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07.07.2025 14:08

"Gute Raumplanung sichert qualitätsvolle Raumentwicklung" - Stellungnahme des Präsidiums der ARL

Dr. Tanja Ernst Stabsstelle Wissenschaftskommunikation
ARL – Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft

    Am 18. Juni 2025 hat die Bundesregierung den so genannten „Bauturbo“ beschlossen, eine Gesetzesinitiative zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung (Bundesregierung, 18.6.2025). Die neue Gesetzgebung soll am 7. Juli in den Bundestag eingebracht werden.

    Die vorgesehenen Änderungen am Baugesetzbuch, u. a. die Einführung des neuen § 246e, sollen den Wohnungsbau auch dort erleichtern, wo die bisherigen Vorschriften dies nicht vorsahen. Das Hauptziel der Initiative ist, einen Beitrag zur Linderung der Wohnungsnot zu leisten, vor allem durch Erleichterung und Beschleunigung der Wohnungsproduktion. Der Wohnungsmangel wird in Deutschland zu Recht als erhebliches gesellschaftliches Problem angesehen, und die Klagen über langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren haben an Intensität und Häufigkeit zugenommen.

    Allerdings ist strittig, ob die vorgesehenen Maßnahmen zur Beschleunigung tatsächlich durchgreifende Verbesserungen erwarten lassen. Zugleich spricht viel dafür, dass die Beschleunigung eine Reihe von Nachteilen und Risiken mit sich bringt. Fachverbände der Stadtplanung und des Städtebaus wie die Deutsche Akademie für Städtebau und Landesplanung (DASL, 27.6.2025) oder die Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL, 18.6.2025) haben sich daher bereits kritisch zur Gesetzesnovelle geäußert. Vor allem die mit der Einführung des § 246e BauGB einhergehende Außerkraftsetzung „elementarer Grundsätze des Baugesetzbuches“ (DASL) wird als kritisch für eine geordnete städtebauliche Entwicklung gesehen. Sie würde ein „Genehmigungsrecht ohne Bezug auf vorhandenes Planungsrecht“ (ibid.) einführen. Der Preis, der für eine Planungsbeschleunigung entrichtet werden muss, ist offenkundig hoch.

    Die Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) teilt diese Kritik. In Ergänzung zur baurechtlichen Problematik der vorgesehenen Beschleunigungsmaßnahmen wollen wir vor allem aus einer überörtlichen Sicht auf einige weitere Konfliktfelder hinweisen, die die Gesetzesnovelle für die Entwicklung der Städte, Gemeinden und Regionen insgesamt mit sich bringt.Dies konkretisieren wir wie folgt:

    - Erstens ist es nicht zielführend, wenn in der öffentlichen Debatte die Raumplanung einseitig für die Verzögerung der wohnbaulichen Entwicklung verantwortlich gemacht wird. Bei näherer Betrachtung der vorgebrachten Kritik geht es vor allem um materielle Vorgaben und verbindliche Standards für das Bauen einschließlich der erforderlichen Prozesse. Die Planungsprozesse setzen sich jedoch aus verschiedenen Elementen zusammen und werden von einer Reihe von Faktoren beeinflusst, wie Angebot und Nachfrage nach Grundstücken, Investitionskapital, Interesse der künftigen Nutzer, Inflation und nicht zuletzt Bodenspekulation. Die These, dass die Verantwortung für den Wohnungsmangel in erster Linie bei der städtebaulichen Planung liege, ist u. E. nicht durch empirische Belege gestützt.

