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15.08.2025 12:40

Kommunikation verstärkt die Wirkung von Ibuprofen

Dr. Milena Hänisch Referat für Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit
Universitätsklinikum Essen

    Dass Behandlungserwartungen von Patient:innen den Erfolg einer Therapie beeinflussen, wurde in vielen Studien, vor allem für Schmerzen gezeigt. Eine Arbeitsgruppe um den Psychologen Prof. Sven Benson, Leiter des Instituts für Didaktik in der Medizin an der Medizinischen Fakultät/Universitätsklinikum Essen und Projektleiter im Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“ (A11), zeigt dies nun auch für Symptome, die man typischerweise während einer systemischen Entzündungsreaktion, etwa einem Infekt oder nach einer Impfung, empfindet. Das Team aus Essen dokumentiert die Ergebnisse bei 124 gesunden Versuchsteilnehmenden zwischen 19 und 45 Jahren im aktuellen BMC Medicine (BioMed Central).

    Diese Studie belegt, dass Placeboeffekte auch bei Entzündungen den Nutzen aktiver Wirkstoffe steigern können. Für Behandelnde ist das eine wichtige Erkenntnis: Bereits geringe Veränderungen in der Kommunikation, mit denen eine Therapiemaßnahme positiv besetzt wird, können den Therapieerfolg deutlich steigern.

    Die wegweisende Studie zeigt: Therapieerwartungen beeinflussen Entzündungssymptome und die Wirkung des entzündungshemmenden Medikaments Ibuprofen während einer systemischen Entzündungsreaktion. Die Proband:innen erhielten am Experimentaltag eine niedrig dosierte immunaktivierende Substanz (LPS – Lipopolysaccharid), die Immun-vermittelte Symptome während einer akuten Entzündungsreaktion hervorruft. Kombiniert wurde die LPS-Gabe entweder mit der Einnahme von Ibuprofen oder eines Placebos (Scheinmedikament). Hinzu kamen positive oder neutrale Informationen über die Behandlung.

    Die Fragestellung: Wie wirken sich Informationen durch den Arzt oder die Ärztin auf Entzündungssymptome und die Behandlung aus?
    „Sie werden 600 Milligramm Ibuprofen vor der Endotoxin-Injektion erhalten. Ibuprofen reduziert effektiv die Entzündungsreaktion und die Symptome wie Kopf- und Muskelschmerzen. Ibuprofen wurde in vorherigen experimentellen Studien mit einem sehr guten Effekt eingesetzt, um Krankheitssymptome zu lindern.“ Diese Informationen erhielten die Proband:innen in der positiven Kommunikations-Gruppe durch die Studienärztin Dr. Johanna Reinold. Das Ergebnis der Studie von Prof. Benson und der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Justine Schmidt zeigt, wie Behandelnde die positiven Erwartungseffekte konkret fördern können, denn diese positiven Informationen minderten die Krankheitssymptome effektiv zusätzlich zum Ibuprofen. Die neutrale Kommunikations-Gruppe erhielt dagegen Informationen wie „unsere Studie ist doppelblind und wir wissen nicht, ob Sie das Ibuprofen oder das Placebo bekommen“.

    Allerdings zeigen sich durch die positive Kommunikation keine Effekte auf Marker wie Cortisol, das Adrenocorticotrope Hormon, Immunbotenstoffe (Zytokine), die Körpertemperatur und Herzfrequenz. Das lässt vermuten, dass die Erwartungseffekte primär durch andere Mechanismen wirken als beim direkten Einfluss des Medikaments auf die Immunantwort.

    Große Bedeutung für viele Therapien
    Bei vielen Krankheiten spielen Entzündungen eine Rolle, etwa bei Infektionen, aber auch bei neuropsychiatrischen Erkrankungen oder chronischen Schmerzen. Durch die Entzündung ausgeschüttete Botenstoffe aktivieren dabei nicht nur die Körperabwehr, sondern sie wirken auch auf das Gehirn. Immunvermittelte Symptome wie depressive Verstimmung, gesteigertes Schmerzempfinden, Müdigkeit oder unspezifische körperliche Beschwerden können die Folge sein. Gerade für Menschen, die unter chronischen Entzündungskrankheiten leiden, kann das eine große Belastung sein.

    Im Projekt A11 des von der DFG geförderten Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“ sollen konkrete Verbesserungsmöglichkeiten für Patient:innen im Spannungsfeld zwischen Entzündungen, immungerichteten Therapien und deren Nebenwirkungen erforscht werden.

