• Neutrinos sind essentiell im Standardmodell der Teilchenphysik, aber aufgrund ihrer Ei-genschaften sehr schwer nachweisbar. Im Allgemeinen sind dafür riesige Detektoren nötig.
• Forschenden ist es nun gelungen, Anti-Neutrinos aus dem Reaktor des Kernkraftwerks Leibstadt in der Schweiz mit einem deutlich kleineren Detektor nachzuweisen.
• Diese Experimente bieten neue Einblicke in das Standardmodell der Teilchenphysik und könnten zukünftig zur Überwachung von Kernreaktoren eingesetzt werden, da sie sehr kompakt sind.
Neutrinos sind extrem schwer nachweisbare Elementarteilchen. Tag und Nacht strömen jede Sekunde 60 Milliarden von ihnen von der Sonne durch jeden Quadratzentimeter der Erde, die für sie durchsichtig ist. Nach der ersten theoretischen Vorhersage ihrer Existenz vergingen Jahrzehnte, bis sie tatsächlich nachgewiesen wurden. Diese Experimente sind in der Regel extrem groß, um der sehr geringen Wechselwirkung der Neutrinos mit Materie Rechnung zu tragen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Kernphysik (MPIK) in Heidelberg ist es nun gelungen, mit dem CONUS+ Experiment Antineutrinos aus dem Reaktor eines Kernkraftwerkes nachzuweisen, und das mit einer Detektormasse von nur 3 kg.
Ursprünglich am Kernkraftwerk Brokdorf beheimatet, wurde das CONUS-Experiment im Sommer 2023 an das Kernkraftwerk Leibstadt (KKL) in der Schweiz verlegt. Verbesserungen an den jeweils 1 kg schweren Germanium-Halbleiter-Detektoren sowie die hervorragenden Messbedingungen am KKL ermöglichten erstmals die Messung der sogenannten Coherent Elastic Neutrino-Nucleus Scattering (CEvNS). Bei diesem Prozess streuen Neutrinos nicht an den einzelnen Bestandteilen der Atomkerne im Detektor, sondern in sich zusammenhängend (kohärent) mit dem gesamten Kern. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit eines sehr kleinen, aber beobachtbaren Kernrückstoßes erheblich. Dieser Rückstoß durch die Neutrino-Streuung ist vergleichbar mit dem Abprallen eines Tischtennisballs an einem Auto, wobei der Nachweis in der sich ändernden Bewegung des Autos besteht. Im Fall von CONUS+ sind die Streupartner die Atomkerne des Germaniums. Um diesen Effekt zu beobachten, werden niederenergetische Neutrinos benötigt, wie sie in Kernreaktoren in großer Zahl produziert werden.
Der Effekt wurde bereits 1974 vorhergesagt, jedoch erst 2017 durch das COHERENT-Experiment an einem Teilchenbeschleuniger erstmals bestätigt. Im CONUS+ Experiment ist es nun erstmals gelungen, den Effekt bei voller Kohärenz und kleineren Energien an einem Reaktor zu beobachten, wie in einem aktuellen Nature-Forschungsartikel beschrieben wird. Der kompakte CONUS+ Aufbau befindet sich 20,7 m vom Reaktorkern entfernt (siehe Abb. 1). An dieser Position durchströmen jede Sekunde mehr als 10 Billionen Neutrinos jeden Quadratzentimeter Fläche. Nach etwa 119 Tagen Messzeit zwischen Herbst 2023 und Sommer 2024 konnten die Forschenden aus den CONUS+ Daten, nach Abzug aller Untergrund- und Störsignale, einen Überschuss von 395±106 Neutrino-Signalen extrahieren (siehe Abb. 2). Dieser Wert stimmt innerhalb der Messunsicherheit sehr gut mit theoretischen Berechnungen überein. „Wir haben damit erfolgreich die Sensitivität des CONUS+ Experimentes sowie dessen Fähigkeit, Antineutrino-Streuung an Atomkernen nachzuweisen, bestätigt“, erläutert Dr. Christian Buck, einer der Autoren der Studie. Er betont auch die mögliche Entwicklung kleiner, mobiler Neutrino-Detektoren zur Überwachung der Reaktor-Wärmeleistung oder der Isotopen-Konzentration als mögliche zukünftige Anwendungen der hier vorgestellten CEvNS-Technik.
Die Messung von CEvNS bietet einzigartige Einblicke in grundlegende physikalische Prozesse innerhalb des Standardmodells der Teilchenphysik, der aktuellen Theorie zur Beschreibung des Aufbaus unseres Universums. Im Vergleich zu anderen Experimenten ermöglichen die Messun-gen mit CONUS+ eine geringere Abhängigkeit von kernphysikalischen Aspekten, wodurch die Sensitivität auf neue Physik jenseits des Standardmodells verbessert wird. Aus diesem Grund wurde CONUS+ bereits im Herbst 2024 mit verbesserten und größeren Detektoren ausgestattet. Mit der dadurch erreichten Messgenauigkeit werden noch bessere Ergebnisse erwartet. „Die in CONUS+ verwendeten Techniken und Methoden haben ein sehr gutes Potenzial für fundamen-tale neue Entdeckungen“, betont Prof. Lindner, Initiator des Projekts und ebenfalls Autor der Studie. „Die bahnbrechenden CONUS+ Ergebnisse könnten daher den Startpunkt für einen neuen Bereich in der Neutrino-Forschung markieren.“
PD Dr. Christian Buck, Tel: +49 6221 516 829, christian.buck@mpi-hd.mpg.de
Prof. Dr. Dr. h.c. Manfred Lindner, Tel: +49 6221 516 800, lindner@mpi-hd.mpg.de
Direct observation of coherent elastic antineutrino–nucleus scattering,
DOI: 10.1038/s41586-025-09322-2
https://www.nature.com/articles/s41586-025-09322-2
CONUS+ im Reaktor Leibstadt
Copyright: MPIK
Ergebnisse der Antineutrinomessung mit CONUS+
Copyright: MPIK
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wissenschaftler
Energie, Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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