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14.09.2004 15:22

Gynäkologen-Kongress "Fortschritt ermöglichen - Grenzen erkennen"

Dipl. Biol. Barbara Ritzert Pressearbeit
Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften

    Wie in keiner anderen medizinischen Fachrichtung verbinden sich in der Gynäkologie modernste High-Tech-Strategien mit ethischen Herausforderungen. Dieser Spannungsbogen zieht sich durch das Programm des 55. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, der vom 14. bis 17. September in Hamburg stattfindet. Rund 2500 Frauenärztinnen und Frauenärzte werden teilnehmen. Das Motto: "Fortschritt ermöglichen - Grenzen erkennen".

    In der Gynäkologie und Geburtshilfe verdichten sich viele ethisch-rechtliche Konflikte der modernen Medizin. Beispiele dafür gibt es in allen drei Bereichen des Faches: Im Bereich Endokrinologie und Reproduktionsmedizin geht es beispielsweise um die Untersuchung von Embryonen vor deren Übertragung in den Mutterleib. Im Bereich Onkologie und operative Gynäkologie entzünden sich Debatten über Krebstherapien zwischen Radikalität und Lebensqualität. Pränatalmediziner und Geburtshelfer können einerseits kleinste Frühgeborene am Leben erhalten, was für diese Kinder mit dem Risiko lebenslanger Krankheit verbunden sein kann, und müssen andererseits Schwangerschaften mitunter in sehr späten Phasen abbrechen.
    Möglichkeiten und Grenzen ausloten.

    "Vieles ist heute möglich geworden", erklärt Tagungspräsident Professor Klaus Diedrich, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein - Campus Lübeck, "doch soll alles, was machbar ist, auch in die Tat umgesetzt werden?" Der Frage nach den Grenzen - im Guten wie im Schlechten - müssen sich die Gynäkologen nach Auffassung ihres Präsidenten mit wachsender Dringlichkeit stellen. Diedrich: "In der Theorie erscheint alles vertretbar, was dem Menschen hilft. Die Realität ist aber ungleich komplizierter. Im Spannungsfeld zwischen der primären Pflicht, der Patientin zu helfen, und der ethischen Verantwortung gegenüber unserer Gesellschaft, stoßen wir immer wieder an Grenzen." Entsprechend werden auf dem Kongress nicht nur die Fortschritte auf allen Gebieten der Frauenheilkunde, sondern auch deren Grenzen ausgeleuchtet.

    In der Onkologie sind in der Diagnostik und Therapie in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden. Die Sterblichkeit an Brustkrebs sinkt ähnlich wie in den USA und in England. Neue Therapieleitlinien, an deren Entwicklung die Gynäkologen entscheidenden Anteil hatten, stellen die Behandlung von Brustkrebs in Deutschland auf ein wissenschaftlich solides Fundament. Besonders wichtig für eine Versorgung auf hohem Niveau sind nach europäischen Regeln akkreditierte Brustzentren, deren Leistung strengen Anforderungen entspricht.

    "Jedoch können wir noch nicht zufrieden sein", schränkt Diedrich ein, "weil wir immer noch viele Patientinnen nicht heilen können." Mit den bisherigen therapeutischen Maßnahmen lassen sich oft nur eine kurze Verlängerung des Überlebens unter hohen Belastungen und Einschränkungen der Lebensqualität erreichen. "Wir müssen uns deshalb besonders um die Psychoonkologie und palliative Medizin bemühen", so Diedrich. Ebenso müsse das bisherige Spektrum der onkologischen Therapien durch Forschung und die schnelle Umsetzung neuer Erkenntnisse in die klinische Anwendung vorangebracht werden.

    In der Reproduktionsmedizin werden ethische Konflikte durch die Verfügbarkeit des Embryos im Labor besonders deutlich. Ein Beispiel ist der Einsatz diagnostischer Untersuchungen nach morphologischen Kriterien zur Embryonenauswahl vor der Implantation um zum einen die Schwangerschaftsrate zu erhöhen und die Mehrlingsrate zu reduzieren. Ein anderes Konfliktfeld ist die Forschung mit embryonalen Stammzellen. "Während die Menschenwürde im Grundgesetz als ein unbedingtes und unabänderbares Prinzip verankert ist", erklärt Diedrich, "sind beim Lebensschutz im Konfliktfall Abwägungen zulässig - sonst wäre ein Schwangerschaftsabbruch nicht denkbar. "So betrachtet erscheint es vorstellbar", betont der Gynäkologe, "in begründeten Ausnahmefällen das Leben von frühen Embryonen gegen ein anderes Gut abzuwägen." Darum hält die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe eine breite gesellschaftliche Debatte, die in ein Fortpflanzungsmedizin-Gesetz mündet, für dringend erforderlich.