    Fazit
    „Unsere Studienergebnisse bedeuten, dass Informationen, die von einer Ärztin oder einem Arzt auch zu einem weit verbreiteten Medikament wie Ibuprofen gegeben werden, die Wirksamkeit des Medikaments verstärken können“, zieht Prof. Benson das Resümee für die Arbeitsgruppe. Interessanterweise zeigte sich zudem, dass sich die Entzündungssymptome bei positiver Information bereits besserten, wenn faktisch kein wirksames Medikament gegeben wurde und dass dieser Effekt insbesondere für das psychische Wohlbefinden während der Entzündungsreaktion zu beobachten war.

    „Das zeigt, dass wir dringend umdenken müssen bei medikamentösen Therapien. Denn wie wirksam eine Behandlung ist, hängt nicht nur von dem Wirkstoff ab, sondern auch von der Erwartungshaltung. Und zwar nicht nur in der Schmerztherapie, wo diese Effekte schon länger bekannt sind. Hier liegt ein großes, bislang wenig genutztes Potential für die Optimierung und Personalisierung von medizinischen Behandlungen“, erklärt die Neurologin und Leiterin der Schmerzmedizin an der Universitätsklinik Essen Prof. Ulrike Bingel. Sie ist Sprecherin des Sonderforschungsbereichs „Treatment Expectation“ und forscht seit Jahrzehnten intensiv zu Placebo- und Noceboeffekten in der Medizin.

    Was macht der Sonderforschungsbereich „Treatment Expectation“?
    Der überregionale, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Sonderforschungsbereich (SFB/Transregio 289) „Treatment Expectation“ (Behandlungserwartung) untersucht seit dem Jahr 2020 mit einem interdisziplinären Team an den Universitäten Duisburg- Essen, Marburg und Hamburg den Einfluss der Erwartung von PatientInnen auf die Wirksamkeit medizinischer Behandlungen. Deutschland nimmt international eine Spitzenposition in der Erforschung von Placebo-und Noceboeffekten ein. Im Mai 2024 hat der SFB rund 15 Millionen Euro von der Deutschen Forschungsgemeinschaft für eine weitere vierjährige Förderphase eingeworben. Das Ziel des interdisziplinären Verbunds ist, die äußerst komplexen Mechanismen von Erwartungseffekten von der molekularen bis zur systemischen Ebene mit modernsten wissenschaftlichen Methoden zu entschlüsseln, psychologische und neurobiologische Unterschiede zwischen einzelnen Patient:innen und Erkrankungen so exakt wie möglich zu verstehen und zu prüfen, wie diese Effekte etablierte pharmakologische und andere Behandlungsansätze optimieren können. Hierzu erforscht ein Team von 26 exzellenten Forschenden aus den Bereichen Medizin, Psychologie und den Neurowissenschaften. Ziel der Forschung ist es, bestehende Medikamente verträglicher zu machen, ihre Wirksamkeit zu steigern und ihre Nebenwirkungen zu verringern, indem man die Effekte positiver Erwartung nutzt. Sprecherin des Forschungsverbundes ist Prof. Dr. Ulrike Bingel von der Medizinischen Fakultät der Universität Duisburg-Essen: „Erwartungen von PatientInnen haben einen erheblichen Einfluss auf den Verlauf von Erkrankungen und die Wirksamkeit von Behandlungen. Unser Ziel ist es das wissenschaftliche fundierte Wissen, dass Erwartung, Kontext und Kommunikation eine wichtige Rolle spielen, in die Schulmedizin zu integrieren.“

    Weitere Informationen zur aktuellen Forschung sowie Ratschläge für Patient:innen sind auf der Webseite www.treatment-expectation.de nachzulesen.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Univ.-Prof. Dr. Sven Benson
    sven.benson@uk-essen.de


    Originalpublikation:

    Link zur Originalveröffentlichung:
    Schmidt, J., Reinold, J., Rohn, H. et al. Placebo effects improve sickness symptoms and drug efficacy during systemic inflammation: a randomized controlled trial in human experimental endotoxemia. BMC Med 23, 455 (2025). https://doi.org/10.1186/s12916-025-04292-8


    Weitere Informationen:

    https://www.uni-due.de/med/meldung.php?id=1813


    Bilder

    Prof. Dr. Sven Benson
    Prof. Dr. Sven Benson
    Quelle: Andre Zelck
    Copyright: UDE/UK Essen


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Medizin, Psychologie
    überregional
    Buntes aus der Wissenschaft, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Prof. Dr. Sven Benson


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