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04.06.2025 11:20

Österreicher kritischer gegenüber arabisch-afghanischen Geflüchteten als gegenüber ukrainischen

Thorsten Mohr Pressestelle der Universität des Saarlandes
Universität des Saarlandes

    Menschen, die aus dem arabisch-afghanischen Kulturkreis vor Krieg und Gewalt geflohen sind, werden von der ansässigen Bevölkerung in Österreich kritischer betrachtet als Menschen aus der Ukraine, die ihre Heimat kriegsbedingt verlassen haben. Das konnte der Saarbrücker Soziologe Martin Ulrich anhand von Daten aus dem Nachbarland nachweisen. Seine Erkenntnisse hat Ulrich in der Österreichischen Zeitschrift für Soziologie veröffentlicht.

    Nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2024 hat eine massive Fluchtbewegung begonnen. Bis März 2025 sollen rund 6,4 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer nach Europa geflohen sein. Nach den großen Fluchtbewegungen aus Syrien und Afghanistan ab 2015 ist dies die dritte große Migrationsbewegung, die europäische Gesellschaften vor große Herausforderungen stellt. Der Aufstieg rechtspopulistischer und rechtsextremer Parteien in vielen europäischen Ländern beispielsweise kann als eine Reaktion auf die Ankunft der vielen Millionen Schutzsuchenden nach Europa verstanden werden.

    Für Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler wie Martin Ulrich von der Universität des Saarlandes ergibt sich daraus eine interessante Forschungsfrage: Wie wohlwollend oder kritisch betrachten die aufnehmenden Gesellschaften in Europa die Menschen aus den jeweiligen Kulturkreisen? Eine profunde Datengrundlage, um diese Frage zu beantworten, bietet das breit aufgestellte und repräsentative österreichische „Values in Crisis Panel“. Anstoß für diese Panelerhebungen war die Corona-Pandemie. In drei Wellen (2020, 2021 und 2022) wurden die Österreicherinnen und Österreicher nach ihren Einstellungen in Krisen gefragt. „Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine wurden in der Erhebung 2022 auch Fragen über die Ansichten gegenüber verschiedenen Gruppen von Geflüchteten aufgenommen“, sagt Martin Ulrich.

    „Es ist in diesen Daten erkennbar, dass die Meinungen über Geflüchtete einerseits aus dem arabisch-afghanischen Kulturkreis und aus der Ukraine andererseits deutlich auseinandergehen. Mich hat nun interessiert, woran das genau liegt und wie groß der Unterschied wirklich ist“, so der Soziologe, der am Lehrstuhl von Professor Martin Schröder in Saarbrücken forscht.

    Dabei standen zwei Fragen bzw. Aussagen im Mittelpunkt, welche die insgesamt 1357 Befragten, deren Daten in die Studie eingeflossen sind, beantwortet haben. „Zum einen ging es um die Frage, wie großzügig der österreichische Staat sein sollte bei den Anträgen der Geflüchteten auf Asyl. Zum anderen ging es um die Aussage ‚Die Geflüchteten bekommen zu viel Geld vom Staat‘.“ Beide Fragen wurden den Menschen über arabisch-afghanische und über ukrainische Geflüchtete gestellt. Hier gibt es große Unterschiede in den Antworten. „Was die großzügige Handhabung von Asylanträgen von Ukrainerinnen und Ukrainern angeht, verteilt sich das Wohlwollen der Österreicherinnen und Österreicher recht gleichförmig auf der Skala ‚völlige Zustimmung‘ bis ‚völlige Ablehnung‘“, so Martin Ulrich. Rund 58 Prozent der Befragten stehen dieser Frage positiv bis neutral („weder Zustimmung noch Ablehnung“) gegenüber. Gut 42 Prozent finden, der Staat sollte den Menschen aus der Ukraine kritischer begegnen. Viel strenger sehen es die Österreicherinnen und Österreicher bei den Geflüchteten aus dem arabisch-afghanischen Kulturkreis: „Hier sind 73 Prozent der Meinung, dass der österreichische Staat nicht großzügig sein sollte bei der Prüfung der Asylanträge. Nur ein knappes Viertel findet, dass der Staat großzügig sein sollte“, erklärt Soziologe Ulrich.

    Ähnlich sieht es bei der Frage aus, ob die Geflüchteten zu viel Geld bekämen. Rund 60 Prozent stimmen (eher) nicht zu, dass die Ukrainerinnen und Ukrainer in Österreich zu viel Geld bekommen oder denken, dass es weder zu viel noch zu wenig ist. Bei den arabisch-afghanischen Flüchtlingen zeigt sich ein anderes Bild. „Rund 62 Prozent finden, dass diese Flüchtlinge zu viel Geld aus der Staatskasse erhalten“, so Martin Ulrich.

    Aber woran liegt diese unterschiedliche Sichtweise auf Menschen, die aus ihrer jeweiligen Heimat aus genau demselben Grund nach Österreich gekommen sind, nämlich, um Krieg und Gewalt zu entfliehen? „Es könnte mit Stereotypen über die Geflüchteten zu tun haben“, vermutet Martin Ulrich. „Denn wie die Daten ebenfalls zeigen, assoziieren die Menschen mit den Geflüchteten aus dem arabisch-afghanischen Kreis mehr Kriminalität und Gewalt als mit den Geflüchteten aus der Ukraine – egal, ob die tatsächlichen Kriminalitätsstatistiken dies nun hergeben oder nicht“, so der Soziologe. Interessanterweise werden beide Gruppen gleichermaßen als „symbolische Bedrohung“ für die Kultur des eigenen Landes wahrgenommen. „Wenn jemand die österreichische ‚Leitkultur‘, wenn man den Begriff verwenden möchte, durch Geflüchtete bedroht sieht, dann geht diese vermeintliche Bedrohung für diese Person von den Geflüchteten aus der Ukraine wie aus dem arabisch-afghanischen Raum gleichermaßen aus“, sagt Martin Ulrich.

    Die Studie, so der Autor in seinem Fazit, soll dabei helfen, sich verändernde Meinungsbilder in Gesellschaften besser zu verstehen (man denke etwa an den Wandel in der öffentlichen Wahrnehmung von der heute fast vergessenen deutschen „Willkommenskultur“ 2015 bis zur Debatte über härtere Einreisebestimmungen und Abschiebungen in der Gegenwart). „Eine kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung solcher Fragen kann dazu beitragen, die Solidarität mit Kriegsflüchtlingen zu fördern und so zur Überwindung dieser neuen humanitären Krise beizutragen“, so Martin Ulrich.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Martin Ulrich
    E-Mail: martin.ulrich@uni-saarland.de


    Originalpublikation:

    Ulrich, M. Unequally welcome: Austrians’ differing attitudes towards Arab/Afghan and Ukrainian refugees. The impact of human values and perceived threat. Österreich Z Soziol 50, 17 (2025). https://doi.org/10.1007/s11614-025-00604-7


    Bilder

    Dr. Martin Ulrich
    Dr. Martin Ulrich
    Thorsten Mohr
    Universität des Saarlandes/Thorsten Mohr


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft
    regional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Dr. Martin Ulrich


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