    In der Pränataldiagnostik ist durch die Verbesserung des Auflösungsvermögens des Ultraschalls und die Einführung der 3D-Sonographie ein besserer Einblick in die Entwicklung des Embryos und Feten möglich geworden. "Während wir vor 30 Jahren noch froh waren, wenn wir im Ultraschall den Kopf vom Steiß unterscheiden konnten", erinnert sich Diedrich, "ist heute in der hohen Schule der Sonographie die genaue Beurteilung des fetalen Herzens mit vielen Abweichungen von der Norm möglich geworden." Die verbesserte Diagnostik in der Pränatalmedizin führt darum unweigerlich zu neuen Problemen und Grenzen. "Wie gehen wir mit diesen neuen Möglichkeiten um", fragt Diedrich, "wie beraten wir die werdenden Eltern, damit sie zu einer für sie oft schwierigen aber doch akzeptablen Entscheidung kommen können? Hier werden Probleme erreicht, die oft für die werdenden Eltern und die behandelnden Pränatalmedizinern nur schwer zu lösen sind." Besonders schwierig wird die Situation bei zu erwartender Lebensfähigkeit des Kindes und einem späten Schwangerschaftsabbruch. Auf diesem Gebiet treibt die Fachgesellschaft die gesellschaftliche Debatte seit einigen Jahren intensiv voran und legt auch bei der Hamburger Tagung eine erweiterte Stellungnahme vor.

    Auch die Möglichkeiten der Frühgeborenenmedizin stellen Ärzte und Eltern vor schwere Entscheidungen. Die Verbesserung der Überwachung des Kindes vor der Geburt und die Verfeinerung der Beatmungstechniken mit dem Einsatz des Surfactant, einem Mittel, das die Lungenreifung fördert, ermöglichen heute ein gesundes Überleben der Frühgeborenen bereits ab der 24. Woche in einem hohen Prozentsatz. "Oft wird jedoch durch den Einsatz aller medizinischen Möglichkeiten ein Kind um den Preis schwerster Schädigungen am Leben erhalten", kritisiert Diedrich. Hier gelte es, für den Geburtshelfer gemeinsam mit den Neonatologen mit kritischem Augenmaß die Grenzen zu erkennen und nicht alle therapeutischen Wege auszureizen.

    Die Hormontherapie in den Wechseljahren wird ebenfalls auf dem Kongress intensiv diskutiert. In verschiedenen Sitzungen werden Experten die derzeitige Studienlage beleuchten, aus denen sich die Indikation zur Hormontherapie unter Abwägung von Nutzen und Risiko heute darstellt. Hier hat die DGGG aktuelle Konsensusempfehlungen erarbeitet und zusammen mit dem Berufsverband der Frauenärzte eine Patientinnenbroschüre herausgegeben, die sowohl dem Frauenarzt als auch der Patientin selbst hilfreich sind, um zu einer Entscheidung für oder gegen eine Hormontherapie in den Wechseljahren zu kommen.

    Daten und Fakten zum Kongress.

    Das Spektrum der Gynäkologie steht im Mittelpunkt von insgesamt zwölf großen Hauptsitzungen. Hinzu kommen zahlreiche Symposien, Sitzungen von Arbeitsgemeinschaften der Gesellschaft sowie 21 Seminare und 17 Kurse, die in kleinen Gruppen stattfinden. Von den 900 Beitragsanmeldungen werden 60 in Sitzungen "The best of the best" präsentiert. Ausgeweitet wurden die Postersitzungen. Im Forum des Frauenarztes, das jeden Tag stattfindet und in erster Linie von den Mitgliedern des Berufsverbandes der Frauenärzte gestaltet wurde, werden aktuelle wissenschaftliche und berufspolitische Probleme der täglichen Frauenarztpraxis diskutiert. Vor Beginn der wissenschaftlichen Hauptsitzung finden täglich Keynote-Lectures von gleichermaßen hohem Interesse für alle Teilnehmer statt, zu denen es keine Parallelveranstaltungen gibt. Dabei ist es gelungen, die führenden Köpfe auf allen Gebieten der Gynäkologie zu gewinnen:
    - Prof. Robert Edwards ("De finibus") und Prof. Umberto Veronesi ("Breast Cancer - State of the Art") Dienstag, 14.9. im Rahmen der Eröffnung
    - Prof. Carl Djerassi ("Dunkle Prognose für neue Verhütung") Mittwoch, 15.9. · 10:30 Uhr
    - Prof. Manfred Hansmann ("Entwicklungen und Erwartungen in der Pränatal- und Geburtsmedizin") Donnerstag, 16.9. · 10:00 Uhr

    Pressestelle:
    während der Tagung: Congress-Centrum Hamburg · Saal 18 · Fon: 040/808037-5351 ProScience Communications - Die Agentur für Wissenschaftskommunikation GmbH
    Barbara Ritzert · Valerie Neher
    Andechser Weg 17 · 82343 Pöcking
    Fon: 08157/ 9397-0 · Fax: 08157/ 9397-97
    ritzert@proscience-com.de


    Weitere Informationen:

    http://www.dggg.de


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Ernährung / Gesundheit / Pflege, Medizin
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Tagungen
    Deutsch


     

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