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05.06.2025 11:29

Warum im Erdinnern Erdbebenwellen plötzlich rasen

Franziska Schmid Hochschulkommunikation
Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)

    Ein Durchbruch in den Geowissenschaften zeigt, weshalb die Geschwindigkeit von Erdbebenwellen in 2700 Kilometern Tiefe sprunghaft steigt und was der Grund dafür ist: in Reih und Glied ausgerichtete Kristalle und eine Art Gesteinsförderband im unteren Erdmantel.

    Erdbeben, Vulkanausbrüche, tektonische Platten, die sich verschieben – all das sind Zeichen dafür, dass das Innenleben unseres Planeten buchstäblich sehr bewegt ist. Doch was sich tief im Inneren der Erde offenbart, erstaunt Laien und Wissenschaftler:innen gleichermassen: Fast 3000 Kilometer unter der Erdoberfläche fliesst festes Gestein, das weder flüssig ist wie Lava noch brüchig wie fester Fels. Das zeigt eine neue Studie von Geowissenschaftler:innen um Motohiko Murakami, Professor für Experimentelle Mineralphysik der ETH Zürich. Die Studie wurde soeben in der Fachzeitschrift Communications Earth & Environment veröffentlicht.

    Ein halbes Jahrhundert Rätselraten

    Seit über 50 Jahren rätseln Forschende über eine seltsame Zone tief im Erdinneren: die sogenannte D’’-Schicht, rund 2700 Kilometer unter unseren Füssen. Dort nimmt die Geschwindigkeit von Erdbebenwellen sprunghaft zu, und zwar so, als würden sie durch ein anderes Material laufen. Doch was genau in diesem Bereich des Erdmantels passiert, war lange unklar.
    2004 entdeckte Murakami, der seit 2017 an der ETH Zürich Professor ist, dass sich Perowskit, das Hauptmineral des unteren Erdmantels, nahe an der D’’-Schicht unter extremem Druck und sehr hohen Temperaturen in eine andere Form umwandelt: in den sogenannten Post-Perowskit.

    Die Forschenden nahmen an, dass diese Veränderung die seltsame Beschleunigung der Erdbebenwellen erklärt. Doch das war nicht die ganze Geschichte. 2007 fanden Murakami und Kollegen neue Hinweise, dass die blosse Phasenänderung von Perowskit allein nicht ausreicht, um Erdbebenwellen zu beschleunigen.

    Mit einem ausgeklügelten Computermodell machten sie die entscheidende Entdeckung: Je nachdem, in welche Richtung die Post-Perowskit-Kristalle zeigen, verändert sich die Härte des Minerals. Erst wenn im Modell alle Kristalle des Minerals in die gleiche Richtung zeigen, werden die seismischen Wellen beschleunigt – wie an der D’’-Schicht in 2700 Kilometern Tiefe zu beobachten ist.

    Mit einem aussergewöhnlichen Laborversuch an der ETH Zürich hat Murakami nun bewiesen, dass sich Post-Perowskit-Kristalle unter enormen Druck und extremen Temperaturen tatsächlich gleich ausrichten. Dazu haben die Forschenden in ihrem Experiment die Geschwindigkeit seismischer Wellen gemessen und konnten deren Sprung an der D’’-Schicht im Labor nachvollziehen. «Damit haben wir da letzte Puzzleteil endlich gefunden», sagt Murakami.

    Mantelströmung richtet Kristalle aus

    Die grosse Frage aber ist: Was bringt die Kristalle in Reih und Glied? Die Antwort ist: festes Mantelgestein, das am unteren Rand des Erdmantels langsam und waagrecht fliesst – ähnlich wie Wasser, das in einem Topf zu kochen beginnt und sich dabei in Kreisen bewegt. Forschende vermuteten schon lange, dass es diese Art von Konvektion geben muss, konnten sie aber nie direkt nachweisen.

    Jetzt haben Murakami und seine Kolleg:innen auch experimentell nachgewiesen, dass die Mantelkonvektion an der Grenze von Kern und Erdmantel tatsächlich stattfindet. Damit ist klar, dass in dieser Tiefe festes – nicht flüssiges - Gestein langsam, aber stetig fliesst. «Diese Entdeckung löst nicht nur das Rätsel um die D’’-Schicht, sondern öffnet uns ein Fenster in die Dynamik in den Tiefen der Erde.»

    Die Erkenntnis ist nicht nur ein grosser Schritt in der Forschung, sondern sie verändert auch das Verständnis vom Erdinnern grundlegend. Die Annahme, dass festes Gestein tief im Erdinnern fliesst – haben Murakmi und seine Kolleg:innen wissenschaftlich erhärtet. «Unsere Entdeckung zeigt, dass die Erde nicht nur an der Oberfläche aktiv ist, sondern auch tief im Inneren in Bewegung ist», sagt der ETH-Professor.

    Mit diesem Wissen können Forschenden nun beginnen, die Strömungen im Inneren der Erde zu kartieren und so den unsichtbaren Motor, der Vulkane, Erdplatten und vielleicht sogar das Magnetfeld der Erde antreibt, sichtbar machen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Motohiko Murakami, ETH Zürich, motohiko.murakami(at)eaps.ethz.ch


    Originalpublikation:

    Murakami M, Kobayashi Si, Hirao N et al. The texture of the post-perovskite phase controls the characteristics of the D” seismic discontinuity. Commun Earth Environ 6, 406 (2025). https://doi.org/10.1038/s43247-025-02383-1


    Weitere Informationen:

    https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2025/06/warum-im-erdin...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Geowissenschaften, Informationstechnik, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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