Ein Kernelement der 2024 beschlossenen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) ist der neue Solidaritätsmechanismus, mit dem die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz in Europa gerechter verteilt werden soll. Der wissenschaftliche Stab des Sachverständigenrats für Integration und Migration (SVR) hat diesen neuen Verteilschlüssel genauer unter die Lupe genommen – und plädiert für mehr Verbindlichkeit.
„In der aktuellen Konzeption ist fraglich, ob der neue Solidaritätsmechanismus des europäischen Migrations- und Asylpakts, der im Juni 2026 starten soll, wirklich dafür sorgen wird, dass die EU-Mitgliedstaaten sich solidarischer als in der Vergangenheit verhalten“, sagt Dr. Fabian Gülzau, wissenschaftlicher Mitarbeiter im SVR. Er hat gemeinsam mit Dr. Jan Schneider, Leiter des Forschungsbereichs, die Kurzinformation „Faire Umverteilung oder à-la-carte-Solidarität?“ verfasst. „Unsere Analyse zeigt hier ein strukturelles Dilemma: Da das Prinzip der de-facto-Zuständigkeit für Asylverfahren beim Ersteinreisestaat weitgehend erhalten bleibt, sind die Mitgliedstaaten auch künftig je nach geografischer Lage unterschiedlich stark von der Zuwanderung schutzsuchender Menschen betroffen. Ob der neue Verteilschlüssel für Übernahmen durch andere Mitgliedstaaten dann wirklich dazu führt, dass Schutzsuchende gerechter verteilt werden, ist offen.“ Denn aufnahmeunwillige Länder können sich durch finanzielle Solidaritätsbeiträge sowie andere Maßnahmen hiervon ‚freikaufen‘.
„Die Grundidee des Solidaritätsmechanismus ist richtig“, hebt Dr. Jan Schneider hervor. „Mit dem neuen Verteilschlüssel ist es erstmals gelungen, einen einfachen und nachvollziehbaren Referenzpunkt im europäischen Sekundärrecht zu verankern, den die Mitgliedstaaten mehrheitlich akzeptieren. Mit der Berechnung eines fiktiven fairen Anteils pro Land können die Mitgliedstaaten leichter planen und die nationalen Debatten um sogenannte Belastungsgrenzen versachlichen. Für eine tatsächlich gerechtere Verteilung wäre es aber wichtig, den Mechanismus verbindlicher zu gestalten. So könnte die nahezu uneingeschränkte Flexibilität bei den Solidaritätsleistungen reduziert werden, indem jeder Mitgliedstaat perspektivisch zumindest einen verpflichtenden Mindestanteil an Schutzsuchenden aufnehmen muss.“
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Über den Sachverständigenrat:
Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Winfried Kluth (Vorsitzender), Prof. Dr. Birgit Glorius (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex, Ph. D., Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Panu Poutvaara, Ph. D., Prof. Dr. Hannes Schammann.
Der wissenschaftliche Stab unterstützt den Sachverständigenrat bei der Erfüllung seiner Aufgaben und betreibt darüber hinaus eigenständige, anwendungsorientierte Forschung im Bereich Integration und Migration. Dabei folgt er unterschiedlichen disziplinären und methodischen Ansätzen. Die Forschungsergebnisse werden u. a. in Form von Studien, Expertisen und Policy Briefs veröffentlicht.
Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de
Dr. Jan Schneider und Dr. Fabian Gülzau
www.svr-migration.de/publikation/faire-umverteilung-oder-a-la-carte-solidaritaet/
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, jedermann
Gesellschaft, Politik
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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