HIRI-Forschende entschlüsseln Kolonisationsverhalten von Shigella
Forschende des Würzburger Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) und der schwedischen Universität Uppsala haben unter Verwendung von im Labor gezüchteten Miniaturdärmen die Infektionswege aggressiver Shigella-Bakterien im menschlichen Darm kartiert. Die heute im Fachmagazin Nature Genetics veröffentlichte Studie eröffnet neue Möglichkeiten, schwerwiegende bakterielle Infektionen künftig besser zu erforschen – mithilfe menschlicher Mini-Organe.
Zu verstehen, wie menschenspezifische Bakterien uns genau krankmachen, ist eine Herausforderung. In einer neuen Studie, die heute in Nature Genetics veröffentlicht wurde, zeigen Forschende, dass sich anhand von gezüchteten Mini-Organen, sogenannten Organoiden, nachvollziehen lässt, wie Mikroben die Darmschleimhaut besiedeln. Das Team des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg – einem Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) – und der Universität Uppsala konzentrierte sich dabei insbesondere auf Shigella flexneri. Dieses Bakterium verursacht beim Menschen schwere Darmentzündungen und ist jährlich für zahlreiche Todesfälle verantwortlich, insbesondere bei Kleinkindern.
„Unsere Ergebnisse liefern ein realistischeres Bild der Faktoren, die die Besiedlung unseres Darms mit Shigella beeinflussen. Künftig könnten sie neue medizinische Behandlungsansätze ermöglichen“, sagt Lars Barquist, assoziierter Wissenschaftler am HIRI, Professor an der Universität Toronto in Kanada und Ko-Seniorautor der Studie. „Zum ersten Mal konnten wir die Gene kartieren, die Shigella für eine Infektion braucht – und zwar mithilfe eines menschlichen Modells, das echtes Darmgewebe imitiert. Die Studie zeigt außerdem, dass sich gezüchtete menschliche Mini-Organe zur Untersuchung verschiedener schwerer Infektionen eignen – insbesondere solcher, bei denen bislang fehlende Tiermodelle die Forschung erschwert haben“, ergänzt Maria Letizia Di Martino von der Universität Uppsala, die die Entwicklung des experimentellen Systems leitete.
Darmmodelle aus Stammzellen
Shigella-Bakterien sind invasive Krankheitserreger, die das Körpergewebe mit verschiedenen „Waffen“ angreifen, um in die Darmschleimhaut einzudringen und die Funktionen des körpereigenen Immunsystems zu beeinflussen. In der aktuellen Studie konzentrierten sich die Forschenden darauf, die Gene zu identifizieren, die für die Produktion dieser Waffen verantwortlich sind. Dazu entwickelten sie Darmorganoide, Miniaturmodelle des menschlichen Darms. Sie verwendeten dabei Stammzellen, die aus übrig gebliebenem chirurgischem Gewebe stammten. Mit einer genetischen Methode, bei der einzelne Gene gezielt ausgeschaltet werden, testeten sie, welche Auswirkungen diese Veränderungen auf die Fähigkeit von Shigella haben, das menschliche Darmmodell zu infizieren.
Eine der größten Herausforderungen bei der Anwendung eines solchen Screenings ist das Vorhandensein von Populationsengpässen. Diese Engpässe entstehen zum Beispiel durch Nährstoffmangel oder Konkurrenz um Siedlungsorte. Dadurch sinkt die Zahl der Bakterien vorübergehend – unabhängig davon, wie anpassungsfähig einzelne Mutanten sind. Das führt zu einem zufälligen Verlust von Mutanten und kann somit die Ergebnisse umfangreicher Screenings verfälschen. Um diesen Verlust auszugleichen, hat das Team ein statistisches Modell entwickelt, das Informationen aus einer Vielzahl kleiner Experimente zusammenführt, um eine genomweite Karte zu erstellen. Auf diese Weise gelang es, die erste umfassende Karte der Gene zu erstellen, die Shigella benötigt, um menschliches Darmgewebe zu infizieren.
