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21.08.2025 13:30

Ultraschnelles Tempo im Gehirn: Neue Erkenntnisse zu Kalziumtransport und Signalverarbeitung

Tobias Kupries-Thomma Hochschul- und Wissenschaftskommunikation
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

    Zwei Studien unter Beteiligung der Universität Freiburg erweitern grundlegendes Wissen zur Signalverarbeitung im Gehirn und eröffnen neue Ansätze für Medikamente – etwa gegen erblich bedingte Taubheit.

    Ergebnisse zeigen erstmals: Unter Zuhilfenahme des Membranlipids PtdIns(4,5)P2 transportieren Kalziumpumpen der Plasmamembran (PMCA-Proteine) Kalziumionen mit mehr als 5.000 Zyklen pro Sekunde aus Nervenzellen – rund 100-mal schneller als bislang bekannt.

    Die Studienergebnisse wurden in den Fachmagazinen Nature Communications und Nature publiziert.

    Ob wir denken, hören oder uns bewegen – all diese Prozesse beruhen auf elektrischen Signalen in unseren Nervenzellen. Ausgelöst werden sie durch das Zusammenspiel von Ionen wie Kalzium. Doch so wichtig Kalzium für die Signalübertragung ist: Zu viel davon darf nicht in der Zelle bleiben. Ein unausgeglichener Kalziumspiegel kann die Zellfunktion stören und langfristig Krankheiten begünstigen – darunter erblich bedingte Taubheit. Deshalb ist es entscheidend, dass die Zellen Kalzium nach jedem Signal schnell und präzise wieder abpumpen.

    Diese Aufgabe übernehmen Komplexe aus einer Plasmamembran-Kalzium-Adenosintriphosphatase (ATPase)-Untereinheit und einem Neuroplastin-Protein, sogenannte Kalziumpumpen. Dass diese mit einer mehr als 100-mal höheren Transportgeschwindigkeit als bislang angenommen arbeiten, zeigt eine experimentelle zellphysiologische Studie unter Leitung von Prof. Dr. Bernd Fakler, Direktor des Instituts für Physiologie der Universität Freiburg und Mitglied des Exzellenzclusters CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies sowie von BIOSS – Centre for Biological Signalling Studies: Indem sie Kalziumionen mit einer Transportgeschwindigkeit von mehr als 5.000 Zyklen pro Sekunde aus den Zellen schleusen, können aktive, das Adenosintriphosphat (ATP)-verbrauchende, Kalziumpumpen der Zellmembran die Kalziumkonzentration im Zellinneren innerhalb weniger Millisekunden von 10 Mikromolar auf unter 0,1 Mikromolar senken.

    „Unsere zwei Studien zeigen: Die Pumpenkomplexe in der Zellmembran entfernen Kalziumionen in Nervenzellen mit Transportraten von mehr als 5.000 Zyklen pro Sekunde – und damit mehr als 100-mal schneller als bisher bekannt. Zudem haben wir den entscheidenden Funktionsmechanismus für die hohen Pumpgeschwindigkeiten identifiziert, und damit eine fundamentale Voraussetzung für die Informationsverarbeitung im Millisekundenbereich geklärt. Kombiniert erweitern die Studienergebnisse das Wissen um Signalverarbeitung im Gehirn und eröffnen neue Ansätze für Medikamente – zum Beispiel gegen erblich bedingte Taubheit.“ – Prof. Dr. Bernd Fakler, Institut für Physiologie, Universität Freiburg“, sagt Prof. Dr. Bernd Fakler, Direktor des Instituts für Physiologie der Universität Freiburg und Mitglied des Exzellenzclusters CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies sowie von BIOSS – Centre for Biological Signalling Studies.

    Zum Vergleich: Kalzium-ATPase-Typen in intrazellulären Membranen arbeiten mit Umsatzraten von wenigen zehn Zyklen pro Sekunde. Für seine funktionellen Experimente nutzte das Team Kalzium-aktivierte Kaliumkanäle als ultraschnelle Sensoren, die Änderungen der Kalziumkonzentration im Bereich von Millisekunden sichtbar machen. Zusammen mit den per Elektronenmikroskopie ermittelten Dichten der Pumpenkomplexe in den Zellmembranen (rund 55 Komplexe pro Quadratmikrometer) konnten die Forschenden die Transportgeschwindigkeit der Pumpen berechnen; Letzteres erfolgte in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Heiko Rieger an der Universität des Saarlandes. Die Studienergebnisse sind am 20. August 2025 im Fachmagazin Nature Communications erschienen.

