idw – Informationsdienst Wissenschaft

Nachrichten, Termine, Experten

Grafik: idw-Logo
Science Video Project
idw-Abo

idw-News App:

AppStore

Google Play Store



Instanz:
Teilen: 
09.07.2025 17:43

Eine neue Ansatzstelle zur Bekämpfung von Krebs- und Viruserkrankungen

Helena Dietz Stabsstelle Kommunikation und Marketing
Universität Konstanz

    Ein internationales Forschungsteam unter Leitung Konstanzer Biolog*innen hat einen molekularen Mechanismus entschlüsselt, der die Aktivität sogenannter N-Myristoyltransferasen reguliert. Diese Enzyme spielen in biologischen Signalwegen eine Rolle, deren Fehlregulation zur Entstehung schwerer Krankheiten führen kann.

    Proteine gehören zu den wichtigsten molekularen Bausteinen des Lebens. In den Zellen unseres Körpers entstehen zu jeder Sekunde unzählige dieser Makromoleküle, während bestehende Proteine miteinander interagieren und innerhalb der Zelle transportiert oder um- und abgebaut werden. Gerät die Gesamtheit dieser lebenswichtigen Prozesse aus dem Gleichgewicht, kann das katastrophale Folgen für den Organismus haben und zu schweren Krankheiten führen. Eine genaue Kenntnis über die Herstellung von Proteinen und darüber, wie sie reguliert werden und zusammenspielen, um die Funktion der Zelle aufrechtzuerhalten, kann daher helfen, die Entstehung von Krankheiten zu verhindern oder geeignete Medikamente für deren Bekämpfung zu entwickeln.

    In ihrer neuesten Studie in der Fachzeitschrift Molecular Cell untersuchten Forschende der Universität Konstanz um Elke Deuerling und Martin Gamerdinger gemeinsam mit Kolleg*innen der ETH Zürich (Schweiz) und des California Institute of Technology (USA) die Steuerung sogenannter N-Myristoyltransferasen (NMTs). Das sind Enzyme, welche die Funktion von Proteinen gewährleisten, indem sie diese noch während ihrer Produktion chemisch modifizieren. NMTs sind dabei auch in biologische Signalwege involviert, deren Fehlregulation mit der Entstehung von zum Beispiel Krebserkrankungen in Zusammenhang steht. In ihrer Studie konnten die Forschenden nicht nur im Detail den molekularen Mechanismus entschlüsseln, der die Aktivität der NMTs am Ausgang unserer zellulären „Proteinfabriken“ steuert, sie identifizierten dabei auch einen möglichen neuen Ansatzpunkt für die Entwicklung verbesserter Medikamente gegen bestimmte Formen von Krebs- und Viruserkrankungen.

    Mehr als eine direkte Übersetzung der Gene

    Um die Forschungsergebnisse der Studie genau zu verstehen, müssen wir etwas ins (molekularbiologische) Detail gehen: Der erste Schritt bei der Proteinherstellung ist die Übersetzung der Informationen unserer Gene in die entsprechenden Abfolgen von Aminosäuren, aus denen die Proteine bestehen. Doch damit ist ihre Herstellung oft noch nicht abgeschlossen. Viele der neuentstehenden Proteine werden noch während sie als wachsende Aminosäurekette ihre zelluläre Produktionsstätte – das Ribosom – verlassen chemisch verändert. Erst in ihrer modifizierten Form können die Proteine anschließend ihre biologischen Funktionen ausüben.

    Eine der häufigsten dieser Modifikationen, die mehr als 40% aller Proteine betrifft, ist die Abspaltung der Aminosäure Methionin vom wachsenden Protein. In einigen Fällen folgt darauf als zweite Modifikation das Anhängen einer gesättigten Fettsäure namens Myristinsäure an das Protein. Diese vergleichsweise seltene Folgemodifikation wird durch die NMTs vermittelt, die das Hauptuntersuchungsziel der aktuellen Studie waren. Konkret ging es den Forschenden darum, herauszufinden, wie diese Enzyme ihre Funktion am Ribosom ausüben und wie ihre Aktivität dabei in Anwesenheit konkurrierender Enzyme gesteuert wird.

