Universität Magdeburg erprobt erstmals Kopplung von Strom-, Gas- und Wärmenetz
Netzexperten der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg werden in einem Forschungsprojekt erstmals unter Realbedingungen die drei Energienetzsektoren Strom, Gas und Wärme in einem Gesamtsystem miteinander koppeln. In der Ortschaft Ebendorf in Sachsen-Anhalt entsteht dafür ein Reallabor, in dem bis Ende des Jahres die Vernetzung der verschiedenen Energienetze getestet werden soll.
Ziel des mit 2,5 Millionen Euro vom Land Sachsen-Anhalt geförderten Forschungsprojektes Intelligentes Multi-Energie-System SmartMES plus ist es, überschüssigen Wind- und Solarstrom künftig nicht mehr abzuschalten, sondern lokal in Wärme oder Gas umzuwandeln und in die entsprechenden Netze einzuspeisen. So können Schwankungen im Stromnetz ausgeglichen, das Stromnetz entlastet und langfristig Netzengpässe und Energieverluste vermieden werden.
„Nachdem wir im Vorgängerprojekt Modelle für die Sektorenkopplungstechnologien entwickelt und die Machbarkeit durch Simulationen nachgewiesen haben, testen wir nun erstmals unter Realbedingungen ein Multi-Energie-System, das lokal Strom, Gas und Wärme zusammenführt, Energie speichert, umwandelt und anschließend intelligent verteilt“, erläutert der Projektleiter Prof. Dr.-Ing. Martin Wolter vom Lehrstuhl für Elektrische Netze und Erneuerbare Energie der Universität Magdeburg.
Dazu werde sein Team in der sachsen-anhaltischen Ortschaft Ebendorf ein Reallabor errichten und die Sektorenkopplung unter den gegebenen Bedingungen testen. „In Ebendorf bei Magdeburg treffen ein hoher Wärmebedarf, erneuerbare Energiequellen und eine engagierte Bürgerschaft aufeinander – ideale Bedingungen für die Sektorenkopplung.“ Die an der Uni bereits vorhandene Netzleitwarte werde bei der Steuerung eine zentrale Rolle spielen, so Wolter weiter. „Sie ist das Gehirn des Multi-Energie-Systems.“
Gemeinsam mit der Ebendorfer ARGE Energie, der Stadtwerke Burg GmbH und der Stadtwerke Burg Energienetze GmbH werden im Vorfeld der Kopplung zunächst der Strom- und Wärmebedarf für die Ortschaft sowie die vorhandene Infrastruktur analysiert und Betriebs- und Ausbaukonzepte für die gekoppelte Infrastruktur entwickelt.
„Die Mitglieder unseres 2024 gegründeten Vereins ARGE Energie e. V. Ebendorf freuen sich sehr, dass die Ebendorfer Bürger durch diese Förderung und Zusammenarbeit mit der Universität Magdeburg eine Wärmeplanung erhalten, die gezielt auf die Bedürfnisse der Ortschaft Ebendorf abgestimmte Entscheidungshinweise erbringt, welche Energieart die günstigste ist“, so der Vereinsvorsitzende Robert Peglow.
„Beim Verteilen des Stromes sind die überlasteten Ortsnetzstationen der Flaschenhals“, so der Netzexperte Wolter. Darum müssten PV- und Windkraftanlagen regelmäßig abgeschaltet und zukünftig auch der Verbrauch von Wärmepumpen und Ladestationen für Elektroautos zeitlich befristet reduziert werden. Bisher sehe der Gesetzgeber bei einem Zuviel an produziertem Strom reduzierte Einspeisungen, sogenannte Abregelungen, als Lösung vor, wie zuletzt durch das Solarspitzen-Gesetz. „Die abgeregelte, also gar nicht erst eingebrachte Energiemenge ist dann aber leider verloren.“
2024 hätten die Kosten für Netzengpassmanagementmaßnahmen wie Redispatch bundesweit knapp drei Milliarden Euro betragen, die letztlich von den Verbrauchern getragen würden, so der Energieingenieur. „Abgeregelte Mengen werden dann aber gleichzeitig durch konventionelle Kraftwerke – üblicherweise durch Erdgas – ausgeglichen.“ Langfristig sei zwar immer der Netzausbau die volkswirtschaftlichste Lösung, da dieser aber extrem schleppend verlaufe, müssten Engpässe bis zum Netzausbau operativ behoben werden.
Von der durchgeführten Kopplung des Strom- und Wärmesektors in der Ortschaft Ebendorf erwarteten er und sein Team nicht nur technische und ökologische Vorteile, sondern vor allem auch volkswirtschaftliche, denn ein sektorenübergreifendes Energiesystem senke die Betriebskosten, erhöhe die Versorgungssicherheit und bringe uns den Klimazielen deutlich näher, so Wolter. Deshalb werde im Rahmen des Forschungsprojektes über die technische Machbarkeit hinaus auch die zeitliche Steuerung und wirtschaftliche Bewertung evaluiert.
Der Verfahrenstechniker Prof. Dr. Frank Beyrau sowie der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Elmar Lukas von der Universität Magdeburg untersuchen notwendige Bedingungen für eine europaweite Umsetzung der Sektorenkopplung. Flexibilität ist ein Schlüssel zur erfolgreichen Energiewende – doch in der Investitionsbewertung von Energieinfrastruktur wird sie bislang kaum berücksichtigt. Dadurch bleiben wichtige Potenziale ungenutzt, so Elmar Lukas vom Lehrstuhl für BWL, insb. Innovations- und Finanzmanagement der Universität. „Wir setzen auf einen flexiblen Investitionsansatz, der verschiedene Handlungsoptionen von Anfang an mitdenkt. So können wir Risiken im Energiesektor verringern und gleichzeitig auf Veränderungen reagieren.“
Das Forschungsprojekt Intelligentes Multi-Energie-System SmartMES plus läuft bis Ende 2027 und wird durch das Land Sachsen-Anhalt aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) gefördert. Zum Konsortium gehören neben den Lehrstühlen Elektrische Netze und Erneuerbare Energie, Technische Thermodynamik sowie Innovations- und Finanzmanagement der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, die ARGE Energie der Ortschaft Ebendorf, die Stadtwerke Burg GmbH und die Stadtwerke Burg Energienetze GmbH.
Prof. Martin Wolter
Lehrstuhl für Elektrische Netze und Erneuerbare Energie
0391 67-57012
martin.wolter@ovgu.de
https://forschung-sachsen-anhalt.de/project/smartmes-plus-intelligentes-multi-en... Weitere Informationen
Merkmale dieser Pressemitteilung:
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Energie, Wirtschaft
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