Neue Optionen für eine zuverlässige, zukunftsfeste und nachhaltige Wärmeversorgung im Rheinischen Revier möchte das neue Reallabor der Fraunhofer IEG öffnen. Es wird Kommunen und Wirtschaft den Zugang zu geothermalem Knowhow ermöglichen. Das Reallabor macht einen ersten Schritt im Strukturwandel vom Kohle- zum Wärmebergbau und damit zu neuer Wertschöpfung. Den Bewilligungsbescheid des »Reallabor Geothermie Rheinland« übergab Paul Höller, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen. Aus den Mitteln des Kohleausstieges fördern Bund und Land NRW das Projekt der Fraunhofer IEG mit zusammen genommen rund 52 Millionen Euro.
»Mit dem Kohleausstieg gilt es gleichermaßen neue Wärmequellen für Kommunen und Industrie zu erschließen, als auch den Strukturwandel in den Kohleregionen zu gestalten«, unterstreicht Prof. Rolf Bracke, Leiter des Fraunhofer IEG. »Mit dem Reallabor schaffen wir beides. Wir öffnen einen Maker-Space für die regionale Wirtschaft, eine offene Werkstatt mit dem Ziel, Unternehmen moderne Verfahren der geothermalen Energiegewinnung an die Hand zu geben.«
Tiefengeothermie nutzt heißes Wasser aus der Tiefe, um etwa Fernwärme und Prozesswärme bereitzustellen. Von klimafreundlicher Energie aus warmwasserführenden Schichten können viele Anwendungen profitieren, etwa kommunale Wärmenetze, Gewächshäuser oder die Chemieindustrie, aber auch Betriebe der Zucker- und Nahrungsmittelherstellung, der Holz- und Papierverarbeitung sowie die Metall-, Zement- und Bauindustrie. In den Metropolen München und Paris tragen schon heute Geothermie-Heizwerke effizient und sicher zur kommunalen Wärmeversorgung bei, in den Niederlanden und Belgien versorgen sie Fernwärmesysteme und Gewächshäuser mit Prozesswärme. Die Erdwärme steht ganzjährig und verlässlich zur Verfügung, sie ist nachhaltig, bezahlbar und wetterunabhängig, krisensicher, importunabhängig und nahezu unerschöpflich. Auch hat sie den geringsten Flächenbedarf unter den erneuerbaren Technologien. Diese Wärmequelle gilt es auch für Nordrhein-Westfalen und andere europäische Regionen zu entwickeln. Dank dieser Vorzüge kann Geothermie ein Baustein zur kostengünstigen Wärmeversorgung, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplatzsicherheit werden.
Das »Reallabor Geothermie Rheinland« zielt darauf, eine große Forschungsinfrastruktur für Geothermie zu schaffen, die europaweit einmalig ist. Dazu ist geplant, einerseits den Untergrund zwischen Aachen und Düren, Jülich und Stolberg in den nächsten vier Jahren großflächig geophysikalisch zu charakterisieren und andererseits mit zwei Bohrungen in der Tiefe zu erkunden. Zudem baut Fraunhofer IEG als zugehörige obertägige Infrastruktur in Weisweiler ein Technikum als Forschungszentrum für Georessourcen und Dekarbonisierung.
Den Untergrund charakterisieren
Für ein besseres Verständnis der geologischen Situation im tiefen Untergrund möchte die Fraunhofer IEG unter anderem das südliche Rheinland mehrere Kilometer tief mit Schallwellen erkunden, ähnlich dem Echolot aus der Seefahrt oder dem Ultraschall in der Medizin. Dazu bringt das Reallabor im Bereich zwischen dem Aachener Autobahnkreuz und Düren für kurze Zeit Messwagen und empfindliche Mikrofone in einer sogenannten »Seismischen Exploration« zum Einsatz und testet auch neue Erkundungsmethoden für die speziellen tiefen Untergrundverhältnisse in ehemaligen Kohleregionen. Die Daten dieser bildgebenden Verfahren verknüpft es mit jenen aus tiefen Erkundungsbohrungen. Diese sollen die warmwasserführenden Gesteinsschichten in mehreren Kilometern Tiefe für wissenschaftliche Untersuchungen erschließen und wertvolle Informationen etwa über Gesteinsarten, Porosität, Wasserdurchlässigkeit und natürliche Wasservorkommen liefern.
