Ein Team von Forschenden des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie hat gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen die Biosynthese von Ipecacuanha-Alkaloiden untersucht. Die Forschenden verglichen zwei Pflanzenarten und stellten fest, dass beide zwar ähnliche chemische Ansätze nutzen, jedoch unterschiedliche Enzyme und Ausgangsstoffe verwenden. Die Erkenntnisse sind wichtig, um die Produktion dieser Stoffe in größerem Maßstab zu ermöglichen.
Auf den Punkt:
• Gleiche Wirkstoffe: Die medizinisch interessanten Ipecacuanha-Alkaloide kommen in zwei sehr unterschiedlichen Pflanzenarten vor.
• Unterschiedliche Bausteine: Die Pflanzen nutzen ähnliche chemische Wege zur Biosynthese dieser Wirkstoffe, aber andere Ausgangsstoffe und Enzyme.
• Unabhängige Evolution: Die Bildung der Stoffe hat sich in beiden Arten unabhängig voneinander entwickelt.
• Bessere medizinische Nutzung: Die Erkenntnisse können dabei helfen, die Wirkstoffe einfacher und in größerem Maßstab herzustellen.
Pflanzen produzieren eine enorme Fülle von Naturstoffen. Viele pflanzliche Naturstoffe sind sehr spezifisch und kommen nur in bestimmten Pflanzenfamilien vor, manchmal sogar nur in einer einzigen Art. Interessanterweise kommen die gleichen Substanzen aber auch in weitläufig verwandten Arten vor. Meist kennt man jedoch nur das Endprodukt, und es ist weitgehend unklar, wie diese Substanzen in den Pflanzen gebildet werden. Ipecacuanha-Alkaloide kommen in zwei Pflanzenarten vor, die als Heilpflanzen bekannt sind und nur entfernt miteinander verwandt sind: in der Brechwurzel Carapichea ipecacuanha aus der Familie der Enziangewächse und in dem aus der ayurvedischen Medizin bekannten Salbeiblättrigen Alangium (Alangium salviifolium) aus der Familie der Hartriegelgewächse. Frühere Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass beide Arten Ipecacuanha-Alkaloide produzieren. Insbesondere der Brechwurzelextrakt („Ipecacuanha-Brechmittel“) war bis in die 1980er Jahre ein weit verbreitetes apothekenpflichtiges Arzneimittel (vor allem in Nordamerika), das zum Auslösen von Erbrechen bei Vergiftungen eingesetzt wurde. Die Wirkstoffe, die das Erbrechen auslösen, sind Cephaelin und Emetin, die sich beide von der Vorstufe Protoemetin ableiten, deren Bildung jedoch weitgehend unbekannt war. Nur zwei kleinere Studien hatten einige Enzyme in der Brechwurzel identifiziert, aber die meisten Enzyme waren unbekannt, und in Alangium waren überhaupt keine Enzyme bekannt.
Daraus ergaben sich für Maite Colinas, Erstautorin der Studie und Leiterin der Projektgruppe Evolution und Regulierung der Biosynthese von Naturstoffen in der Abteilung Naturstoffbiosynthese am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Jena, die zentralen Fragen:
„Der letzte gemeinsame Vorfahre dieser Arten lebte vor mehr als 100 Millionen Jahren, daher stellten wir die Hypothese auf, dass die beiden Arten unabhängig voneinander Wege zur Herstellung von Ipecacuanha-Alkaloiden entwickelt hatten. Eine Schlüsselfrage war, ob sie sowohl chemisch als auch enzymatisch die gleichen oder unterschiedliche Wege zur Herstellung dieser Verbindungen gefunden hatten.“
Zunächst fand das Team heraus, dass Ipecacuanha-Alkaloide in allen pflanzlichen Geweben beider Arten in gewissem Umfang vorhanden sind, dass sie aber in jungen Blattgeweben und in unterirdischen Pflanzenorganen in viel höheren Mengen vorkommen. Durch den Vergleich von Geweben mit hohen und niedrigen Ipecacuanha-Alkaloidgehalten konnten Gene identifiziert werden, die an der Biosynthese beteiligt sein könnten. Durch weitere Tests und die genetische Transformation einer Modellpflanze konnte der Biosyntheseweg in beiden Arten Schritt für Schritt rekonstruiert werden. Dabei hielt der Stoffwechselweg einige Überraschungen bereit: Entgegen den Erwartungen scheint der erste Schritt der Biosynthese nicht von einem Enzym kontrolliert zu werden, sondern läuft spontan ab. Eine weitere Überraschung war die Beteiligung eines ungewöhnlichen Enzyms. Seine dreidimensionale Struktur unterschied sich völlig von allen anderen Enzymen, die die gleiche Reaktion, nämlich die Spaltung eines Zuckermoleküls, katalysieren.
