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09.07.2025 11:42

Hauskaninchen haben kleineres Gehirn, aber keine kürzere Schnauze

Eva Sittig Presse, Kommunikation und Marketing
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

    Studie unter Beteiligung der Uni Kiel zeigt, wie sich der Schädel der Kleinsäuger durch die Domestikation und nach Wiederauswilderung veränderte

    - Ein internationales Team von Biologinnen und Biologen hat die Schädel von 912 Kaninchen dreidimensional vermessen.
    - Dabei zeigte sich, dass sich die Form des Schädels durch die Domestikation nur teilweise auf charakteristische Weise veränderte.
    - Nach Auswilderung gingen diese Änderungen zum Teil wieder verloren, aber nicht komplett. Resultat ist eine eigenständige Schädelform, die an vielen Punkten zwischen der des Wild- und des Hauskaninchens steht.

    Bei der Domestikation von Haustieren werden bestimmte Eigenschaften wie zum Beispiel Zahmheit durch Zucht ausgewählt. Die Gestalt spielt in diesem Fall meist eine untergeordnete Rolle. Dennoch unterscheiden sich viele domestizierte Tierarten auch im Aussehen von ihren wilden Verwandten. Vor mehr als 60 Jahren begann im russischen Novosibirsk ein aufwändiges Langzeit-Experiment zu diesem sogenannten „Domestikations-Syndrom“. Die Beteiligten züchteten aus wilden Silberfüchsen über einige Generationen eine besonders sanftmütige Haustier-Form. Relativ schnell wandelte sich dabei gleichzeitig auch der Körperbau der Füchse - sie bekamen Schlappohren und kurze, runde Schnauzen.
    „Dass sich bei der Domestikation die Schädelform charakteristisch verändert, ist inzwischen für viele Tierarten belegt“, erklärt Prof. Dr. Christine Böhmer (Arbeitsgruppe Zoologie und Funktionsmorphologie der Vertebraten) vom Zoologischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). „Oft haben Haustiere eine im Vergleich zu ihren wilden Verwandten kürzere Schnauze und eine kleinere Gehirnkapsel. Wir haben nun untersucht, welche Schädel-Änderungen bei Kaninchen auftraten - und welche Auswirkung im Gegenzug die Auswilderung von Hauskaninchen auf ihre Gestalt hatte.“

    912 Kaninchenschädel aus mehr als 20 Weltregionen vermessen

    Um diese Fragen zu beantworten, analysierte das Team Kaninchenschädel aus zoologischen Sammlungen rund um den Globus. „Darunter waren Wildformen aus Spanien, Portugal und Südwest-Frankreich sowie domestizierte und ausgewilderte Exemplare aus insgesamt 20 verschiedenen Weltregionen“, sagt Böhmer. Die verwilderten Tiere stammten unter anderem aus Europa, Nord- und Südamerika sowie aus Australien.
    Zur dreidimensionalen Vermessung der Exemplare nutzten die Forschenden eine ausgefeilte Methode, die geometrische Morphometrie. „Dabei wird die Lage verschiedener charakteristischer Punkte am Schädel zueinander digital erfasst - etwa der Augenhöhlen, der Nasenbeine und der Jochbögen“, erläutert die Kieler Wissenschaftlerin, die für dieses Verfahren als Expertin gilt.

    Keine Rückentwicklung des Schädels nach Verwilderung

    Die Ergebnisse zeigen, dass wilde, domestizierte und ausgewilderte Tiere jeweils charakteristische Schädelformen aufweisen. So haben Hauskaninchen im Vergleich zu Wildkaninchen zwar eine kleinere Gehirnkapsel, jedoch längere Schnauzen in Relation zur Schädelgröße. „Letzteres widerspricht dem Domestikations-Syndrom, das eine relativ zur Kopfgröße kleinere Schnauzenregion vorhersagt, wie es bei den Silberfüchsen experimentell gezeigt und auch bei Hunden beobachtet wurde“, betont Böhmer. Die Gründe hierfür sind noch unbekannt. „Möglicherweise gibt es biomechanische Limitierungen, die einer kürzeren Schnauze entgegenstehen“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Ob dem so ist, müssen zukünftige Analysen zeigen.“

    Schädelform als Spiegel der Evolution

    Bei wieder in die Natur entlassenen Tieren könnte man erwarten, dass sie sich der Gestalt der Wildkaninchen annähern, da der Druck durch die menschliche Selektion entfällt. „Von einer Rückentwicklung des Schädels kann man jedoch nicht sprechen“, erklärt Böhmer. „Die verwilderten Exemplare zeigen eine ganz eigene Kopfform, die zwar an vielen Punkten zwischen dem Haus- und Wildtyp einzuordnen ist, aber das Ergebnis einer eigenen evolutionären Dynamik ist.“
    Überraschend ist das nicht: Während Wildkaninchen aus dem Südwesten Europas stammen, besiedelten die ausgewilderten Formen oft neue Ökosysteme. Dabei erwiesen sich mitunter andere Eigenschaften als vorteilhaft und setzten sich mit der Zeit durch. „Die Schädelform ist ein Stück weit Resultat dieser Einflüsse“, sagt die Wissenschaftlerin. Man könnte vielleicht sagen: In ihr spiegeln sich die Kräfte der Evolution.

    Fotos stehen zum Download bereit:
    http://www.uni-kiel.de/de/pressemitteilungen/2025/Vergleich_Haus-_u_Wildkaninchen.jpg
    Schädel eines Hauskaninchens und eines Wildkaninchens (auf die gleiche Länge skaliert) von oben betrachtet. Die Schnauzenregion beim domestizierten Tier ist relativ zur Kopfgröße länger, die Gehirnkapsel relativ kleiner.
    © Christine Böhmer, CAU

    Presse, Kommunikation und Marketing, Eva Sittig, Text/Redaktion: Frank Luerweg
    Postanschrift: D-24098 Kiel, Telefon: (0431) 880-2104
    presse@uv.uni-kiel.de | http://www.uni-kiel.de
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    Link zur Meldung: http://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/hauskaninchen-haben-kleineres-gehirn-aber-keine-kuerzere-schnauze


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Christine Böhmer
    Zoologie und Funktionsmorphologie der Vertebraten
    Zoologisches Institut
    Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
    Telefon: 0431/880-4507
    E-Mail: cboehmer@zoologie.uni-kiel.de


    Originalpublikation:

    Sherrat E, Böhmer C, Callou C, Nelson TJ, Pillai R, Ruf I, Sanger TJ, Schaar J, Le Verger K, Kraatz B, Geiger M 2025 From wild to domestic and the in between? How domestication and feralization changed the morphology of rabbits. Proc R Soc B 292: 20251150. https://doi.org/10.1098/rspb.2025.1150


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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