    Ein Signalmotiv gibt das Kommando zur Ablösung

    Das Forschungsteam fand mithilfe struktureller, quantitativer und genetischer Analysen und biochemischer Experimente heraus, dass der sogenannte „nascent polypeptide-associated complex“ (kurz NAC) eine entscheidende Rolle bei der Koordinierung der Aktivität menschlicher NMTs am Ribosom spielt. Über eine Art „Greifarm“ positioniert dieser Proteinkomplex sowohl das Enzym, das einleitend die Abspaltung von Methionin vermittelt, als auch die NMTs am ribosomalen Tunnel. Das ist der Ort, an dem entstehende Proteine ihre Produktionsstätte als wachsende Aminosäurekette verlassen.

    „Da sich die Andockstellen beider Enzyme am Ribosom teilweise überschneiden, können sie allerdings nicht gleichzeitig dort binden. Es muss also einen kontrollierten Austausch der Enzyme geben, damit erst die Methionin-Abspaltung und anschließend das durch die NMTs vermittelte Anhängen der Fettsäure erfolgen kann“, berichtet Deuerling. Die Studienergebnisse zeigen, dass dieser Austausch immer dann stattfindet, wenn ein entstehendes Protein ein bestimmtes Signalmotiv aufweist. Dieses wird durch eine Bindetasche der NMTs erkannt, die spezifisch mit dem Signalmotiv des Proteins wechselwirkt – wie ein Schloss, in das nur der richtige Schlüssel passt. „Das funktioniert jedoch erst, wenn zuvor Methionin vom entstehenden Protein abgespalten und das Motiv damit freigelegt wurde. Ist das nicht der Fall, ist der Zugang zur Bindetasche der NMTs durch das Methionin blockiert. Dadurch ergibt sich die Reihenfolge des Enzymaustauschs von allein“, erklärt Deuerling.

    Kleiner Vorsprung, große Wirkung

    Aus früheren Studien des Forschungsteams war bereits bekannt, dass NAC auch die Aktivität weiterer Enzyme reguliert. Dazu gehören solche, die nach der Abspaltung von Methionin vom entstehenden Protein das Anhängen einer Acetylgruppe an das verbleibende Ende vermitteln – eine Folgemodifikation, die deutlich häufiger vorkommt als das Anhängen der Myristinsäure. Doch warum kommen die NMTs sich nicht mit diesen anderen Enzymen in die Quere, die zeitgleich am Proteinkomplex binden? Das Forschungsteam fand darauf eine erstaunlich einfache Antwort: „Unsere Analysen zeigen, dass die NMTs etwas dichter am ribosomalen Tunnel binden als die Enzyme, welche die Acetylierung bewirken. Dadurch haben sie einige Sekunden Vorsprung beim Zugriff auf die entstehenden Proteine“, so Gamerdinger. Dieser Vorsprung reicht zusammen mit der schnellen Erkennung des Signalmotivs in den Zielproteinen aus, damit die NMTs trotz gleichzeitiger Anwesenheit anderer Enzyme im Bereich des ribosomalen Tunnels ihre Funktion zuverlässig ausüben können.

    Dass die Forschenden den molekularen Wirkmechanismus der NMTs am Ribosom bis ins Detail aufschlüsseln konnten, könnte ein Schritt in Richtung besserer Medikamente gegen Krankheiten sein, bei deren Entstehung Signalwege unter Beteiligung von NMTs eine Rolle spielen – darunter bestimmte Formen von Krebs oder verschiedene Viruserkrankungen. „Bisherige Medikamente, die bei den NMTs ansetzen, zielen auf deren aktives Zentrum und reduzieren die Aktivität der Enzyme damit pauschal in der ganzen Zelle – mit teils toxischen Auswirkungen. Wir haben in unserer Studie mit der Bindungsstelle zwischen NMTs und dem rekrutierenden ‚Greifarm‘ von NAC einen möglichen neuen Ansatzpunkt für zukünftige Medikamente identifiziert, der eine selektivere Hemmung der Aktivität der NMTs bewirken könnte. Eine, die dadurch potenziell zu weniger unerwünschten Nebenwirkungen führt“, so Gamerdinger.