    - Zweitens sehen wir mit Sorge, dass die Bauturbo-Entscheidung nur ein Teil eines größeren Trends ist, der die räumliche Planung grundsätzlich in Frage stellt. Er untergräbt die breite Akzeptanz der Planung und stellt rechtliche Verfahren in Frage, die für eine qualitätsvolle Entwicklung des Raums unerlässlich sind, wie die Begrenzung des bebaubaren Raums oder die Bindung von Baugenehmigungen an bauplanungsrechtliche Voraussetzungen. Beispielsweise ist es ein klares Qualitätskriterium für Wohnquartiere, wenn in unmittelbarer Nachbarschaft unbebaute Grünräume für Kinderspiel und Naherholung zur Verfügung stehen. Im Sinne der Anpassung an Klimaveränderungen und der Biodiversität sollten diese in regionale Grünzüge bzw. Freiraumverbünde integriert werden. Die planungskritische Stimmung geht aber noch darüber hinaus und betrifft auch benachbarte Politikfelder. In Bereichen wie der Umweltpolitik (Luftqualität, Wasserpolitik, Naturschutz) und der Mobilitätspolitik ist zunehmender politischer Dissens zu beobachten. Es besteht Anlass zur Vermutung, dass räumliche Planung im Grundsatz in Frage gestellt wird, ohne dass die zugrunde liegenden gesellschaftlichen Konflikte konstruktiv gelöst würden.

    - Drittens muss das Versprechen, durch eine beschleunigte Entwicklung mehr Wohnungen zu bauen, im Kontext der zentralen Limitationen des Wohnungsmarkts gesehen werden. Hierzu gehören nicht nur planungsrechtliche Bestimmungen, sondern mangelnde Verfügbarkeit von gewidmeten Bauflächen, Finanzierungsfragen etc. Zudem wird auch eine verstärkte Bautätigkeit die strukturellen Hauptprobleme, mit denen der Wohnungsbau unter den derzeitigen Marktbedingungen auf dem Bausektor konfrontiert ist, nicht lösen. Ohne eine passgenaue Regulierung und Förderung sowie eine verstärkte Aktivität öffentlicher Akteure wird vor allem bezahlbarer Wohnraum weiterhin fehlen. Zugleich warnen wir davor, die mit der Errichtung nicht integrierter Stadtquartiere im großen Stil verbundenen Probleme (fehlende Infrastruktur, schwierige Anbindung) zu ignorieren.

    - Viertens dürfte klar sein, dass die Umgehung von Planungsverfahren bei weitem nicht automatisch zu den gewünschten Ergebnissen wie einer Beschleunigung des Entwicklungsprozesses und einer besseren Akzeptanz der Ergebnisse führen wird. Oft dürfte das Gegenteil der Fall sein. Solange Nachbarn und Betroffene Rechtsmittel gegen Entwicklungsprozesse einlegen können, wird sich in der Sache wenig ändern. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sich bei erforderlicher, aber fehlender oder schlechter Planung der Streitpunkt vom Planungsprozess auf die Ebene der Zulassungsentscheidung oder der der Gerichte verlagert, was zu langwierigen (und kostspieligen) Streitigkeiten führen kann. Dies wird mit der Ausschaltung der Planung weder besser und schneller noch effektiver sein, weil die Konflikte damit ja nicht aufgelöst sind. Es steht zu erwarten, dass die ohnehin überlastete Verwaltungsgerichtsbarkeit mit zusätzlichen Anfechtungsklagen gegen Bauvorhaben, deren Zulässigkeit ja zumeist auch nicht mehr Gegenstand des vorläufigen Rechtsschutzes sein kann, zu rechnen hat.

    - Fünftens schließlich signalisiert die neue Gesetzgebung auch die Absicht der Bundesregierung, ihre eigenen flächenpolitischen Ziele (bundesweit Reduzierung des Flächenverbrauchs auf 30 Hektar/Tag, ursprünglich bis 2020, aktuell bis 2030) sowie die von der Europäischen Union formulierte Zielsetzung zur deutlichen Reduzierung des Flächenverbrauchs (Netto-Null Flächenverbrauch bis 2050) aufzugeben. Da der § 246e BauGB-E kaum noch einschränkende Voraussetzungen (angespannter Wohnungsmarkt, Wohngebäude mit mindestens sechs Wohnungen) enthalten soll, ist zu erwarten, dass weiterhin auch für die Schaffung von Wohnraum wenig effektive flächenintensive Wohnbauvorhaben – übrigens auch in strukturschwachen Regionen – verwirklicht werden. Diese Fehlentwicklungen haben schließlich bereits zur endgültigen Abschaffung des § 13b BauGB (Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren) geführt. Des Weiteren sind ohne jegliche Planung auch freiraumschützende Festlegungen zur Mehrfachnutzung von Flächen nicht umsetzbar. Dies ist ein sehr problematisches Signal aus Sicht des Freiflächenschutzes und der allgemein anerkannten Notwendigkeit zur Herstellung von Klimaresilienz und Förderung der Biodiversität.

