Viele Bakterien stellen einen Proteinkomplex her, um Gifte in ihre Nachbarzellen zu einzuschleusen und dadurch Konkurrenten auszuschalten. Doch nun entdecken Forschende der ETH Zürich und der Eawag: Die Killerbakterien können sich mit ihren Waffen von ihren Nachbarn ernähren.
Auch Winzlinge können brutal sein – und potenzielle Konkurrenz um Ressourcen nicht nur aus dem Weg räumen, sondern die Nachbarn als Nahrungsquelle nutzen. Zu diesem Schluss gelangt Forscherinnen und Forscher der ETH Zürich, dem Wasserforschungsinstitut Eawag und weiteren Gruppen. Ihre Ergebnisse sind soeben in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht worden.
Speer mit einer vergifteten Spitze
Auf das Verhalten der Bakterien aufmerksam geworden sind die Forschenden, als sie zwei verschiedene Arten von im Meer lebenden, stäbchenförmigen Bakterien in winzigen Wachstumskammern unter dem Mikroskop beobachteten. «Uns fiel auf, dass Zellen der einen Art begannen, sich aufzulösen, wenn sie mit Zellen der anderen Art in Kontakt kamen», sagt Astrid Stubbusch, die Erstautorin der Studie und Doktorandin an der ETH und der Eawag.
Beide Arten gehören zur selben Gattung der Vibrio-Bakterien. Sie unterscheiden sich unter anderem dadurch, dass die eine Art ein spezielles Sekretionssystem bilden kann. Fachleute bezeichnen diesen Proteinkomplex als Typ-6-Sekretionssystem (T6SS), eine hochkomplexe Waffe, mit der Bakterien andere bekämpfen können.
Martin Ackermann, Professor für Mikrobielle Systemökologie an der ETH Zürich und an der Eawag, stellt sich das T6SS als Speer mit einer giftigen Spitze vor. Die räuberischen Bakterien schiessen den Speer ab. Er dringt in die Nachbarzelle ein, fügt ihr aber dadurch keine tödlichen Verletzungen zu. «Erst das Gift, das der Speer in die Nachbarzelle bringt, tötet die Zelle», sagt Ackermann. Die Killerzellen selbst seien immun gegen das Gift. «Zellen der gleichen Art schiessen sich auch gegenseitig ab, ohne sich umzubringen.»
Eine praktische Mehrzweckwaffe
Im Labor wollten die Forschenden herausfinden, wie sich Bakterien verhalten, wenn sie unterschiedlich gut mit Nährstoffen versorgt sind. In einem Versuch gaben sie einen bestimmten Mehrfachzucker (Alginat) ins Nährmedium, den nur die Opferzellen, nicht aber die Killerbakterien verwerten konnten. Dabei zeigte sich: Wenn die Opfer gut genährt waren, veränderten sie langsam ihre Form und gaben nach und nach ihre Zellinhalte ab – als Futter für die Killerzellen.
In einem anderen Versuch, bei dem beide Zelltypen gut versorgt waren, lösten sich die Opferzellen hingegen sehr schnell auf und ihre Bestandteile verteilten sich rasch in der Umgebung.
«Dieser Unterschied in der Auflösungsdauer könnte bedeuten, dass die Killerzellen ihre Speere mit verschiedenen Giften beladen», sagt Mitautor Glen D’Souza. Wenn die Killerzellen in ihrem Umfeld Nahrung vorfinden, töten sie die Opferzellen rasch und schalten damit die Nahrungskonkurrenz aus.
«Wenn die Killerzellen jedoch ausgehungert sind, sorgen sie dafür, dass sich die Beutezelle in der Nachbarschaft langsam entleert, damit sie möglichst viele Nährstoffe aufnehmen können», sagt D'Souza.
Strategie ist weit verbreitet
Um herauszufinden, wie verbreitet dieses neu entdeckte bakterielle Verhalten ist und welche ökologische Relevanz es haben könnte, hat das Forschungsteam riesige DNA-Sequenz-Datenbanken durchforstet, welche andere Wissenschaftler:innen in verschiedenen Lebensräumen gesammelt haben.
Diese Analysen zeigten: Den Bakterienarten der Gattung Vibrio, die über die T6SS-Gene verfügen, fehlen dafür oft Gene für die Verstoffwechselung von komplexen Kohlenhydraten wie etwa das Alginat. In anderen Worten: Viele Killer-Vibrionen sind genetisch darauf optimiert, von einfach nutzbaren Molekülen wie Zellsaft benachbarter Bakterienzellen zu leben.
«Das scheint ein evolutionärer Kompromiss zu sein», erklärt Cara Magnabosco, ETH-Professorin für Geobiologie. «Zudem haben wir noch mehr Arten gefunden, die dieses Killer-Verhalten zeigen könnten, und zwar im ganzen Bakterienstammbaum und in allen von uns untersuchten Lebensräumen.»
Die Autor:innen der Studie vermuten, dass die Killerbakterien eine wichtige Rolle im Nährstoffkreislauf von Ökosystemen spielen. Ihr Verhalten ermöglicht den direkten Austausch von Nährstoffen zwischen Zellen. Magnabosco sagt, dass die Killerzellen wichtige Nährstoffe behalten können, wenn sie ihre Nachbarn langsam auflösen. Die Nährstoffe würden ansonsten in die Umwelt oder an andere Lebewesen im mikrobiellen Nahrungsnetz verloren gehen. «In einem nächsten Schritt möchten wir diese Stoffflüsse in verschiedenen Ökosystemen genauer untersuchen», sagt die Forscherin.
Prof. Dr. Cara Magnabosco, ETH Zürich, cara.magnabosco@eaps.ethz.ch
Stubbusch AKM, Peaudecerf FJ, Lee KS, Paoli L, Schwartzman J, Stocker R, Basler M, Schubert OT, Ackermann M, Magnabosco C, and D’Souza G (2025). Antagonism as a foraging strategy in microbial communities. Science, 12. Juni 2025. DOI: 10.1126/science.adr8286.
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Biologie, Geowissenschaften, Meer / Klima, Umwelt / Ökologie
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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