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10.07.2025 15:31

SVR zur geplanten Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsstaaten: Trans-parenz bleibt Desiderat

Heike Köhn Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR)

    Die Bundesregierung will die Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten dadurch vereinfachen, dass künftig sie selbst per Rechtsverordnung entsprechende Län-der bestimmen kann. Eine Zustimmung des Bundesrats wäre dann nicht mehr erforder-lich. Der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) unterstützt grund-sätzlich die Idee, über das Instrument der Einstufung bestimmter Herkunftsländer als sicher die Asylmigration von anderen Zuwanderungsmöglichkeiten zu entkoppeln. Der von der Bundesregierung gewählte Weg, die Listenerweiterung über eine Rechtsverord-nung zu organisieren, ist allerdings verfassungsrechtlich nicht risikolos und erhöht die Komplexität des Rechts.

    Berlin, 09. Juli 2025. Am 10. Juli soll in erster Lesung im Bundestag ein Gesetzentwurf beraten werden, der es künftig der Bundesregierung ermöglichen soll, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats sichere Herkunftsstaaten zu bestimmen. Diese neue Regelung auf der Grundlage der EU-Richtlinie 2013/32 betrifft nur den Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention und subsidiären Schutz, nicht aber die Asylberechtigung im Sinne von Art. 16a des Grundgesetzes. „Hierdurch würde das Recht komplexer, da es dann eine große und eine kleine Liste sicherer Herkunftsstaaten gibt“, gibt der SVR-Vorsitzende Prof. Winfried Kluth zu bedenken. Der SVR weist zudem darauf hin, dass der gewählte Weg, die Erweiterung der sicheren Herkunftsstaaten über eine nicht zustimmungspflichtige Rechtsverordnung umzusetzen, verfassungsrechtlichen Risiken ausgesetzt ist. So ist zumindest umstritten, ob sich die in Art. 16a Abs. 3 GG normierte Anforderung, dass eine Definition bestimmter Länder als sicher über ein Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates zu erfolgen hat, nur auf das – mittlerweile empirisch weitgehend irrelevant gewordene – grundgesetzliche Asyl bezieht, oder auch auf europarechtlich hinterlegte Formen der Schutzgewährung.

    Grundsätzlich unterstützt der SVR die von der Bundesregierung im nächsten Schritt geplante Ausweitung sicherer Herkunftsländer um Algerien, Indien, Marokko und Tunesien. „Dies kann helfen, die Asylmigration aus diesen Ländern, deren Schutzquoten äußerst gering sind, besser zu steuern. Zugleich kann es auch einen Beitrag dazu leisten, die Akzeptanz für Fluchtmigration aus den Krisenherden dieser Welt aufrechtzuerhalten“, sagt Prof. Kluth. Mit dem erst kürzlich reformierten Fachkräfteeinwanderungsgesetz stehen mittlerweile zahlreiche neue Möglichkeiten für Menschen bereit, die nach Deutschland zum Arbeiten kommen oder um hier eine Ausbildung zu absolvieren. In diesem Bereich zeigen sich gerade für die Staatsangehörigen der Länder, die künftig als sichere Herkunftsländer definiert werden sollen, erste Erfolge. Bei der neu eingeführten Chancenkarte (§ 20a AufenthG), die eine erleichterte Einreise zur Arbeitsplatzsuche in Deutschland ermöglicht, stehen etwa indische Staatsangehörige mit großem Abstand auf Platz 1. Auch in Tunesien, Algerien und Marokko wird die neue Option derzeit stark nachgefragt. Indien ist zudem auch das Hauptherkunftsland für Personen, die mit einer Blauen Karte EU (§ 18g AufenthG) und damit dem aufenthaltsrechtlich hochwertigsten Aufenthaltstitel nach Deutschland kommen. „Wichtig ist nun, dass die neuen Optionen der Arbeitsmigration stärker bekannt gemacht werden. Dazu zählt, dass nicht mehr nur anerkannte Fachkräfte mit einer als gleichwertig zu deutschen Standards anerkannten Ausbildung nach Deutschland kommen und hier arbeiten dürfen, sondern sich der Arbeitsmarkt generell für Arbeitskräfte aus Drittstaaten geöffnet hat“, sagt Prof. Kluth. „Sonst läuft die beabsichtigte Steuerungswirkung ins Leere.“

