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15.08.2025 15:29

Erdbeben in Rekordgeschwindigkeit

Josef Zens Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung

    Eine geophysikalische Rekonstruktion zeigt, dass es in Myanmar im März 2025 zu einem „Supershear“-Erdbeben mit der höchsten Bruchgeschwindigkeit seit 2002 kam.

    Das Erdbeben der Stärke 7,7 in Myanmar am 28. März 2025 führte zu mehr als 3.800 Todesopfern und verursachte weitreichende Zerstörungen. Es kam sogar zu starken Erschütterungen und einem Gebäudeeinsturz im mehr als 1000 Kilometer entfernten Bangkok. Eine erste Analyse kurz nach dem Erdbeben hatte bereits auf die ungewöhnlich hohe Bruchgeschwindigkeit hingewiesen, die als Supershear-Bruch bekannt ist. Die aktuelle Studie von Felipe Vera vom GFZ Helmholtz-Zentrum für Geoforschung und einem internationalen Team von Koautor:innen bestätigt diese Erkenntnis und kombiniert mehrere Methoden, um weitere Erkenntnisse über den Bruchprozess dieses Erdbebens zu gewinnen. Demnach war das Myanmar-Beben das mit der höchsten Bruchgeschwindigkeit weltweit seit mehr als 20 Jahren. Die Studie ist soeben in der Fachzeitschrift The Seismic Record erschienen.

    Der Vergleich von optischen Satellitenbildern vor und nach dem Erdbeben ermöglicht eine Rekonstruktion der horizontalen Verschiebung des Bodens auf beiden Seiten der Verwerfung. In ähnlicher Weise lässt sich durch den Vergleich von Satellitenradarbildern vor und nach dem Erdbeben die vertikale Verschiebung rekonstruieren. Die Bilder zeigen, dass sich die Bruchzone entlang der Sagaing-Verwerfung über eine Länge von 500 Kilometern erstreckte, wobei sich die westliche Seite nach Norden und die östliche Seite nach Süden verschob. Die maximale Verschiebung von 5 Metern war in der Nähe des Epizentrums zu beobachten, das sich in der Nähe der Stadt Mandalay befand.

    Frederik Tilmann, einer der Studienautoren und Leiter der Sektion Seismologie am GFZ, erläutert: „Während uns die Analyse der Satellitenbilder ein statisches Bild der Auswirkungen des Erdbebens auf die Erdoberfläche liefert, nutzte das Team Erdbebenstationen in Europa, Japan, Australien und Alaska als seismische Antennen, um die Dynamik der Bruchausbreitung zu verfolgen. Wir konnten auf diese Weise genau nachverfolgen, zu welcher Zeit sich die Spitze des Bruchs an welchem Ort befand.“

    Bei den allermeisten Erdbeben breitet sich die Bruchzone mit Geschwindigkeiten von weniger als etwa 3,5 km/s aus, was etwas unter der Geschwindigkeit seismischer Scherwellen liegt. Das entspricht ungefähr zwölf- bis dreizehntausend Kilometer pro Stunde. Und tatsächlich breitete sich die Bruchzone bei Mandalay in der Anfangsphase gleichzeitig in nördlicher und südlicher Richtung vom Epizentrum weg mit üblichen Geschwindigkeiten aus.

    Nach etwa 30 Sekunden kam die Bruchausbreitung im Norden jedoch zum Stillstand, während sie sich im Süden auf Geschwindigkeiten von mindestens 5,3 km/s (fast zwanzigtausend Kilometer pro Stunde) beschleunigte. Seismologen bezeichnen dies als Supershear-Bruch, das seismische Äquivalent der Überschallgeschwindigkeit. Damit handelt es sich wahrscheinlich um das schnellste Erdbeben seit 2002, als ein Erdbeben in Alaska ähnliche Geschwindigkeiten erreichte. Die Gesamtdauer des Bruchs betrug in etwa 80 Sekunden.

