In vielen Sprachen gibt es Wörter, die zwar gleich ausgesprochen werden, aber Unterschiedliches bedeuten – sogenannte Homophone. Forschungen zum Englischen und Deutschen haben gezeigt, dass es dennoch manchmal feine Unterschiede im Klang von Homophonen gibt, zum Beispiel bei time (‚Zeit‘) und thyme (‚Thymian‘), aber es war bislang unklar, ob das eine universale Eigenschaft von menschlicher Sprache ist. Eine neue am Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft durchgeführte Studie zeigt ein unerwartetes Ergebnis: In den meisten Sprachen weltweit wird auf akustische Unterscheidung weitgehend verzichtet.
Die Untersuchung analysiert Sprachdaten aus 37 Sprachen von allen fünf bewohnten Kontinenten – darunter Arapaho (USA), Beja (Sudan) und Vera'a (Vanuatu) – und prüft, ob gleichlautende Wörter und Wortendungen in ihrer akustischen Dauer je nach Bedeutung systematisch variieren. Die Daten stammen aus dem DoReCo-Korpus, einer umfangreichen Sammlung zeitlich annotierter Sprachaufnahmen aus bedrohten und wenig dokumentierten Sprachen, die ebenfalls unter Beteiligung des Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft entwickelt wurde und als Open-Access Datenbank verfügbar ist.
Das Ergebnis: Bedeutungsunterschiede haben im Schnitt nur einen sehr geringen Einfluss auf die akustische Realisierung. Entscheidend für die Länge eines Morphems, also eines Wortes oder Wortbestandteils, sind vielmehr allgemeine Faktoren wie Sprechtempo, Position im Satz oder individuelle Sprechermerkmale. Nur in wenigen, typologisch ungewöhnlichen Fällen – etwa bei besonders „überfüllten“ Homophon-Gruppen oder bei Morphemen mit dem Zischlaut /s/ – zeigen sich deutliche Unterschiede in der Aussprache.
„Der Befund ist bemerkenswert – denn bislang war man eher vom Gegenteil ausgegangen.“, so Dr. Ludger Paschen, Autor der Studie. Zudem hätten sich frühere Studien fast ausschließlich auf das Englische oder Deutsche konzentriert. „Das unterstreicht einmal mehr, wie wichtig eine breite, sprachübergreifende Perspektive ist – vor allem, wenn es um grundlegende Eigenschaften menschlicher Sprache geht.“ Zugleich spreche vieles dafür, dass dieser Befund Ausdruck eines allgemeinen Prinzips sprachlicher Ökonomie sei: „Sprachen verzichten häufig auf akustisches Fine-Tuning, wenn es nicht zwingend nötig ist – etwa, weil sich Homophone meist problemlos aus dem Kontext erschließen lassen.“
Die Studie leistet damit einen wichtigen Beitrag zum Verständnis von Sprachökonomie und zeigt zugleich, wie aufschlussreich dokumentierte Sprachdaten aus bisher wenig erforschten Sprachen für grundlegende Fragen der Sprachwissenschaft sein können.
Dr. Ludger Paschen
Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft (ZAS), Berlin
paschen@leibniz-zas.de
Ludger Paschen: Acoustic disambiguation of homophonous morphs is exceptional.
In: Journal of Linguistics, Cambridge University Press, 2025.
https://doi.org/10.1017/S0022226725100777
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Deutsch
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