Wichtiges Projekt für Kommunen im NRW-Masterplan Geothermie
Für das Land Nordrhein-Westfalen ist das Projekt ein wichtiger Schritt im Rahmen der Umsetzung des Masterplans Geothermie. Das Reallabor kann entscheidend zum Hochlauf der Geothermie in NRW beitragen. Die seismischen Messungen und Tiefbohrungen liefern wichtige Grundlagendaten für anschließende Projekte durch Wärmeversorger, Projektentwickler und Kommunen. Die Erkenntnisse zu den geologischen Verhältnissen und zur Umsetzung von geothermischen Projekten werden in Form von Leitfäden und Workshops verfügbar gemacht. Bei positiven Erkundungsergebnissen besteht für die Menschen, Kommunen und Unternehmen in der Region in einigen Jahren die Möglichkeit einer kostengünstigen und regionalen Wärmequelle – Erdwärme.
Über Tage - Innovationen für die Industrie
Als Bestandteil des Reallabors entsteht am Standort des Braunkohlekraftwerks Weisweiler ein Technikum als Forschungszentrum für angewandte Georessourcen und Dekarbonisierung. Dort laufen dann alle gesammelten Informationen zum Untergrund zusammen. Bereits heute ist in Weisweiler ein Teil des geplanten geophysikalischen Observatoriums in Betrieb, welches die natürliche Seismizität des Untergrunds im südlichen Rheinland wissenschaftlich beobachtet. Das Technikum dient auch als Entwicklungsplattform für Geotechnologien zur klimafreundlichen Energieversorgung. Die Forschungsthemen sollen Aspekte der Anlagentechnik zur Dekarbonisierung von Industrie und Kommunen sein: von Aggregaten zur geothermalen Strom-, Wärme- und Kälteerzeugung, über die Nutzung des Untergrunds als Energiespeicher bis hin zu CO2-armen Betriebsstrategien. So entstehen für den flächendeckenden Einsatz marktgerechte, skalierbare und einfach auf neue Standorte übertragbare Technologien.
Fraunhofer IEG will zusammen mit seinen Partnern aus Forschung und Industrie so Innovationen in die europäischen Strukturwandelregionen bringen und die Transformation »vom Kohle- zum Wärmebergbau« ermöglichen. Die neue Forschungsinfrastruktur steht für weitere Partner der Wissenschaft und auch den Akteuren der Wirtschaft und Kommunen zur Verfügung. Neben der Entwicklung neuer Technologien soll sie perspektivisch auch der Aus- und Weiterbildung von dringend benötigten Fachkräften im Bereich der geothermischen Energiesysteme dienen.
Zitate der Beteiligten:
Paul Höller, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen: »In Nordrhein-Westfalen arbeiten wir zielstrebig an der nachhaltigen, sicheren und bezahlbaren Wärmeversorgung der Zukunft. Dabei setzen wir besonders auf Erdwärme: Als unerschöpfliche erneuerbare Wärmequelle ist Geothermie nicht nur gut für’s Klima, sondern schafft auch neue Wertschöpfung und macht uns unabhängiger von fossilen Importen. In unserem Masterplan Geothermie haben wir uns zum Ziel gesetzt, bis 2045 bis zu 20 Prozent des Wärmebedarfs mit Erdwärme zu decken. Mit wegweisenden Vorhaben wie dem »Fraunhofer Reallabor Geothermie Rheinland« kommen wir diesem Ziel einen bedeutenden Schritt näher. Davon profitieren auch die Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen im Rheinischen Revier und der Städteregion Aachen.«
Die Parlamentarischen Staatssekretärin bei der Bundesministerin für Wirtschaft und Energie, Gitta Connemann: »Die Umstellung des Fernwärmenetzes auf CO₂-freie Quellen ist eine anspruchsvolle Aufgabe – und bietet gleichzeitig eine wichtige Zukunftsperspektive für das Rheinische Revier. Die geplante Abschaltung des Kohlekraftwerks Weisweiler im Jahr 2028 stellt einen Einschnitt dar, der tragfähige Lösungen für eine nachhaltige Wärmeversorgung erfordert. Das »Fraunhofer Reallabor Geothermie Rheinland«, das nun seinen Förderbescheid erhält, soll dies bewerkstelligen. Es soll aufzeigen, wie moderner Klimaschutz, wirtschaftliche Vernunft und regionale Stärke miteinander in Einklang gebracht werden können. Das Reallabor ist ein technologischer Leuchtturm der ökonomisch tragfähigen, ökologisch sinnvollen und sozial ausgewogenen Transformation – und ein Beispiel gelungener Zusammenarbeit von Bund und Land im Strukturwandelprozess.«
