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10.07.2025 12:39

Archäologie am SuedOstLink: Herausragende Bestattungen der Schnurkeramik mit tierzahnbesetzten Taschen bei Krauschwitz

Dr. Oliver Dietrich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt - Landesmuseum für Vorgeschichte

    Im Vorfeld des Baus der Gleichstromverbindung SuedOstLink finden derzeit in enger Abstimmung mit dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz archäologische Untersuchungen statt,die neue Erkenntnisse zur Nutzungsgeschichte der seit Jahrtausenden besiedelten Kulturlandschaft zwischen Wolmirstedt und Droyßig erbringen. Besonders aufschlussreich sind die Befunde, die derzeit bei Krauschwitz im Burgenlandkreis untersucht werden. Neben fünf rund 6.000 Jahre alten Grabhügeln der Baalberger Kultur wurden mehrere Bestattungen der Schnurkeramischen Kultur des 3. Jahrtausends vor Christus entdeckt, die sich durch die Beigabe von reich verzierten Taschen mit Tierzahnbesatz auszeichnen.

    Die SuedOstLink-Stromtrasse verläuft in Sachsen-Anhalt von Wolmirstedt bis Droyßig, weitgehend in Bündelung mit den Autobahnen 14 und 9. Auf ihrer Länge von 170 Kilometern durch Sachsen-Anhalt führt die Trasse durch Altsiedelland mit überaus fruchtbaren Böden. Entsprechend hoch ist die Anzahl an Fundstellen, die in enger Abstimmung mit 50Hertz im Vorfeld des Trassenbaus untersucht und wissenschaftlich dokumentiert werden. Aktuell finden Arbeiten entlang der gesamten Trasse statt – unter anderem in der während der Jungsteinzeit höchst intensiv genutzten Siedlungskammer zwischen Osterfeld und Weißenfels, die nun interessante Befunde erbrachte.

    Eine Kulturlandschaft der mittleren Jungsteinzeit
    Vor etwa 6.000 Jahren, während der sogenannten Baalberger Kultur, wurde auf einer markanten, nördlich des heutigen Krauschwitz gelegenen Anhöhe eine Siedlung errichtet. In deren unmittelbarer Nähe wurde der Verstorbenen gedacht. Diese wurden einzeln in Grabgruben beigesetzt. In einigen Fällen wurde eine trapezförmige Hütte aus Holz über der Grabgrube errichtet. Diese ›Totenhäuser‹, die gelegentlich auch mehrere Gräber umschlossen, wurden mit Erdmaterial, unter anderem Löss, überdeckt und hoben sich deutlich in der Landschaft ab. Bei Krauschwitz konnten fünf dieser Hügel nachgewiesen werden. Eines dieser Grabmonumente mit zwei Bestattungen liegt mittig im zukünftigen Stromtrassenverlauf.
    Dank der zur damaligen Zeit geschaffenen Sichtachsen war der Blick zu weiteren, nur wenige Kilometer entfernt gelegenen und ebenfalls mit hellem Lössboden überhügelten Grabstellen möglich. Insgesamt kamen im Zuge der Untersuchungen am SuedOstLink mehr als 15 baalbergezeitliche Trapezhütten zum Vorschein. Heute zeichnen sich die ehemals mehrere Meter hohen, künstlich aufgeschütteten Hügel nicht mehr obertägig im Gelände ab. Nur die Fundamentgräben der aus Holz errichteten Hütten und die in deren Innenraum tief in den Boden eingebrachten Bestattungen sind als archäologische Quelle Zeugnis der Glaubenswelt zur Zeit der Baalberger Kultur. Die Menschen dieser Kulturstufe haben mit den Grabmonumenten nicht nur ihre Ahnen verehrt, sondern vielmehr auch ihre Macht deutlich sichtbar zum Ausdruck gebracht. Selbst mehr als tausend Jahre später zogen diese Symbole die Menschen der Schnurkeramischen Kultur an.