    Faktenübersicht:

    - Originalpublikation: M. Gamerdinger, B. Echeverria, A. M. Lentzsch, N. Burg, Z. Fan, M. Jaskolowski, A. Scaiola, S. Piening, S. Shan, N. Ban und E. Deuerling (2025) Mechanism of cotranslational protein N-myristoylation in human cells. Molecular Cell; doi: 10.1016/j.molcel.2025.06.015
    - Ein internationales Team aus Forschenden der Universität Konstanz, des California Institute of Technology und der ETH Zürich entschlüsselte einen molekularen Mechanismus der kotranslationalen Modifikation von Proteinen durch menschliche N-Myristoyltransferasen.
    - Seitens der Universität Konstanz waren Prof. Elke Deuerling, Dr. Martin Gamerdinger, Nicolas Burg und Selina Piening vom Fachbereich Biologie an der Studie beteiligt.
    - Förderung: Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Schweizerischer Nationalfonds (SNF), Europäischer Forschungsrat und National Institutes of Health (NIH).

    Hinweis an die Redaktionen:
    Eine Abbildung kann im Folgenden heruntergeladen werden.

    Link: https://www.uni-konstanz.de/fileadmin/pi/fileserver/2025/neue_ansatzstelle_zur_b...
    Bildunterschrift: Molekularer Mechanismus der kotranslationalen N-Myristoylierung von Proteinen Copyright: Martin Gamerdinger


    Originalpublikation:

    Originalpublikation: M. Gamerdinger, B. Echeverria, A. M. Lentzsch, N. Burg, Z. Fan, M. Jaskolowski, A. Scaiola, S. Piening, S. Shan, N. Ban und E. Deuerling (2025) Mechanism of cotranslational protein N-myristoylation in human cells. Molecular Cell; doi: 10.1016/j.molcel.2025.06.015


    Weitere Informationen:

    https://www.cell.com/molecular-cell/fulltext/S1097-2765(25)00544-1 Originalpublikation


    Bilder

    Molekularer Mechanismus der kotranslationalen N-Myristoylierung von Proteinen Copyright: Martin Gamerdinger
    Molekularer Mechanismus der kotranslationalen N-Myristoylierung von Proteinen Copyright: Martin Game ...
    Quelle: Martin Gamerdinger
    Copyright: Martin Gamerdinger/Universität Konstanz


    Anhang
    attachment icon PI Nr. 65_2025, Eine neue Ansatzstelle zur Bekämpfung von Krebs- und Viruserkrankungen

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Chemie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Molekularer Mechanismus der kotranslationalen N-Myristoylierung von Proteinen Copyright: Martin Gamerdinger


    Zum Download

    x

    Hilfe

    Die Suche / Erweiterte Suche im idw-Archiv
    Verknüpfungen

    Sie können Suchbegriffe mit und, oder und / oder nicht verknüpfen, z. B. Philo nicht logie.

    Klammern

    Verknüpfungen können Sie mit Klammern voneinander trennen, z. B. (Philo nicht logie) oder (Psycho und logie).

    Wortgruppen

    Zusammenhängende Worte werden als Wortgruppe gesucht, wenn Sie sie in Anführungsstriche setzen, z. B. „Bundesrepublik Deutschland“.

    Auswahlkriterien

    Die Erweiterte Suche können Sie auch nutzen, ohne Suchbegriffe einzugeben. Sie orientiert sich dann an den Kriterien, die Sie ausgewählt haben (z. B. nach dem Land oder dem Sachgebiet).

    Haben Sie in einer Kategorie kein Kriterium ausgewählt, wird die gesamte Kategorie durchsucht (z.B. alle Sachgebiete oder alle Länder).