Forschende entwickeln neue Messmethode und analysieren über 180 Gerstensorten aus aller Welt
Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATIs) sind Proteine, die im menschlichen Körper Immunreaktionen auslösen können. Bekannt sind sie vor allem aus Weizen, dort gelten sie als mögliche Auslöser der sogenannten Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität. Einem internationalen Forschungsteam um Katharina Scherf vom Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München ist es nun erstmals gelungen, diese Proteine auch in Gerste präzise zu messen. Die Ergebnisse könnten neue Wege für die Entwicklung besser verträglicher Lebensmittel eröffnen.
Für ihre Untersuchung analysierten die Forschenden 181 verschiedene Gerstensorten aus aller Welt. Unter den Sorten befanden sich 113 zweizeilige und 68 sechszeilige Typen mit unterschiedlichen genetischen Hintergründen. Zweizeilige Sorten bilden zwar nur ein Korn pro Ansatzstelle in der Ähre aus, dieses ist jedoch besonders kräftig und stärkereich und somit insbesondere für die Bierherstellung geeignet. Im Gegensatz dazu entwickeln mehrzeilige Gerstensorten drei Körner pro Ansatzstelle. Diese sind etwas schwächer entwickelt und dienen hauptsächlich als Tierfutter.
Mithilfe eines eigens entwickelten Analyseverfahrens konnte das Team um Katharina Scherf erstmals zehn gerstenspezifische ATI-Typen eindeutig identifizieren und quantifizieren. „Bislang wussten wir kaum etwas über das Vorkommen von ATIs in Gerste. Unsere Methode liefert nun erstmals belastbare Daten zur gerstenspezifischen ATI-Zusammensetzung“, berichtet die Studienleiterin.
Wie ihr Forschungsteam zeigt, variierte der ATI-Gesamtgehalt der untersuchten Proben zwischen 1,1 und 5,2 Milligramm pro Gramm Mehl, was 0,7–3,6 Prozent des gesamten Proteingehalts entspricht. Auffällig: Die Zeilenzahl der Gerste beeinflusste den ATI-Gehalt nicht wesentlich.
Relevanz für Menschen mit Unverträglichkeiten
Die Erkenntnisse sind vor allem für Menschen mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten relevant. ATIs gelten neben Gluten und sogenannten FODMAPs als mögliche Auslöser von Beschwerden wie Durchfall, Blähungen, Kopfschmerzen oder „Brain Fog“. Sabrina Geißlitz, Co-Autorin vom Leibniz-Institut, ergänzt: „Zwar ist die Diagnose der Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität bislang schwierig, doch viele Betroffene berichten von einer Linderung der Symptome bei einer glutenfreien oder glutenarmen Ernährung.“
„Indem wir nun auch die ATI-Zusammensetzung in Gerste besser kennen, können wir gezielt Sorten mit besonders niedrigem ATI-Gehalt identifizieren. Das ist ein wichtiger erster Schritt für die Züchtung besser verträglicher Gerstensorten“, erklärt Sarah Joestl, Erstautorin der Studie und Doktorandin von Katharina Scherf. Besonders vielversprechend seien drei sechszeilige Landrassen mit Ursprung in Eritrea, Griechenland und Äthiopien, die sehr niedrige ATI-Gehalte aufwiesen.
Gerste – mehr als nur Biergrundlage
Gerste ist nach Mais, Weizen und Reis eines der wichtigsten Getreide weltweit. Allein im Erntejahr 2023/24 wurden rund 142 Millionen Tonnen geerntet. In Europa wird sie vor allem für Tierfutter und die Bierproduktion verwendet, zunehmend aber auch als Zutat in Frühstückscerealien, Backwaren oder pflanzlichen Fleischalternativen.
In zukünftigen Studien wollen die Forschenden daher auch den ATI-Gehalt in verarbeiteten Gerstenprodukten untersuchen. Ziel ist es, die Verträglichkeit dieser Produkte zu verbessern, insbesondere für empfindliche Menschen mit Allergien oder chronisch-entzündlichen Erkrankungen.
Publikation: Joestl, S., Alomari, D.Z., Alqudah, A.M., Börner, A., Geisslitz, S., and Scherf, K.A. (2025). Quantitation of amylase/trypsin-inhibitors in barley using targeted LC-MS/MS. Food Res Int, 116910. 10.1016/j.foodres.2025.116910. https://doi.org/10.1016/j.foodres.2025.116910
Förderung: Co-finanziert durch die Europäische Union (ERC, GLUTENOMICS, 101040437). Die geäußerten Ansichten und Meinungen sind jedoch ausschließlich die der Autoren und spiegeln nicht unbedingt die der Europäischen Union oder der Exekutivagentur des Europäischen Forschungsrats wider. Weder die Europäische Union noch die Bewilligungsbehörde können dafür verantwortlich gemacht werden.