    Herausragende Bestattungen der Schnurkeramischen Kultur
    Die Schnurkeramische Kultur ist vom Elsass bis zur Ukraine und von Südskandinavien bis zu den Alpen hin verbreitet. Auch bei Krauschwitz wurde die Anhöhe erneut als Siedlungsplatz ausgewählt. Entlang der zahlreichen Grabhügel aus der zurückliegenden Baalberger Kultur entstand ein neues Bestattungsfeld, von dem 15 Grabstellen im Bereich der neuen Stromtrasse liegen. Es sind die für die Schnurkeramische Kultur typischen Einzelbestattungen; gelegentlich kommen auch Doppelbestattungen vor. Die Toten wurden stets mit Blick nach Süden beigesetzt. Meist achtete man bei der Ausrichtung der Toten darauf, dass männliche Individuen auf der rechten Körperseite und weibliche Individuen auf der linken Körperseite ruhend bestattet wurden. Auch bei der Ausstattung zeichnen sich überregional verbindliche Sitten ab. Neben den aus Keramik gefertigten Gefäßen, zumeist Becher und Amphoren, die beiden Geschlechtern mit ins Grab gegeben wurden, gilt vor allem die Steinaxt als männliche Insignie, während Bestandteile von Schmuck und Tracht im weiblichen Ausstattungskanon im Vordergrund stehen. Vor allem im mitteldeutschen Raum sind zudem durchbohrte Zähne, meist von Hunden, häufig anzutreffen. Entsprechend der jeweiligen Fundlage im Grab zeigen die Beigaben die einstige Existenz längst vergangener organischer Materialien – wie Textil oder Leder – an. Dabei könnte es sich um Decken mit Borte, bestickte Tücher, Gürtelgehänge, Mantelbesätze, bestickte Hauben, Armbänder und vieles mehr gehandelt haben.
    Zwischen den Flüssen Unstrut und Weißer Elster mit Ausläufern bis an die Sangerhäuser Mulde und das untere Saaletal waren aufwändig verzierte Taschen ein regelmäßiger Bestandteil der Tracht junger erwachsener Frauen, die einer elitären Gesellschaftsschicht angehört haben dürften. Drei der bei Krauschwitz entdeckten Bestattungen liefern Hinweise auf solche Taschen.
    Das organische Material der Taschen – Leder oder Stoff – ist längst vergangen, die durchbohrten Tierzähne, die aufgenäht waren, haben sich jedoch bis heute erhalten. Dachziegelartig gestaffelt waren auf die Frontfläche der Taschen die oberen und unteren Eckzähne sowie Schneidezähne von Hunden aufgestickt. Der Taschenboden war meist ungefähr 30 Zentimeter lang. Die Höhe betrug mindestens 20 Zentimeter. Bei vollbestickten Taschen wurden fast 350 Zähne benötigt. Es handelt sich bei den Hunden um eine mittelgroße Rasse, ähnlich dem heutigen Kleinen Münsterländer, die wahrscheinlich speziell für die Herstellung der aufwändigen Taschen gezüchtet und schon im jungen Alter getötet wurden. Nur bei Reparaturmaßnahmen an den Taschen wurde ausnahmsweise zum Beispiel ein Fuchszahn oder ein aus Knochen geschnitztes Imitat verwendet. Getragen wurden die beutelförmigen Taschen an einem breiten Gurtband, auf das oftmals Wolfszähne aufgenäht waren.
    Die Taschen scheinen – entsprechend ihrer Lage im Grab – zu Lebzeiten vor dem Körper getragen worden zu sein. Sie könnten, wie vereinzelt darin erhaltene Säuglingsknochen anzeigen, eine Art Babytrage darstellen. Beinchen, Ärmchen und der Kopf ragten heraus und wurden mit einem feinen Tuch zusätzlich geschützt; der 20 Zentimeter breite Schal war mit Pailletten bestickt und mit Molaren von Hunden gesäumt. Da auch jungen Frauen, die während der Schwangerschaft verstorben waren, eine Tasche mit ins Grab gelegt wurde, ist davon auszugehen, dass diese Taschen persönliche, nicht vererbbare Habe waren. Der Besitz der arbeits- und kostenintensiven, reich verzierten Taschen war sicherlich einer eng definierten, elitären Gesellschaftsschicht vorbehalten, zu der auch die Krauschwitzer Gemeinschaft gehörte. Bei 20 Prozent der Frauenbestattungen wurde eine solche ›Babytrage‹ gefunden. Im nur 1,7 Kilometer entfernt gelegenen Nessa wurde eine Frau der gehobenen Gesellschaftsschicht im Zuge der kurz vor dem Abschluss stehenden Ausgrabungen innerhalb des Baufelds der Starkstromtrasse im Block geborgen. Zu ihrer Grabausstattung gehörte ebenfalls eine solche Tasche, die die sterblichen Überreste eines Fötus oder Neugeborenen enthielt.

    Ausblick
    Die Bestattungen mit den Hinweisen auf Taschen werden im Block geborgen und in den Werkstätten des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt detailliert untersucht. Aktuell sind 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamts in Krauschwitz vor Ort, die Arbeiten sollen im Juli abgeschlossen sein. Damit ist in diesem Bereich vor Beginn der Arbeiten an der eigentlichen Stromtrasse hinsichtlich der Archäologie Baufreiheit geschaffen. Auch im übrigen Verlauf des SuedOstLinks ist es in enger Abstimmung mit dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz das Ziel, die archäologischen Fundsicherungsmaßnahmen vor Baubeginn abzuschließen.


    Bilder

    Ein schnurkeramisches Frauengrab mit zahlreichen Tierzähnen.
    Ein schnurkeramisches Frauengrab mit zahlreichen Tierzähnen.
    Quelle: Klaus Bentele
    Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt

    Ein schnurkeramisches Männergrab mit einer Axt und Keramikbeigaben.
    Ein schnurkeramisches Männergrab mit einer Axt und Keramikbeigaben.
    Quelle: Oliver Dietrich
    Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Ein schnurkeramisches Frauengrab mit zahlreichen Tierzähnen.


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    Ein schnurkeramisches Männergrab mit einer Axt und Keramikbeigaben.


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