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04.06.2025 08:36

Antiviral aktive Substanzen mit breitem Wirkspektrum entdeckt

Dr. Nicola Wittekindt Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung

    Ein Forschungsteam unter Beteiligung des DZIF hat zwei breit wirksame antivirale Wirkstoffkandidaten identifiziert. Die Studie zeigt, wie eine Kombination aus computergestützter Modellierung und Validierung im Labor dabei helfen kann, schneller neue Medikamente gegen Viren zu entwickeln. Mithilfe von Computersimulationen wurde gezielt nach Stoffwechselprozessen gesucht, die Viren zur Vermehrung benötigen, für die Zelle selbst jedoch nicht lebenswichtig sind. Mit dieser Methode konnte das Team zwei Wirkstoffe identifizieren, die in ersten Labortests erfolgreich verschiedene Viren bekämpften. Die Studie wurde kürzlich in der Fachzeitschrift Communications Biology veröffentlicht.

    Die COVID-19-Pandemie hat verdeutlicht, wie dringend antivirale Medikamente mit breitem Wirkspektrum benötigt werden – sowohl zur Behandlung aktueller Infektionen als auch zur Vorsorge gegen mögliche neue Erreger mit pandemischem Potenzial. Ein interdisziplinäres Forschungsteam aus Bioinformatiker:innen, Systembiolog:innen und Virolog:innen hat nun ein vielversprechendes Verfahren entwickelt, das computerbasierte Modellierung und experimentelle Überprüfung kombiniert. Dadurch beschleunigt dieses Verfahren die zeitaufwändige Identifizierung und Entwicklung antiviraler Wirkstoffe, was einen wichtigen Beitrag bei zukünftigen Pandemien leisten kann.

    Aufspüren potenzieller Ziele für antivirale Therapien

    Anhand von Daten aus virusinfizierten Geweben entwickelte das internationale Team Computermodelle, die den komplexen Stoffwechsel von Zellen abbilden. In diesen gewebespezifischen Modellen simulierte das Team anschließend die Vermehrung verschiedener RNA-Viren, die aufgrund ihres Pandemiepotenzials von besonderer Bedeutung sind. Durch die Modellierung wurden Prozesse im Zellstoffwechsel sichtbar, die die Viren für ihre Vermehrung benötigen, für das Überleben der Zelle jedoch nicht entscheidend sind.

    „Mit diesen Modellen haben wir gezielt Stoffwechselwege vorausgesagt, die für die Virusvermehrung essenziell sind und somit potenzielle Angriffspunkte für antivirale Therapien darstellen“, erklärt Prof. Dr. Andreas Dräger von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, der bis Anfang dieses Jahres als DZIF-Wissenschaftler am Institut für Bioinformatik und Medizinische Informatik der Universität Tübingen forschte.

    „Anschließend suchten wir in bestehenden Wirkstoffdatenbanken nach Substanzen, die genau diese Stoffwechselprozesse hemmen“, so Alina Renz, Erstautorin der Studie. Da die meisten Viren ähnliche Grundbedürfnisse bei der Vermehrung haben, vermutete das internationale Forschungsteam aus Deutschland, Frankreich, Italien, Griechenland und Australien, dass sich mit dieser Strategie verschiedenste Viren blockieren lassen.

    Identifizierung von Substanzen mit breiter antiviraler Aktivität

    „Diese Hypothese haben wir dann experimentell überprüft und dabei verschiedene Substanzen gefunden, die eine breite antivirale Aktivität gegen ganz unterschiedliche Virusfamilien aufweisen”, sagt Prof. Dr. Michael Schindler, Leiter der Sektion Molekulare Virologie am Institut für Medizinische Virologie und Epidemiologie der Viruskrankheiten am Universitätsklinikum Tübingen. Infektionsexperimente in Zellkulturen bestätigten, dass zwei Wirkstoffkandidaten – Phenformin und Atpenin A5 – die Virusvermehrung wirksam blockieren.

    „Phenformin greift in den Stoffwechsel der Zelle ein und wurde deshalb früher als Medikament gegen Diabetes eingesetzt”, erläutert Prof. Dr. Christoph Kaleta vom Institut für Experimentelle Medizin der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein. „Da Phenformin für die Anwendung beim Menschen sehr gut beschrieben und charakterisiert ist, könnte aufbauend auf unseren Erkenntnissen relativ kurzfristig eine unterstützende Therapie gegen Infektionen mit Corona- oder Flaviviren etabliert werden.”

    Im Tierversuch mit SARS-CoV-2-infizierten Hamstern führte Phenformin zu einer signifikanten Reduktion der Viruslast in den Atemwegen. In Zellkulturen hemmte Phenformin zudem die Vermehrung von Dengue-Viren, gegen die es bislang keine zugelassene Therapie gibt.

    Die Verträglichkeit von Phenformin beim Menschen ist bereits aus umfangreichen klinischen Studien zur Anwendung als Antidiabetikum bekannt. Um zu prüfen, ob Phenformin auch beim Menschen antiviral wirkt, sind weitere klinische Studien erforderlich. Im Gegensatz dazu ist Atpenin A5 eine experimentelle Substanz, die exemplarisch zeigt, dass der methodische Ansatz in der Zellkultur umsetzbar ist. Ob Varianten der Substanz im Tiermodell eingesetzt werden können und dort sowohl verträglich als auch antiviral wirken, muss in weiteren Studien überprüft werden.

    Die entwickelten Methoden und die identifizierten Wirkstoffkandidaten leisten einen wichtigen Beitrag zur raschen Entwicklung von möglichen Behandlungsmethoden bei künftigen Pandemien, so die Wissenschaftler:innen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Andreas Dräger
    Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
    andreas.draeger@informatik.uni-halle.de

    Prof. Dr. Michael Schindler
    Universitätsklinikum Tübingen
    michael.schindler@med.uni-tuebingen.de

    Prof. Dr. Christoph Kaleta
    Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
    c.kaleta@iem.uni-kiel.de


    Originalpublikation:

    Renz A. et al, Metabolic modeling elucidates phenformin and atpenin A5 as broad-spectrum antiviral drugs against RNA viruses, Communications Biology, 23 Mai 2025, https://doi.org/10.1038/s42003-025-08148-y


    Weitere Informationen:

    https://www.dzif.de/de/antiviral-aktive-substanzen-mit-breitem-wirkspektrum-entd... Pressemitteilung des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF)


    Bilder

    Virologe Prof. Schindler und eine Mitarbeiterin werten Daten aus einem Infektionsexperiment aus.
    Virologe Prof. Schindler und eine Mitarbeiterin werten Daten aus einem Infektionsexperiment aus.

    Universitätsklinikum Tübingen/Verena Müller


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Virologe Prof. Schindler und eine Mitarbeiterin werten Daten aus einem Infektionsexperiment aus.


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