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04.06.2025 11:04

Künstliche Intelligenz für Messungen mit höchstmöglicher Genauigkeit

Dr. Florian Aigner PR und Marketing
Technische Universität Wien

    Wie genau kann ein Messergebnis sein, wenn man nur ein unscharfes Bild eines Objekts hat? An der TU Wien wurden mit Hilfe künstlicher Intelligenz die Grenzen des Möglichen ausgelotet.

    Kein Bild ist unendlich scharf. Schon seit 150 Jahren weiß man: Egal wie präzise man ein Mikroskop oder eine Kamera baut, es gibt immer grundlegende Genauigkeitsgrenzen, die man prinzipiell nicht sprengen kann. Die Position eines Teilchens kann man niemals unendlich genau vermessen, eine gewisse Unschärfe ist unvermeidlich. Diese Grenze ergibt sich nicht aus technischen Schwächen, sondern aus den physikalischen Eigenschaften des Lichts und der Informationsübertragung selbst.

    Die TU Wien, die Universität Glasgow und die Universität Grenoble stellten daher die Frage: Wo liegt die absolute Grenze der Präzision, die mit optischen Methoden möglich ist? Und wie kann man diese Grenze möglichst gut erreichen? Und tatsächlich gelang es dem internationalen Team, eine unterste Schranke für die theoretisch erreichbarer Präzision anzugeben und AI-Algorithmen für neuronale Netze zu entwickeln, die nach entsprechendem Training dieser Schranke sehr nahekommen. Diese Strategie soll nun in bildgebenden Verfahren eingesetzt werden, etwa in der Medizin.

    Eine absolute Grenze der Genauigkeit

    „Stellen wir uns vor, wir betrachten ein kleines Objekt hinter einer unregelmäßigen, trüben Glasscheibe“, sagt Prof. Stefan Rotter vom Institut für Theoretische Physik der TU Wien. „Wir sehen dann nicht einfach ein Bild des Objekts, sondern ein kompliziertes Lichtmuster, bestehend aus vielen helleren und dunkleren Lichtflecken. Die Frage ist nun: Wie genau können wir auf Basis dieses Bildes abschätzen, wo sich das Objekt tatsächlich befindet – und wo liegt die absolute Grenze dieser Genauigkeit?“

    Solche Szenarien sind etwa in der Biophysik oder der medizinischen Bildgebung von Bedeutung. Wenn Licht durch biologisches Gewebe gestreut wird, verliert es scheinbar die Information über tiefer liegende Gewebestrukturen. Doch wie viel von dieser Information lässt sich prinzipiell zurückgewinnen? Diese Frage ist nicht nur von technischer Natur, sondern die Physik selbst gibt hier grundlegende Grenzen vor.

    Die Antwort darauf liefert ein theoretisches Maß: die sogenannte Fisher-Information. Sie beschreibt, wie viel Information ein durch irgendwelche Effekte verfälschtes optisches Signal über einen unbekannten Parameter – etwa die Objektposition – enthält. Ist die Fisher-Information gering, ist keine präzise Bestimmung mehr möglich, ganz egal wie raffiniert man das Signal auswertet. Auf Basis dieses Konzepts konnte das Team eine Obergrenze für die theoretisch erreichbare Genauigkeit in unterschiedlichen experimentellen Szenarien berechnen.

    Neuronale Netze lernen aus chaotischen Lichtmustern

    Während das Team der TU Wien theoretische Beiträge lieferte, wurde ein entsprechendes Experiment von Dorian Bouchet von der Universität Grenoble (Frankreich) zusammen mit Ilya Starshynov und Daniele Faccio von der Universität Glasgow (UK) konzipiert und durchgeführt. In diesem Experiment wurde ein Laserstrahl auf ein kleines, spiegelndes Objekt gerichtet. Dieses befand sich hinter einer trüben Flüssigkeit, sodass die aufgenommenen Bilder nur noch stark verzerrte Lichtmuster zeigten. Je nach Trübung variierten die Messbedingungen – und damit auch die Schwierigkeit, aus dem Signal präzise Positionsinformationen zu gewinnen.

    „Für das menschliche Auge sehen diese Bilder wie zufällige Flecken aus“, sagt Maximilian Weimar (TU Wien), einer der Studienautoren. „Aber wenn wir viele solcher Bilder – jeweils mit bekannter Objektposition – in ein neuronales Netz einspeisen, kann das Netz lernen, welche Muster mit welchen Positionen zusammenhängen.“ Nach ausreichendem Training war das Netz in der Lage, auch bei neuen, unbekannten Mustern die Objektposition sehr genau zu ermitteln.

    Fast am physikalischen Limit

    Besonders bemerkenswert: Die Genauigkeit der Vorhersage war in allen Szenarien nur minimal schlechter als das theoretisch erreichbare Maximum – berechnet über die Fisher-Information. „Das bedeutet, dass unser KI-gestützter Algorithmus nicht nur effektiv, sondern nahezu optimal ist“, sagt Stefan Rotter. „Er erreicht fast genau jene Präzision, die durch physikalische Gesetze überhaupt erlaubt ist.“

    Diese Erkenntnis hat weitreichende Konsequenzen: Mit Hilfe intelligenter Algorithmen könnten optische Messverfahren in verschiedensten Bereichen deutlich verbessert werden – von der medizinischen Diagnostik über die Materialforschung bis hin zur Quantentechnologie. In künftigen Projekten will das Forschungsteam gemeinsam mit Partnern aus der angewandten Physik und Medizin untersuchen, wie diese KI-gestützten Methoden in konkreten Systemen zum Einsatz kommen können.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Stefan Rotter
    Institut für Theoretische Physik
    Technische Universität Wien
    Wiedner Hauptstraße 8–10, 1040 Wien
    +43 1 58801 13618
    stefan.rotter@tuwien.ac.at


    Originalpublikation:

    Model-free estimation of the Cramér–Rao bound for deep learning microscopy in complex media, Ilya Starshynov, Maximilian Weimar, Lukas M. Rachbauer, Günther Hackl, Daniele Faccio, Stefan Rotter & Dorian Bouchet, Nature Photonics (2025). URL: https://doi.org/10.1038/s41566-025-01657-6
    Frei zugängliche Version: https://arxiv.org/abs/2505.22330


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Informationstechnik, Physik / Astronomie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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