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14.08.2025 10:43

Reduziertes Genom – flexible Leistung: Wie Symbiose-Bakterien mit reduzierter Erbinformation ihre Wirte unterstützen

Angela Overmeyer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

    Obwohl sie nur über ein winziges Genom verfügen, können Symbionten der Schilfkäfer ihre Genaktivität flexibel an Entwicklungsstadien und Umgebungstemperaturen ihrer Wirte anpassen.

    Auf den Punkt:

    - Reduzierte Symbionten-Genome: Die Symbionten von Schilfkäfern weisen stark verkleinerte Genome mit sehr wenigen Genen auf.
    - Bedarfsgerechte Genregulation: Die Symbionten passen ihre Genexpression situationsabhängig an – sie aktivieren bei Kälte gezielt Stress-Gene und justieren über die Wirtsentwicklung hinweg Stoffwechsel-Gene entsprechend der jeweiligen Ernährung.
    - Flexible Reaktion auf Bedürfnisse des Wirts: Trotz ihres stark reduzierten Genoms können die Symbionten von Schilfkäfern noch flexibel auf die Bedürfnisse ihrer Symbiose-Partner reagieren.

    Viele Insekten leben in Symbiose mit bestimmten Bakterienarten. Diese leisten wichtige Beiträge zur Ernährung, Verdauung, Entgiftung, Fortpflanzung und Abwehr ihrer Wirte. Aufgrund ihres engen Zusammenlebens mit den Insekten verlieren Symbionten im Laufe der Evolution häufig Gene für Stoffwechselprodukte, die ihnen auch der Wirt bereitstellt. Ein besonderes Beispiel sind die Symbionten der Schilfkäfer, die nur noch ein winziges Genom besitzen, dessen Gene für die Entwicklung der Käfer wichtig sind. Interessanterweise ernähren sich die Käferlarven und die erwachsenen Käfer unterschiedlich: Die Larven saugen aminosäurearmen Wurzelsaft, während die adulten Tiere Blätter und Blüten fressen, deren Zellwände schwer verdaulich sind. Die Symbiose-Bakterien unterstützen die Larven einerseits, indem sie Aminosäuren produzieren und somit die Nahrung der Larven ergänzen. Andererseits unterstützen sie die erwachsenen Käfer, indem sie ein Enzym bilden, das die pflanzliche Zellwand abbauen kann. Doch nicht alle Symbionten kommen beiden Lebensstadien zugute.

    Variable Symbiose-Leistungen der Bakterien

    Die Abteilung Insektensymbiosen unter der Leitung von Martin Kaltenpoth hat die Symbionten von Schilfkäfern genauer untersucht. Alle Schilfkäfer beherbergen denselben Symbionten. Bei Untersuchungen hat das Forschungsteam jedoch festgestellt, dass dieser Symbiont in einigen Fällen die Fähigkeit verloren hat, Enzyme für den Abbau der schwer verdaulichen Pflanzenzellwand zu produzieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stellten die Hypothese auf, dass die Produktion dieser Enzyme nur für die adulten Käfer von Vorteil ist.

    „Es gibt zwei Arten von symbiotischen Wechselwirkungen innerhalb der Schilfkäfer: Einerseits gibt es Käferarten, bei denen der Symbiont beiden Lebensstadien zugutekommt, andererseits solche, bei denen nur die Larven direkt vom Symbionten profitieren. Zunächst wollten wir herausfinden, ob die Genexpression des Symbionten diese Hypothese bestätigt. Außerdem wollten wir untersuchen, ob sich die Regulation der Genexpression durch den Symbionten zwischen Arten mit einem oder zwei Vorteilen unterscheidet – und ob eine solche Regulation bei der geringen Gesamtgenomgröße überhaupt möglich ist“, fasst Erstautorin Ana Carvalho die Ausgangssituation ihrer Studie zusammen.

    Genaktivität von Schilfkäfersymbionten ist an die Bedürfnisse der Käfer in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien angepasst

    Mithilfe von RNA-Sequenzierung, Assays zur enzymatischen Aktivität und Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung konnte Ana Carvalho zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen die Genexpression, die Verdauungsaktivität der Käfer und ihrer Symbionten sowie die Lokalisation und Zellform des Symbionten in vier verschiedenen Schilfkäferarten in ihren unterschiedlichen Entwicklungsstadien genauer unter die Lupe nehmen.

    „Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Symbiont die Expression von Genen für die Aminosäurebiosynthese bei vier Schilfkäferarten während des Larvenstadiums konstant verstärkt. Außerdem beobachteten wir eine Wirt-Symbiont-Koordination hinsichtlich der Expression von Enzymen zum Abbau der pflanzlichen Zellwand während des Erwachsenenstadiums des Wirts. Dies verdeutlicht, dass eine Feinabstimmung der Genexpression des Symbionten dessen Nutzen für den Wirt optimieren kann“, sagt Ana Carvalho.