»Innovation und der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis sind der Schlüssel, um neue Technologien zu entwickeln, die erneuerbare Energien effizienter, speicherbarer und wirtschaftlicher machen«, erklärt Prof. Holger Hanselka, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft. »Die erfolgreiche und nachhaltige Gestaltung der Energiewende hängt entscheidend von Forschung und der Entwicklung anwendungsnaher Lösungen ab. Mit ihren Projekten leistet die Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geotechnologien IEG einen wichtigen Beitrag zur Energieversorgung der Zukunft. Das Fraunhofer Reallabor Geothermie Rheinland wird dabei zentrale Impulse setzen – insbesondere für die energieintensive Industrie, Energieversorger und Kommunen.«
»Das südliche Rheinland hat eine reiche Geschichte in der Nutzung seiner natürlichen Energierohstoffe – von der Thermalwassernutzung in römischer Zeit für die Nahwärme und später für die mittelalterliche Tuchwirtschaft, über die neuzeitliche Bäderwirtschaft bis hin zu den industriellen Steinkohlezechen und dem modernen Braunkohletagebau«, erinnert Prof. Rolf Bracke, Leiter der Fraunhofer IEG. »Tiefengeothermie also könnte das nächste Kapitel für die Energieregionen diesseits und jenseits des Rheins sein.« Mit der kommunalen Wärmeplanung erschließen Stadtwerke regionale Wärmequellen für die Energiewende. Eine Basis dafür sind Roadmaps zur Geothermie, die Fraunhofer IEG mit herausgegeben hat. Die Technologien, die später im Reallabor getestet werden, geben den Energieversorgen die notwendigen Werkzeuge in die Hand, Erdwärme in das Energiesystem der Zukunft einzubinden. »Die zeitnahe Weitergabe unseres Know-Hows durch Leitfäden, Beratung und Weiterbildungsangebote hilft allen Akteuren, die untertägigen Ressourcen für ihre Wärmeplanung zu erschließen.«
Über das »Reallabor Geothermie Rheinland«
Die Forschungsplattform »Reallabor Geothermie Rheinland« dient der wissenschaftlichen Untersuchung von hydrothermaler Geothermie im Rheinland durch zunächst zwei tiefe Forschungsbohrungen und großflächige geophysikalische Erkundung des Untergrundes in Verbindung mit einem stationären Observatorium in Weisweiler. Mit dem Technikum in Weisweiler entsteht ein Forschungszentrum für Georessourcen und Dekarbonisierung, welches angewandte Forschung zum Untergrund verknüpft mit innovativen Methoden und Energietechnik für die ökonomische, ökologische und sozial nachhaltige Transformation der Kohleregion. Betrieben wird das Reallabor von der Fraunhofer IEG. Assoziierte Partner sind der Energieversorger RWE Power AG, die Aachener Stadtwerke STAWAG sowie die RWTH Aachen und die Ruhr-Universität Bochum.
Das »Fraunhofer Reallabor« wird in drei Bausteinen finanziert:
Über das STARK-Programm fördert das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die personellen und nicht-investiven Maßnahmen mit rund 8,15 Millionen Euro, weitere 0,815 Millionen Euro trägt das Land NRW, um den Transformationsprozess in den Kohleregionen zu unterstützen, wie es im Kohleausstieg von 2019 vom Bundestag beschlossen wurde.
Über eine Zuwendung des Landes NRW gemäß dem Investitionsgesetz Kohleregionen (InvKG) erhält das Projekt 36,54 Millionen Euro für die investiven Maßnahmen zu geophysikalischen Messungen, Forschungsbohrungen und deren infrastrukturelle Anbindung. Die Finanzierung nach InvKG teilt sich auf in einen Bundesanteil (29,6 Millionen Euro) und einen Landesanteil (6,94 Millionen Euro).
Für den Aufbau des Technikums in Weisweiler kommen rund 6,5 Millionen Euro aus der gemeinsamen Förderung der Fraunhofer-Gesellschaft durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW (50% / 50%) hinzu. So ergibt sich eine Gesamtförderung von 52,005 Millionen Euro für die geplante Projektlaufzeit von 4 Jahren.
Geologische Modelle ermöglichen das Potential im Rheinischen Revier abzuschätzen.
Florian Wellmann
F. Wellmann / Fraunhofer IEG
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Energie, Geowissenschaften
überregional
Forschungsprojekte
Deutsch
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