweit

    Neben staatlichen Präventionsprogrammen gibt es in Deutschland auch zivilgesellschaftliche Angebote. Die in der Präventionsarbeit verfolgten Ansätze sind vielfältig und reichen von spezifischen Beratungsprogrammen, in denen einzelne Ideologien bearbeitet werden, bis hin zur Beschäftigung mit dem gesamten Spektrum der Extremismen mit Auslandsbezug. Der geografische Schwerpunkt der Beratungsprogramme liegt im Westen der Bundesrepublik. In ostdeutschen Regionen sind aufgrund des deutlich geringeren Personenpotenzials bislang nur vereinzelte Angebote vorhanden. „In den vergangenen Jahren sind die Präventionsprogramme gegen AEX deutlich ausgeweitet worden. Da die Angebote in diesem Bereich noch sehr jung sind, konnten sich bislang noch keine echten Koordinationsstrukturen entwickeln“, stellt Nelia Miguel Müller fest.

    Nur wenige nehmen Präventionsangebote wahr

    Die Untersuchung betrachtet vorhandene Angebote in der Sekundär- und Tertiärprävention. Das bedeutet, dass die Angebote vor allem Personen ansprechen, die bereits radikalisiert sind und eventuell bereits extremistische Straftaten begangen haben. Die Beratungsangebote sollen den Betroffenen dabei helfen, sich von extremistischen Ideologien zu distanzieren und aus extremistischen Milieus auszusteigen. Dabei werden sowohl die radikalisierten Personen selbst als auch Menschen aus ihrem sozialen Umfeld beraten. Die Zahl der Betroffenen, die im Erhebungszeitraum in einer Beratung waren, lag jedoch nur im unteren zweistelligen Bereich. Im Vergleich zu der vom Bundesamt für Verfassungsschutz geschätzten Zahl der tatsächlich Betroffenen (circa 30.650 im Jahr 2023), klafft hier eine große Lücke. In ihrer Studie untersuchen die Forscherinnen des BAMF-FZ mögliche Gründe für die eingeschränkte Erreichbarkeit Betroffener.

    Warum erreichen Präventionsangebote Betroffene kaum?

    Ein Grund für die mangelnde Erreichbarkeit von Betroffenen ist der hohe interne Zusammenhalt der Gruppierungen im Bereich AEX. „Für Beratungskräfte ist es sehr schwer, Zugang zu gefährdeten oder radikalisierten Personen zu erhalten, zumal die Radikalisierung meist im familiären Kontext stattzufinden scheint“, erläutert Nelia Miguel Müller. Ein Ausstieg ist unter Umständen mit einem Bruch mit der Familie verbunden, was eine erhebliche Hürde darstellt. Ein weitgehend fehlendes Problembewusstsein erschwert ebenfalls die Beratungsarbeit. Betroffene oder ihr Umfeld sehen häufig keine Notwendigkeit dafür oder wenden sich an eine fachlich nicht passende Stelle.

    Niedrigschwellige und umfassende Sensibilisierung nötig

    Basierend auf diesen Ergebnissen formuliert der Forschungsbericht Empfehlungen zur Optimierung der Präventionsarbeit: Um die Reichweite der Beratungsarbeit im Bereich AEX zu erhöhen, sind eine umfassende Sensibilisierung sowie der Ausbau der Primärprävention von zentraler Bedeutung. Wichtige Orte dafür sind Schulen, gefährdete Milieus, Migrantenorganisationen sowie Kommunen und Behörden. Die Erfahrungen in der AEX-Prävention sind bislang überschaubar und geografisch ungleich verteilt. Es gibt nur regional beschränkte oder informelle Netzwerke zwischen den Akteurinnen und Akteuren. Für das Gelingen der Präventionsarbeit sind ein Wissenstransfer, beispielsweise in Form thematischer Austauschformate, sowie eine funktionierende Verweisberatung daher unerlässlich.

    Nähere Informationen zur Studie:

    Bislang fehlt eine belastbare wissenschaftliche Grundlage, um Aussagen über die Präventionsarbeit im Bereich AEX treffen zu können. Vorhandene Forschungsarbeiten zum auslandsbezogenen Extremismus befassen sich eher mit den Ideologien und Entwicklungen einzelner Bewegungen und weniger mit Präventionsangeboten in diesem Bereich. Diese Studie stellt die Präventionslandschaft in Deutschland dar, untersucht die Grenzen dieser und diskutiert, welche Schlussfolgerungen daraus für die Weiterentwicklung der Präventionsangebote gezogen werden können.

    Im Forschungsprojekt wurden im Rahmen von qualitativen Expertinnen- und Experteninterviews Informationen über die Präventionslandschaft und praxisnahes, institutionelles Wissen zur Präventionspraxis erhoben und ausgewertet. Der Erhebungszeitraum lag zwischen dem 30. Mai 2023 und dem 07. September 2023. Da der Fokus der Forschungsarbeit auf Sekundär- und Tertiärprävention liegt, wurden ausschließlich Stellen betrachtet, die in diesen Bereichen aktiv sind oder die Aufnahme solcher Aktivitäten planen. Angebote im Primärbereich flossen nicht in die Erhebung ein. Die Ergebnisse beziehen sich größtenteils auf extremistische Gruppierungen mit Türkeibezug, vor allem den türkischen Ultranationalismus der Grauen Wölfe und den kurdisch-separatistischen Linksextremismus der PKK. Diese stellten bis zum Erhebungszeitraum die dominanten Gruppierungen im Bereich des AEX in Deutschland dar und gehören zugleich zu den vom Personenpotenzial her größten extremistischen Gruppierungen in Deutschland.

    Ansprechpartner für Medienanfragen:

    Jochen Hövekenmeier
    Pressestelle Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
    Telefon: +49 911 943 17799
    E-Mail: pressestelle@bamf.bund.de

    Über das BAMF-Forschungszentrum:

    Mit der Arbeit des 2005 gegründeten Forschungszentrums kommt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) seiner gesetzlichen Aufgabe nach, wissenschaftliche Forschung zu Migrations- und Integrationsthemen zu betreiben. Das Forschungszentrum betrachtet das Migrationsgeschehen nach und von Deutschland und analysiert die Auswirkungen der Zuwanderung. Es begleitet Integrationsprozesse und trägt mit seinen Erkenntnissen entscheidend zur Weiterentwicklung von Integrationsmaßnahmen auf Bundesebene bei. Weitere Forschungsschwerpunkte sind u. a. Erwerbs- und Bildungsmigration, Fluchtmigration, Rückkehr und sicherheitsrelevante Aspekte der Zuwanderung. Damit leistet das BAMF-Forschungszentrum einen grundlegenden Beitrag zum Informationstransfer zwischen Wissenschaft, Verwaltung, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.

    Weitere Informationen unter:
    https://www.bamf.de/DE/Themen/Forschung/forschung-node.html


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Nelia Miguel Müller, BAMF-FZ
    Kontakt: https://www.bamf.de/SharedDocs/Struktur/Personen/DE/WissenschaftlicheMA/mueller-...


    Originalpublikation:

    Miguel Müller N., Neitzert, A., & Wielopolski-Kasaku, A. (2025). Präventionsstrukturen gegen auslandsbezogenen Extremismus (Forschungsbericht 52). Nürnberg. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. https://doi.org/10.48570/bamf.fz.fb.52.d.2025.praevaex.1.0

    https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/Forschungsberichte/fb52-prae...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Gesellschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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