    Membranlipid als Schlüsselfaktor für schnellen Transport

    Wie sind diese hohen Transportgeschwindigkeiten möglich? Das Funktionsprinzip konnten die Freiburger Physiolog*innen, insbesondere Dr. Uwe Schulte, Mitarbeiter des Instituts für Physiologie, in Zusammenarbeit mit dem Max-Planck-Institut für Molekulare Physiologie unter der Leitung von Prof. Dr. Stefan Raunser klären; diese Studie wird parallel im Fachmagazin Nature veröffentlicht. Hierzu führten die Wissenschaftler*innen kryo-elektronenmikroskopische Analysen mit hoher räumlicher Auflösung (2,8–3,6 Å) von Plasmamembran-Kalzium-ATPase-2-(PMCA2)-Neuroplastin Pumpen in acht funktionellen Zuständen des Transportzyklus durch. Diese zeigen: Die Kalziumpumpen wirken mit dem Membranlipid PtdIns(4,5)P2 zusammen. Dessen Bindung erlaubt Schlüsselschritte im Transportzyklus, etwa die schnelle Bindung und Abgabe der Kalziumionen und ermöglicht so die außergewöhnlich hohe Pumpleistung. Ohne diese Lipidbindung verlangsamt sich der Transport massiv, was die Forschenden durch die Analyse von krankheitsverursachenden Mutationen der Pumpenstruktur belegen konnten. Überraschenderweise fanden sie auch heraus, dass die schnelle Pumpaktivität der PMCA2-Neuroplastin-Komplexe durch Thapsigargin, einen bekannten Hemmstoff der intrazellulären Kalziumpumpen, stark eingeschränkt wird – und zwar durch Blockierung der Bindungsstelle des PtdIns(4,5)P2.

    Bedeutung für Gehirn und Medizin

    Die Einblicke in die 3-D-Struktur der Pumpenkomplexe und das Verständnis der Lipid-abhängigen Regulation des Transports könnten neue Angriffspunkte für Wirkstoffe schaffen, die gezielt in Kalzium-regulierte Signalwege eingreifen.

    Weitere Informationen:

    Originalpublikationen:
    Constantin C.E., Schmidt B., Schwarz Y. et al. (2025) Ca2+-pumping by PMCA-neuroplastin complexes operates in the kiloHertz-range. Nature Communications. doi:10.1038/s41467-025-62735-5

    Vinayagam D., Sitsel O., Schulte U. et al. (2025) Molecular mechanism of ultrafast transport by plasma membrane Ca2+-ATPases. Nature. doi:10.1038/s41586-025-09402-3

    Kurzvita

    Prof. Dr. Bernd Fakler: Professor für Physiologie, Universität Freiburg; Mitglied des Exzellenzclusters CIBSS – Centre for Integrative Biological Signalling Studies sowie von BIOSS – Centre for Biological Signalling Studies; Forschungsschwerpunkte: Organisation und Funktion von Membranproteinen, neuronale Signaltransduktion.

    Prof. Dr. Stefan Raunser: Direktor, Max-Planck-Institut für Molekulare Physiologie, Dortmund; Forschungsschwerpunkte: Strukturbiologie von Membranproteinen und molekularen Maschinen.

    Prof. Dr. Heiko Rieger: Professur für Theoretische Physik, Universität des Saarlands, Saarbrücken; Forschungsschwerpunkte: Biophysik zellulärer Prozesse, statistische Physik und computergestützte Modellrechnung.


    Originalpublikation:

    https://www.nature.com/articles/s41467-025-62735-5
    https://www.nature.com/articles/s41586-025-09402-3


    Weitere Informationen:

    https://uni-freiburg.de/ultraschnelles-tempo-im-gehirn-neue-erkenntnisse-zu-kalz...


    Bilder

    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, jedermann
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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