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25.07.2025 09:35

EU-Strukturhilfen und Beihilfen der Mitgliedstaaten an soziale Anforderungen zu koppeln entspricht dem Europarecht

Rainer Jung Abt. Öffentlichkeitsarbeit
Hans-Böckler-Stiftung

    Neues Rechtsgutachten

    EU-Strukturhilfen und Beihilfen der Mitgliedstaaten an soziale Anforderungen zu koppeln entspricht dem Europarecht

    Wenn die sozial-ökologische Transformation gelingen soll, muss der Staat Unternehmen sowie Verbraucher*innen unter die Arme greifen, auch mit finanziellen Beihilfen. Das ist europarechtlich möglich – vor allem dann, wenn Subventionen für Unternehmen auch an soziale Vorgaben gebunden sind, beispielsweise zur Sicherung von Standorten oder zur Bezahlung nach Tarifvertrag. Das ergibt ein neues Rechtsgutachten.*

    Ob es um Beihilfen für eine klimafreundliche Stahlproduktion geht oder um Chipfabriken: Die EU-Kommission muss zustimmen, bevor ihre Mitgliedsstaaten solche Projekte unterstützen dürfen. Eine Gruppe, Branche oder Region staatlich zu subventionieren, ist nur in ganz bestimmten Fällen und unter strengen Voraussetzungen möglich. Ist ein großflächiger ökologischer Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft, der an vielen Stellen einer sozialen Abfederung bedarf, unter diesen Vorzeichen überhaupt umsetzbar? Das hat Prof. Dr. Wolfram Cremer, Professor für Europarecht an der Universität Bochum, im Auftrag des Hugo Sinzheimer Instituts (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung untersucht.*

    Zuwendungen „bedürfen als Beihilfen im Sinne des EU-Beihilfenrechts einer Rechtfertigung nach Maßgabe der einschlägigen Regeln“, so Cremer. Zu rechtfertigen sind sie etwa, wenn das begünstigte Unternehmen soziale Vorgaben erfüllen muss wie Standort-, Arbeitsplatzerhaltungs- oder Tariftreuezusagen. Ein Beispiel sei die Unterstützung von Unternehmen im Rahmen der Preisbremsen für Gas und Strom im Jahr 2021, die an eine Pflicht zum Erhalt von Arbeitsplätzen gebunden wurde.

    Um festzustellen, welche Kriterien genau erfüllt sein müssen, ist laut Cremer zunächst eine eingehende Analyse der wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des EU-Primärrechts nötig. Nach seiner Untersuchung ist in die EU-Grundlagenverträge keineswegs eine „dezidiert interventionsaverse marktwirtschaftliche Wirtschaftsverfassung“ eingeschrieben. Aus den grundlegenden Dokumenten ergebe sich lediglich eine „Absage an eine zentrale Verwaltungswirtschaft“. Im Zeitverlauf hätten soziale Anliegen zudem an Bedeutung gewonnen: Während im Vertrag von Maastricht noch von „einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ die Rede war, heißt es im jüngeren Vertrag von Lissabon, das Ziel sei eine „in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft“. Die soziale Dimension, der Anspruch, Ausgrenzung und Diskriminierung zu verhindern sowie eine nachhaltige Entwicklung zu fördern, spielten im Selbstverständnis der EU heute eine wichtige Rolle, wie den Vertragstexten zu entnehmen sei.

    Auch die nachgeordneten Ebenen des Europarechts hat der Jurist unter die Lupe genommen. Er betont, dass das Beihilfenverbot durchaus Ausnahmen für „Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher“ und auch für die Förderung von Unternehmen kennt. Legitim ist zudem die „Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse“. Als solche kommen Cremer zufolge „gerade transformationsgetriebene Vorhaben“ mit sozialer Stoßrichtung in Betracht.

    Auch mit dem mehrjährigen Finanzrahmen der EU, dessen Fortschreibung für die Jahre 2028 bis 2034 die aktuellen europapolitischen Debatten bestimmt, hat sich der Autor der Studie befasst. Mit den europäischen Fonds soll den wirtschaftlichen und sozialen Ungleichgewichten in der EU entgegengewirkt werden. Beispiele dafür sind der Fonds für regionale Entwicklung und der Fonds für einen gerechten Übergang. Letzterer soll Regionen und Menschen dabei unterstützen, die sozialen, beschäftigungsspezifischen, wirtschaftlichen und ökologischen Auswirkungen des Übergangs zu den energie- und klimapolitischen Vorgaben sowie zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu bewältigen.

    Aber was sagt das EU-Recht zur praktischen Umsetzung? Unabhängig von dessen genauer Ausgestaltung sind – nach dem festgeschriebenen Finanzierungsmodus – während der gesamten Laufzeit der Programme auch die Wirtschafts- und Sozialpartner zu beteiligen. Das bedeutet, so Cremer, dass nicht zuletzt die Gewerkschaften auf die inhaltliche Planung Einfluss nehmen können.

    Dr. Ernesto Klengel, der wissenschaftliche Direktor des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht, betont: „Die aktuellen Debatten über die Finanzen des Bundes oder der EU machen deutlich: Ein handlungsfähiger Staat ist zentral dafür, dass die Umbrüche in der Wirtschaft nicht zu sozialen Verwerfungen führen. Die Verwendung von staatlichen Fördermitteln darf nicht zum Abbau von sozialen Rechten am Arbeitsplatz beitragen. Die vorliegende Studie zeigt, dass das EU-Recht großen Spielraum dafür bietet.“


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Dr. Ernesto Klengel
    Wissenschaftlicher Direktor des HSI
    Tel.: 069-6693-2902
    E-Mail: Ernesto-Klengel@boeckler.de

    Rainer Jung
    Leiter Pressestelle
    Tel.: 0211-7778-150
    E-Mail: Rainer-Jung@boeckler.de


    Originalpublikation:

    *Wolfram Cremer: Soziale Kriterien und EU-Beihilfenrecht, HSI-Schriftenreihe Nr. 58, im Erscheinen.

    Hinweis an die Redaktionen: Für ihre Berichterstattung schicken wir Journalist*innen gerne eine digitale Vorabversion des Rechtsgutachtens zu. Bitte schreiben Sie kurz an presse@boeckler.de.


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Politik, Recht, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

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