    Defizite sieht der SVR weiterhin bei der Frage, auf welcher Entscheidungsgrundlage ein Staat von der Bundesregierung als sicheres Herkunftsland eingestuft wird. „Wie ein Land zu dem Status eines sicheren Herkunftslandes kommt, ist eine Black Box“, bedauert Prof. Kluth. „Es fehlen bislang verlässliche und nachvollziehbare Kriterien, wie die Gefährdungslage auch für Minderheiten und vulnerable Gruppen in einem Land eingestuft wird.“ Der SVR hatte bereits in der Vergangenheit hier mehr Transparenz angemahnt und etwa eine unabhängige Stelle beim Bundesverwaltungsgericht vorgeschlagen, die entsprechende Grundlagen für die Einschätzung von Gerichten bundesweit zur Verfügung stellt.

    Der SVR erinnert ferner an die Verankerung des Konzepts sicherer Herkunftsländer im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS). Mitte April hat die EU-Kommission den Vorschlag einer europäischen Liste vorgelegt; diese muss noch vom Europäischen Parlament und dem Rat beschlossen werden. Diese Liste umfasst Bangladesch, Kosovo, Kolumbien, Ägypten, Indien, Marokko und Tunesien. Nach Inkrafttreten würde sie die nationalen Listen nicht ersetzen, sondern ergänzen. „Grundsätzlich sollte das Ziel einer verbindlichen gemeinsamen Liste sicherer Herkunftsländer weiterverfolgt werden. Wenn Asylverfahren harmonisiert und die Solidarität der Mitgliedstaaten untereinander gefördert werden soll, ist es langfristig nicht sinnvoll, hier an nationalen Listen festzuhalten“, erklärt die Stellvertretende SVR-Vorsitzende Prof. Glorius. „Auch diese Liste müsste allerdings regelmäßig aktualisiert werden und insbesondere bei Regimewechseln oder nach dem Aufbrechen gewaltsamer inner- oder zwischenstaatlicher Konflikte überprüft werden. Dies würde die Transparenz und Legitimation des Instruments stärken.“

    Als sicheres Herkunftsland definiert das Grundgesetz (Art. 16a Abs. 3 GG) solche Länder, bei denen aufgrund der allgemeinen politischen Verhältnisse die gesetzliche Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. In dem Fall gilt die Regelvermutung, dass keine Verfolgungsgefahr vorliegt. Diese Vermutung kann jedoch durch das Vortragen asylrelevanter Tatsachen grundsätzlich widerlegt werden. Sichere Herkunftsstaaten sind gemäß Anlage II zu § 29a AsylG aktuell die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Ghana und Senegal (seit 1993), Bosnien und Herzegowina, Serbien und das heutige Nordmazedonien (seit 2014), Albanien, Kosovo und Montenegro (seit 2015) sowie seit Dezember 2023 Georgien und Moldau.

    Die Presseinformation steht unter diesem Link zum Download zur Verfügung:
    https://www.svr-migration.de/presse/svr-zur-geplanten-ausweitung-der-liste-siche...

    Ihre Ansprechpartnerin für Medienanfragen:
    Heike Köhn
    Kommunikation SVR gGmbH
    Mobiltelefon: 0170 635 7164
    E-Mail: presse@svr-migration.de

    Über den Sachverständigenrat
    Der Sachverständigenrat für Integration und Migration ist ein unabhängiges und interdisziplinär besetztes Gremium der wissenschaftlichen Politikberatung. Mit seinen Gutachten soll das Gremium zur Urteilsbildung bei allen integrations- und migrationspolitisch verantwortlichen Instanzen sowie der Öffentlichkeit beitragen. Dem SVR gehören neun Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und Forschungsrichtungen an: Prof. Dr. Winfried Kluth (Vorsitzender), Prof. Dr. Birgit Glorius (Stellvertretende Vorsitzende), Prof. Dr. Havva Engin, Prof. Dr. Marc Helbling, Prof. Dr. Matthias Koenig, Prof. Sandra Lavenex, Ph.D., Prof. Dr. Birgit Leyendecker, Prof. Panu Poutvaara, Ph.D., Prof. Dr. Hannes Schammann.

    Weitere Informationen unter: www.svr-migration.de


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