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30.07.2025 08:00

Kommunale Finanzen – Größtes Defizit in der Geschichte der Bundesrepublik

Jochen Lange Pressestelle
Bertelsmann Stiftung

    Die Kommunen in Deutschland haben 2024 mit etwa 25 Milliarden Euro das größte Defizit der bundesdeutschen Geschichte verbucht. Die Ursachen dieses Trendwechsels liegen in der hohen Inflation und der schwachen Konjunktur. Auch der Ausblick ist negativ. Vor diesem Hintergrund zeigt die Bertelsmann Stiftung Möglichkeiten zur Verbesserung der
    kommunalen Finanzlage auf.

    Gütersloh, 30. Juli 2025. Die Finanzlage der Kommunen in Deutschland ist im vergangenen Jahr flächendeckend eingebrochen. Die Steuereinnahmen stagnieren infolge schwacher Konjunktur. Die wichtigsten Ausgabearten wie Personal, Sachaufwand oder Soziales wachsen ungebremst. Das sind einige zentrale Ergebnisse des neuen "Kommunalen Finanzreports 2025“ der Bertelsmann Stiftung.

    Auch der Ausblick für die kommenden Jahre ist pessimistisch. Die strukturellen Probleme zum Beispiel der Sozialausgaben sind ungelöst, die Inflation hat das Ausgabenniveau dauerhaft erhöht, die Konjunktur bleibt schwach. Brigitte Mohn, Vorständin der Bertelsmann Stiftung, sagt: "Das Defizit des Jahres 2024 markiert eine Zeitenwende, welche die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen nachhaltig infrage stellt. Kommunen schultern über 50 Prozent der öffentlichen Investitionen und sind wichtig für den sozialen Zusammenhalt. Wir brauchen eine Staatsreform, weil die Kommunen diese wichtigen Aufgaben sonst nicht mehr wahrnehmen können. Auch Bund und Länder müssen sich für eine dauerhafte Verbesserung der kommunalen Situation engagieren. Die Aufgaben für die Kommunen sind aufgrund der bundesgesetzlichen Regelungen zu aufwändig. Es braucht die eindeutige Finanzierungsverantwortung beim Bund.“

    Nahezu flächendeckend Defizite

    Die Kommunen insgesamt erzielten in den Jahren 2015 bis 2022 noch Überschüsse. Doch bereits ab 2020 basierten diese auf Sondereffekten wie Hilfsprogrammen von Bund und Ländern. Im Jahr 2023 stand erstmals nach neun Jahren wieder ein Minus in den Kassenbüchern, das sich 2024 mehr als verdreifachte. Dieses Minus traf fast alle Bundesländer und fiel in den wirtschaftsstarken Regionen Bayern und Hessen besonders groß aus.

    Ausgaben laufen davon

    Anders als in früheren Jahren liegt die Ursache für die schlechte Kassenlage in erster Linie in der Entwicklung der Ausgaben, die allein 2024 um zehn Prozent zulegten. Die Personalausgaben haben sich binnen zehn Jahren verdoppelt, was eine Folge des Stellenwachstums und hoher Tarifabschlüsse ist. Der laufende Sachaufwand erhöht sich auch durch die Inflation und stieg um ein Viertel in zwei Jahren. Davon betroffen sind zum Beispiel die Ausgaben für Dienstleistende, Büroausstattung oder die Bewirtschaftung der Gebäude. Auch die Sozialausgaben verzeichneten binnen zwei Jahren einen Sprung um ein Viertel auf nunmehr 85 Mrd. Euro. Die Kommunen tragen ein großes Spektrum sozialer Aufgaben, die überwiegend bundesgesetzlich geregelt, aber oft nicht ausreichend vom Bund gegenfinanziert sind.

    Investitionen weiterhin zu gering

    Die Städte, Landkreise und Gemeinden sind verantwortlich für wichtige Infrastrukturen, die sowohl die Lebensqualität für Bürger:innen als auch die Standortqualität für Unternehmen definieren. Der Aus- und Umbau kommunaler Infrastrukturen ist auch für die Anpassung an die Folgen des Klimawandels essenziell. Zwar verzeichneten die kommunalen Investitionen 2024 einen Rekord von 52 Milliarden Euro, allerdings wächst der Investitionsrückstand dennoch weiter und die Ausgaben werden durch besonders hohe Inflationsraten der Baubranche überlagert. Im regionalen Vergleich tritt die seit Langem bekannte Verteilung auf: Die höchsten Investitionen tätigen mit Abstand die Kommunen in Bayern. Am anderen Ende kristallisieren sich mit dem Saarland, Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen über die Zeit Regionen heraus, die infrastrukturell immer weiter zurückfallen.