Hintergrundinformation:
Amylase/Trypsin-Inhibitoren (ATIs) sind natürlich vorkommende Proteine, die sich im Endosperm befinden, dem Nährstoffspeicher der Körner. Sie sind möglicherweise an der Kornreife und der Kohlenhydratspeicherung beteiligt. Zudem fungieren sie als Schutz vor Parasiten und Krankheitserregern, indem sie die Verdauungsenzyme alpha-Amylase und/oder Trypsin hemmen.
FODMAPs sind bestimmte Arten von Kohlenhydraten, die in vielen Lebensmitteln vorkommen. Sie können bei manchen Menschen Verdauungsbeschwerden wie Blähungen, Bauchschmerzen und Durchfall auslösen. Die Abkürzung FODMAP (Fermentable Oligosaccharides, Disaccharides, Monosaccharides, and Polyols) steht für fermentierbare Mehrfach-, Zweifach- und Einfachzucker sowie Zuckeralkohole. Lebensmittel mit hohem FODMAP-Gehalt sind z. B. Getreidesorten wie Weizen, Milchprodukte, bestimmte Obst- und Gemüsesorten und Hülsenfrüchte.
Die Prävalenz für Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität variiert in der westlichen Bevölkerung zwischen 0,6 und 6 Prozent.
Getreide wie Mais, Weizen, Reis und Gerste sind weltweit wichtige Grundnahrungsmittel und decken über 60 Prozent des globalen Nahrungsmittelbedarfs. Gerste war eine der ersten Getreidearten, die domestiziert wurde, und wird aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit an verschiedene Klimazonen und geographische Gebiete weltweit angebaut.
Analysemethoden: Für ihre Analysen entwickelte das Forschungsteam seine eigene Flüssigkeitschromatographie-Tandem-Massenspektrometrie-Methode, die es mit einer Stabilisotopenverdünnungsanalyse kombinierte.
Die in der Studie untersuchten Gerstenproben wurden vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung zur Verfügung gestellt.
Kontakte:
Expertinnen-Kontakt:
Prof. Dr. Katharina Scherf
Leiterin der Arbeitsgruppe Food Biopolymer Chemistry
Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie
an der Technischen Universität München (Leibniz-LSB@TUM)
Lise-Meitner-Str. 34
85354 Freising
Tel.: +49 8161 71-2719
E-Mail: k.scherf.leibniz-lsb@tum.de
Dr. Sabrina Geißlitz
Arbeitsgruppe Food Biopolymer Chemistry am Leibniz-LSB@TUM
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E-Mail: s.geisslitz.leibniz-lsb@tum.de
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Informationen zum Institut:
Das Leibniz-Institut für Lebensmittel-Systembiologie an der Technischen Universität München besitzt ein einzigartiges Forschungsprofil an der Schnittstelle zwischen Lebensmittelchemie & Biologie, Chemosensoren & Technologie sowie Bioinformatik & Maschinellem Lernen. Weit über die bisherige Kerndisziplin der klassischen Lebensmittelchemie hinausgewachsen, leitet das Institut die Entwicklung einer Systembiologie der Lebensmittel ein. Sein Ziel ist es, neue Ansätze für die nachhaltige Produktion ausreichender Mengen an Lebensmitteln zu entwickeln, deren Inhaltsstoff- und Funktionsprofile an den gesundheitlichen und nutritiven Bedürfnissen, aber auch den Präferenzen der Verbraucherinnen und Verbraucher ausgerichtet sind. Hierzu erforscht es die komplexen Netzwerke sensorisch relevanter Lebensmittelinhaltsstoffe entlang der gesamten Wertschöpfungskette mit dem Fokus, deren physiologische Wirkungen systemisch verständlich und langfristig vorhersagbar zu machen.
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Joestl, S., Alomari, D.Z., Alqudah, A.M., Börner, A., Geisslitz, S., and Scherf, K.A. (2025). Quantitation of amylase/trypsin-inhibitors in barley using targeted LC-MS/MS. Food Res Int, 116910. 10.1016/j.foodres.2025.116910. https://doi.org/10.1016/j.foodres.2025.116910
https://www.leibniz-lsb.de/institut/mitarbeiterinnen/erc-starting-grant-prof-dr-... GLUTENOMICS - Tracking gluten immunoreactive peptides from the grain to the gut and beyond
Gerste
Quelle: Prof. Dr. Katharina Scherf
Copyright: Prof. Dr. Katharina Scherf
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Lehrer/Schüler, Studierende, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler, jedermann
Biologie, Chemie, Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin, Tier / Land / Forst
überregional
Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
Deutsch
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