    Der Supershear-Bruch führt zu einem Phänomen, das als Mach-Kegel bezeichnet wird: An Stationen innerhalb eines dreieckigen Gebiets – wie in einer Pfeilspitze an der vordersten Front des Bruchs – trafen seismische Wellen aus der gesamten 40 bis 50 Sekunden langen Supershear-Phase des Bruchs aus verschiedenen Richtungen gleichzeitig ein. Die Analyse konnte damit die Existenz eines Mach-Kegels nachweisen, der einen weiteren Nachweis für einen Supershear-Bruch liefert. Dieses Phänomen könnte auch die langwelligen Bodenbewegungen in Bangkok verstärkt und letztlich zum Einsturz des Hochhaus-Rohbaus dort geführt haben.

    Das GFZ betreibt in Zusammenarbeit mit dem Department of Hydrology and Meteorology in Myanmar eine seismische Station in Nay Pyi Taw, der Hauptstadt von Myanmar, nur zwei Kilometer von der Verwerfung entfernt. Diese Station war während des Erdbebens aktiv und lieferte eine bemerkenswerte und äußerst seltene Nahaufzeichnung eines Supershear-Bruchs. Innerhalb von weniger als zwei Sekunden „sprang“ die Station um 160 Zentimeter nach Norden und blieb dabei intakt. Ihre Aufzeichnung wurde kürzlich in einer Datenveröffentlichung (Earth System Science Data, im Druck) von Ssung-Ting Lai und Kolleg:innen vorgestellt. Der Zeitpunkt des plötzlichen Rucks, den diese Station registrierte, bestätigt die Ergebnisse der Analyse der Daten aus den weiter entfernten Stationen.
    Bemerkenswert ist, dass die Sagaing-Verwerfung bereits in früheren Studien als anfällig für einen Supershear-Bruch identifiziert wurde, da es sich um die längste gerade verlaufende Blattverschiebung (auch Strike-Slip-Verwerfung genannt) der Welt handelt.

    Blattverschiebungen sind Verwerfungen, bei denen sich beide Seiten hauptsächlich seitlich zueinander bewegen. Sie sind auch die einzigen, bei denen es zu Supershear-Brüchen kommt. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass der frühe, langsamere Teil des Bruchs im März entlang von Abschnitten der Verwerfung verlief, die bereits bei den großen Erdbeben von 1946 und 1956 geborsten waren, während die Beschleunigung auf Supershear-Geschwindigkeit in der sogenannten Sagaing-Lücke auftrat, die seit mehr als hundert Jahren keine sehr großen Erdbeben mehr erlebt hatte und daher vermutlich stark unter seismischer Spannung stand.

    Angesichts der großen Magnitude des Erdbebens waren die Anzahl und die Stärke der Nachbeben sehr gering, was ein weiteres Merkmal von Supershear-Brüchen ist. Bei der extrem schnellen und gleichmäßigen Ausbreitung wird elastische Spannung ebenfalls gleichmäßig abgebaut. Dagegen bleiben bei herkömmlichen Erdbeben oft Zonen bestehen, an denen die Spannung im Gestein nicht durch den Bruch abgebaut wurde. Diese brechen dann später und es kommt zu Nachbeben.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Frederik Tilmann, frederik.tilmann@gfz.de


    Originalpublikation:

    Vera, F. et al. (2025): Supershear Rupture Along the Sagaing Fault Seismic Gap: The 2025 Myanmar Earthquake, The Seismic Record. 5(3), 289–299, doi: 10.1785/ 0320250025


    Bilder

    Hauptverwerfungssysteme in Myanmar und angrenzenden Regionen
    Hauptverwerfungssysteme in Myanmar und angrenzenden Regionen
    Quelle: Vera et al. 2025
    Copyright: CCBY 4.0 Vera et al. (2025). The Seismic Record. 5(3), 289–299, doi: 10.1785/0320250025


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Geowissenschaften
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Hauptverwerfungssysteme in Myanmar und angrenzenden Regionen


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