    - Sechstens unterläuft die beschleunigte Bautätigkeit Ziele der Ressourcenschonung, Kreislaufwirtschaft und des Klimaschutzes, da sie meist auf Neubau statt auf Umbau und Bestandserhalt setzt. Dies führt zu hohem Ressourcenverbrauch, grauen Emissionen und unzureichender Wiederverwertung von Baumaterialien. Um Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, braucht es einen grundsätzlichen Wandel hin zu zirkulärem, flächensparendem und klimaorientiertem Bauen.

    Die Rede vom Bauturbo suggeriert, man könne die Vorbereitung der Bautätigkeit beliebig und ohne Nachteile beschleunigen. Dies halten wir für eine Illusion. Vielmehr dürfte der Wegfall transparenter Planungsverfahren dazu führen, dass der gesellschaftlich gebotene Ausgleich zwischen unterschiedlichen Belangen und Interessen, der üblicherweise im Planungs- und Beteiligungsverfahren erfolgt, nicht mehr möglich ist. Die Folge sind aufgestaute Konflikte und eine noch höhere Klagebereitschaft. Planung und Politik dürften gegenüber populistischen Diskursen weiter an Boden verlieren. Tatsächlich wird in dieser gesellschaftlichen Gemengelage nicht weniger, sondern mehr und vor allem bessere Planung benötigt.

    Elemente einer solchen Planung sind klar formuliert und finden sich in vielen programmatischen Erklärung der Planungspraxis, -forschung und Politik auf kommunaler Ebene wie bei Bund und Ländern sowie der Europäischen Union. Es ist fachlich weitgehend Konsens, dass die Qualitätsziele einer nachhaltigen Stadt- und Raumplanung gerade in scheinbar schwierigen Zeiten Bestand haben sollten. Grundsätze wie Innen- vor Außenentwicklung, Erhaltung regionaler Grünzüge, sorgfältige Abwägung im Planungsprozess sowie die Verbesserung der Konfliktlösungsfähigkeiten müssen im Sinne einer lebenswerten gebauten und natürlichen Umwelt sowie des Vertrauens in die Demokratie weiterhin Geltung haben.

    (Stand der Stellungnahme: 07.07.2025)

    Prof. Dr. Axel Priebs (Präsident)
    Prof. Dr. Antje Bruns (Generalsekretärin)
    Prof. Dr. Susan Grotefels (Vizepräsidentin)
    Prof. Dr. Markus Hesse (Vizepräsident)
    Prof. Dr. Jochen Monstadt (Vizepräsident)

    ***
    Die Akademie für Raumentwicklung in der Leibniz-Gemeinschaft (ARL) ist eine wissenschaftliche Akademie mit einem personellen Netzwerk exzellenter Fachleute aus Wissenschaft und Praxis. Als soziale Forschungsinfrastruktur in der Leibniz-Gemeinschaft ermöglichen wir inter- und transdisziplinäres Arbeiten zu Fragen nachhaltiger – wissenschaftlich fundiert und praxisnah.

    arl-net.de // arl-international.com


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Pressekontakt
    Dr. Tanja Ernst /Carolin Pleines
    Stabsstelle Wissenschaftskommunikation der ARL
    wiko@arl-net.de
    Tel. +49 511 34842-54/56


    Weitere Informationen:

    https://www.arl-net.de/de/blog/stellungnahme-gute-raumplanung-sichert-qualit%C3%... (Stellungnahme 07.07.2025)
    https://www.arl-net.de/de/blog/stellungnahme-aus-der-arl-risiken-und-fehlanreize... (Stellungnahme 13.02.2024)


    Bilder

    Anhang
    attachment icon Stellungnahme des Präsidiums der ARL

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Bauwesen / Architektur, Energie, Umwelt / Ökologie, Verkehr / Transport, Wirtschaft
    überregional
    Forschungs- / Wissenstransfer
    Deutsch


     

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