    Steuern stagnieren infolge schwacher Konjunktur

    Die lange Zeit hohe Wachstumsdynamik der kommunalen Steuern (von 2014 zu 2024 sind die kommunalen Steuereinnahmen bundesweit um 60 Prozent gestiegen) kam 2024 vor dem Hintergrund der schwachen wirtschaftlichen Lage zum Erliegen. Preisbereinigt bedeutet die nominale Stagnation bereits einen Verlust an kommunaler Kaufkraft. Im regionalen Vergleich der Steuereinnahmen zeigen sich die langfristig bekannten Muster: An der Spitze stehen Hessen, Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, am Ende die fünf ostdeutschen Bundesländer. Von den zwanzig schwächsten Kommunen liegen 17 in Ostdeutschland. Hessen erreicht je Einwohner:in mehr als das Doppelte des thüringischen Wertes. Hintergrund dieser Differenzen ist die noch immer unterschiedliche Wirtschaftskraft der Regionen.

    Kassenkredite steigen wieder an

    Die Kassenkredite, der "kommunale Dispo-Kredit“, sind primär die Folge von Haushaltsdefiziten und gelten seit jeher als zentraler Krisenindikator. „Nach sieben Jahren des Abbaus steigen diese seit 2023 bundesweit wieder an. Die Problematik konzentriert sich immer stärker auf Nordrhein-Westfalen. Ein Viertel des bundesdeutschen Volumens entfällt auf lediglich neun Städte dieses Landes“, erklärt René Geißler, Professor für öffentliche Verwaltung an der TH Wildau und Mitautor der Studie. "Andere frühere Krisenregionen wie das Saarland und Rheinland-Pfalz haben bereits Hilfsprogramme implementiert. Hier drohen allerdings die hart errungenen Erfolge der vergangenen Jahre angesichts neuer Defizite verloren zu gehen.“

    Handlungsansätze zur Finanzierung der Transformation erforderlich

    "Nicht nur hohe Defizite und ein bundesweiter Investitionsstau von 215 Milliarden Euro belasten die kommunalen Haushalte. Zusätzlich sind umfangreiche Investitionen in die Klimaanpassung der kommunalen Infrastruktur notwendig, um einen substanziellen Beitrag zur Minderung der Treibhausgase zu leisten“, betont Kirsten Witte, Kommunalexpertin der Bertelsmann Stiftung. "Angesichts der aktuellen Finanzlage werden die Kommunen die dafür notwendigen Mittel nicht allein aufbringen können. Auch das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität wird diese Bedarfe nur teilweise decken. Deswegen sind weitere langfristige Ansätze zur Finanzierung notwendig“, fordert Witte. Der neue Kommunale Finanzreport 2025 zeigt dazu die Vor- und Nachteile verschiedener Ansätze auf, wie beispielsweise ein gemeinsames Bund-Länder-Sondervermögen oder ein privat-öffentlicher Zukunfts- und Transformationsfonds. Darüber hinaus bleibt es unerlässlich, dass die dauerhafte Unterfinanzierung der Kommunen durch langfristige Strukturreformen behoben wird.

    Zusatzinformationen:
    Der Kommunale Finanzreport der Bertelsmann Stiftung erscheint seit 2008 alle zwei Jahre. Er untersucht die Kommunen der Flächenländer und basiert auf den jeweils aktuellen amtlichenFinanzstatistiken. Ziel des Kommunalen Finanzreports ist es, die Finanzlage im regionalen Vergleich anhand wichtiger Indikatoren darzustellen und Lösungsoptionen aufzuzeigen. Der Kommunale Finanzreport 2025 wurde in Kooperation mit der Technischen Hochschule Wildau und dem Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) erarbeitet.

    Ansprechpartner:innen:

    Dr. Kirsten Witte, Telefon: 0173-5239924
    E-Mail: kirsten.witte@bertelsmann-stiftung.de

    Prof. Dr. René Geißler, Telefon: 0152 3893 7142
    E-Mail: rene.geissler@th-wildau.de


    Weitere Informationen:

    https://www.bertelsmann-stiftung.de


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    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Gesellschaft, Politik, Wirtschaft
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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