„Diese Enzymklasse ist normalerweise nicht an der Produktion von Naturstoffen beteiligt. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum es das letzte Enzym war, das wir in dieser Studie identifiziert haben“, berichtet Maite Colinas.
Interessanterweise konnten die Zucker abspaltenden Enzyme im Zellkern nachgewiesen werden, während das Substrat in der Vakuole vermutet wird. Nach der Zuckerabspaltung sind die Substanzen sehr reaktiv und somit wahrscheinlich toxisch. Durch die räumliche Trennung von Substrat und Enzym vermeidet die Pflanze die mutmaßliche toxische Anhäufung dieser Giftstoffe. Wenn jedoch ein Pflanzenfresser, wie z. B. eine Raupe, an der Pflanze frisst, werden die Zellen zerstört, Enzym und Substrat kommen zusammen und die toxischen Substanzen werden nur in dem Moment als Abwehrstoffe gebildet, in dem sie auch benötigt werden. Ähnliche Abwehrsysteme mit räumlicher Trennung von Enzym und Substrat wurden bereits für andere Naturstoffe beschrieben, z.B. für Senfölglykoside, Saponine oder monoterpenoide Indolalkaloide. Pflanzen nutzen also immer wieder die gleichen Abwehrmechanismen, allerdings mit chemisch völlig unterschiedlichen Verbindungen.
Ein Vergleich der an der Biosynthese beteiligten Enzyme der beiden untersuchten Pflanzenarten legt nahe, dass sie die Herstellung der gleichen Gruppe von Alkaloiden im Verlauf der Evolution unabhängig voneinander entwickelt haben.
„Da sich die Biosynthese von Ipecacuanha-Alkaloiden unabhängig entwickelt zu haben scheint, dient dieser Weg als Modell für die Erforschung der Evolution von Naturstoffwegen. Nachgeschaltete Metaboliten, insbesondere in Alangium (z. B. Tubulosin), haben darüber hinaus interessante pharmakologische Wirkungen, aber ihre spezifischen Wirkungen sind aufgrund ihrer geringen Häufigkeit noch wenig erforscht. Daher könnte unsere Forschung dazu führen, dass diese Verbindungen in Zukunft in größeren Mengen verfügbar sind, sodass ihre pharmakologischen Aktivitäten genauer untersucht werden können“, erläutert Sarah O’Connor, die Leiterin der Abteilung Naturstoffbiosynthese am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie die Bedeutung der Studie.
In weiteren Arbeiten sollen nun noch die letzten Schritte Biosyntheseschritte aufgeklärt werden, denn bislang konnte der gesamte Stoffwechselweg nur bis zum zentralen Zwischenprodukt Protoemetin nachgewiesen werden, aber nicht die Schritte zu den Endprodukten.
Dr. Maite Colinas, Max Planck Institute for Chemical Ecology, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Germany, Phone +49 3641 57-1262, E-Mail mmartinez@ice.mpg.de
Prof. Dr. Sarah O’Connor, Max Planck Institute for Chemical Ecology, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Germany, Phone +49 3641 57-1200, E-Mail oconnor@ice.mpg.de
Colinas, M., Morweiser, C., Dittberner, O., Chioca, B., Alam, R., Leucke, H., Nakamura, Y., Serna Guerrero, D. A., Heinicke, S., Wurlitzer, J., Ploss, K., Hong, B., Grabe, V., Lopes, A. A., O’Connor, S. E. (2025). Ipecac alkaloid biosynthesis in two evolutionarily distant plants. Nature Chemical Biology, doi: 10.1038/s41589-025-01926-z
https://www.nature.com/articles/s41589-025-01926-z
https://www.ice.mpg.de/495362/PR_Colinas - Pressemeldung auf der Webseite des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie
https://www.ice.mpg.de/462616/evolution-and-regulation-of-natural-product-biosyn... Projektgruppe Evolution und Regulierung der Biosynthese von Naturstoffen
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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