    Das Team konnte nicht nur veränderte Genexpression in den unterschiedlichen Entwicklungsstadien der Käfer nachweisen, sie zeigten auch mit Hilfe von bildgebenden Verfahren, dass der Symbiont im Laufe seines Lebens seine Zellform ändert, was möglicherweise mit seiner veränderten Stoffwechselfunktion im Larven- und Käferstadium des Wirts zusammenhängt.

    Plastizität bei der Genexpression auch bei veränderten Umweltbedingungen

    Da im Zentrum der Untersuchungen die Frage stand, ob der Symbiont trotz seines kleinen Genoms seine Genexpression noch regulieren kann, untersuchte das Forschungsteam auch mögliche Unterschiede im Hinblick auf Temperaturschwankungen, denen Schilfkäfer im Laufe ihres Lebenszyklus ausgesetzt sind. Zu diesem Zweck setzten die Forschenden Schilfkäferlarven einen Monat lang zwei unterschiedlichen Temperaturzyklen mit Schwankungen zwischen 12 °C und 8 °C bzw. 22 °C und 14 °C aus. Trotz des stark reduzierten Genoms und somit Regulationsapparats gab es eine deutliche Temperaturantwort hinsichtlich der Genexpression. Der Symbiont war in der Lage, temperaturabhängig unterschiedliche Gene zu aktivieren. Bei Kälte aktivierte der Symbiont beispielsweise einen Stressmechanismus, der normalerweise bei freilebenden Bakterien auf Hitze reagiert, hier aber offenbar auf Kältestress umgestellt ist.

    Die Studie beantwortet viele Fragen, wirft aber auch neue auf. Welche Funktionen haben die wenigen verbliebenen Gen-Schalter (Transkriptionsfaktoren) der Symbionten und wie werden bestimmte Gene ohne diese Schalter gesteuert? Warum verändern die Symbionten ihre Form und welchen Nutzen hat das für sie und den Wirt? Um dies zu klären, sind weitere Experimente mit Schilfkäfern oder leichter zu untersuchenden Insekten-Bakterien-Modellen erforderlich.

    „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Symbionten-Genome trotz ihrer geringen Größe wichtige Prozesse regulieren können. Dies belegt, dass ein regulierter Stoffwechsel auch mit wenigen Genen aufrechterhalten werden kann. Unser Ziel ist es, ein grundlegenderes Verständnis dafür zu gewinnen, wie die metabolische Koordination zwischen Wirt und Symbiont genau funktioniert“, fasst Martin Kaltenpoth zusammen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Ana Simão Pinto de Carvalho, Abteilung Insektensymbiosen, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Tel. +49 (0)3641 57-1515, E-Mail acarvalho@ice.mpg.de
    Prof. Dr. Martin Kaltenpoth, Abteilung Insektensymbiosen, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie, Hans-Knöll-Straße 8, 07745 Jena, Tel. +49 (0)3641 57-1500, E-Mail kaltenpoth@ice.mpg.de


    Originalpublikation:

    Carvalho, A. S. P., Wingert, S. T., Kirsch, R., Vogel, H., Kölsch, G., Kaltenpoth, M. (2025). Symbionts with eroded genomes adjust gene expression according to host life-stage and environment. EMBO Reports, doi 10.1038/s44319-025-00525-2
    https://doi.org/10.1038/s44319-025-00525-2


    Weitere Informationen:

    https://www.ice.mpg.de/508899/PR_Carvalho Pressemeldung des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie
    https://www.ice.mpg.de/97119/insect-symbiosis Abteilung Insektensymbiosen am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie


    Bilder

    Gerandeter Igelkolben-Schilfkäfer Donacia marginata
    Gerandeter Igelkolben-Schilfkäfer Donacia marginata
    Quelle: Martin Kaltenpoth
    Copyright: Max-Planck-Institut für chemische Ökologie

    Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) zeigt, dass Symbiose-Bakterien von Schilfkäfern in Larven (eher länglich) eine andere Zellform aufweisen als in erwachsenen Käfern.
    Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) zeigt, dass Symbiose-Bakterien von Schilfkäfern in Larven ...
    Quelle: Ana Carvalho
    Copyright: adaptiert aus Carvalho et al., EMBO Reports, doi 10.1038/s44319-025-00525-2


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Gerandeter Igelkolben-Schilfkäfer Donacia marginata


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    Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) zeigt, dass Symbiose-Bakterien von Schilfkäfern in Larven (eher länglich) eine andere Zellform aufweisen als in erwachsenen Käfern.


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