Besonders überraschend war die Entdeckung, dass bestimmte Veränderungen an Transferribonukleinsäuren (tRNAs, von engl. tranfer ribonucleic acids) die Aktivität des Typ-III-Sekretionssystems steuern können – einem komplexen Apparat, mit dem Bakterien ihre krankmachenden Eigenschaften entfalten. Solche Systeme kosten die Bakterien viel Energie, deshalb steuern sie sie sehr genau. „Bisher war bekannt, dass Bakterien dies beispielsweise durch das Ausschalten fremder DNA oder die Regulierung der Anzahl bestimmter Plasmide – kleiner, ringförmiger DNA-Moleküle – erreichen. Diese Studie zeigt nun einen dritten grundlegenden Mechanismus zur Steuerung auf“, erklärt Laura Jenniches. Sie ist Postdoktorandin im Barquist-Labor und führte die statistische und computergestützte Analyse durch.
„Shigella verfügt über etwa 5.000 Gene, aber wir haben herausgefunden, dass nur etwa 100 davon notwendig sind, um Gewebe zu besiedeln und aggressive Infektionen zu verursachen. Diese Liste ist eine Goldgrube für das Verständnis des Infektionsverlaufs und die Entwicklung neuer Therapien, die das krankmachende Verhalten der Bakterien gezielt ausschalten können“, sagt Mikael Sellin. Er ist Professor an der Universität Uppsala und ein weiterer leitender Autor der Studie. Die eingesetzte Screening-Technologie sei auf viele weitere Erreger übertragbar – und ermögliche künftig realitätsnahe Studien an menschlichen Geweben. Lars Barquist blickt voraus: „Diese Studie schafft die technischen Voraussetzungen für die Untersuchung zahlreicher Krankheitserreger in realistischen Organoidmodellen, die zentrale Aspekte der menschlichen Physiologie im Labor nachbilden.“
Kooperationen:
Die Studie ist eine Zusammenarbeit zwischen dem Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg, der Universität Toronto in Kanada und der Universität Uppsala, dem Universitätsklinikum Uppsala sowie der Universität Umeå in Schweden.
Förderung:
Unterstützt wurde die Studie aus Mitteln der Europäischen Gesellschaft für Klinische Mikrobiologie und Infektionskrankheiten (ESCMID), der Carl-Trygger-Stiftung, der Clas-Groschinsky-Gedächtnisstiftung, des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst (über bayresq.net), des Schwedischen Wissenschaftsrats, der Schwedischen Stiftung für Strategische Forschung sowie durch Kempestiftelserna und das „SciLifeLab Fellows“-Programm.
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Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung:
Das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) ist die weltweit erste Einrichtung ihrer Art, die die Forschung an Ribonukleinsäuren (RNA) mit der Infektionsbiologie vereint. Auf Basis neuer Erkenntnisse aus seinem starken Grundlagenforschungsprogramm will das Institut innovative therapeutische Ansätze entwickeln, um menschliche Infektionen besser diagnostizieren und behandeln zu können. Das HIRI ist ein Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) in Kooperation mit der Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) und befindet sich auf dem Würzburger Medizin-Campus. Weitere Informationen unter http://www.helmholtz-hiri.de.
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:
Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen. http://www.helmholtz-hzi.de
Ihre Ansprechperson am HIRI:
Luisa Härtig
Manager Communications
luisa.haertig@helmholtz-hiri.de
Tel.: 0931 31-86688
Di Martino ML, Jenniches L, Bhetwal A, Eriksson J, Lopes ACC, Ntokaki A, Pasqua M, Sundbom M, Skogar M, Graf W, Webb DL, Hellström PM, Mateus A, Barquist L, Sellin ME: A scalable gut epithelial organoid model reveals the genome-wide colonization landscape of a human-adapted pathogen. Nature Genetics, 2025, DOI: 10.1038/s41588-025-02218-x
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Biologie, Chemie, Medizin
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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