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22.08.2025 10:00

Cell-Publikation: So regulieren Pflanzen ihre Abwehr

Dorothea Elsner Pressearbeit, interne Kommunikation und Social Media
Universität Hohenheim

    Die Universitäten Tübingen und Hohenheim entdecken ein bislang unbekanntes Peptid, das bei Tomatenpflanzen Überreaktionen bei der Immunabwehr verhindert.

    GEMEINSAME PRESSEMITTEILUNG DER EBERHARD KARLS UNIVERSITÄT TÜBINGEN UND DER UNIVERSITÄT HOHENHEIM

    Tomatenpflanzen verfügen über ein ausgeklügeltes System, um sich gegen Fressfeinde zu verteidigen: Das Signalpeptid Systemin löst in der Pflanze eine Kaskade von Abwehrreaktionen aus. Ein Forschungsteam der Universität Tübingen und der Universität Hohenheim in Stuttgart hat nun gezeigt, dass Tomatenpflanzen über einen bislang unentdeckten natürlichen Gegenspieler namens antiSys verfügen. Er verhindert, dass das Abwehrsystem überreagiert, was negative Folgen für das normale Wachstum und die Vermehrung der Pflanze nach sich ziehen würde. Diese Entdeckung erweitert das Verständnis der pflanzlichen Immunität und zeigt, dass nicht nur Abwehrsignale, sondern auch deren natürliche Gegenspieler entscheidend für das Gleichgewicht zwischen Wachstum und Schutz sind. Die Studie ist Ergebnis einer Kooperation im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 1101 „Molekulare Kodierung von Spezifität in pflanzlichen Prozessen“. Nachzulesen sind die Ergebnisse in der renommierten Fachzeitschrift „Cell“: https://doi.org/10.1016/j.cell.2025.07.044

    Nachtschattengewächse, wie Tomatenpflanzen, besitzen ein erstaunlich fein abgestimmtes Abwehrsystem, das sie vor Schädlingen und Krankheitserregern schützt. Eine zentrale Rolle spielt dabei das Signalmolekül Systemin. Es löst in den Zellen der Pflanze Abwehrreaktionen aus, wenn etwa Insekten Fraßschäden verursachen. Dann produzieren sie Substanzen, die gezielt die Verdauung ihrer Fressfeinde beeinträchtigen, so dass diese die aufgenommenen Nährstoffe nicht verwerten können.

    Doch wie beim menschlichen Immunsystem ist eine dauerhafte oder unkontrollierte Aktivierung gefährlich. Sie kann das normale Wachstum und die Entwicklung stark beeinträchtigen.

    AntiSys blockiert Systemin-Rezeptor

    Das Forschungsteam hat nun einen bislang unbekannten Gegenspieler von Systemin entdeckt: das Peptid AntiSys. Dieses kurzkettige Protein ähnelt in seiner Struktur dem Systemin, wirkt aber als Hemmstoff für den hochempfindlichen Systemin-Rezeptor SYR1.

    „AntiSys bindet zwar an den gleichen Rezeptor wie Systemin, aber ohne ihn zu aktivieren. Da AntiSys in gesunden Pflanzen überwiegt, besetzt es den Rezeptor und stellt so sicher, dass das Immunsystem inaktiv bleibt“, erklärt Professor Andreas Schaller von der Universität Hohenheim. „Wird die Pflanze jedoch von Insekten befallen, wird Systemin in großen Mengen gebildet und freigesetzt. Es kommt zu einem Verdrängungswettbewerb am SYR1-Rezeptor, Systemin bindet, der Rezeptor wird aktiviert und die Immunreaktionen werden ausgelöst.“

    AntiSys hält Immunabwehr in Schach

    Wie entscheidend AntiSys ist, zeigen Pflanzen, denen dieses Peptid fehlt. Mithilfe der CRISPR/Cas9-Technologie erzeugten die Forschenden Mutanten, die kein AntiSys bildeten. Diese Pflanzen wuchsen deutlich schlechter, bildeten weniger Früchte und zeigten teils drastische Fehlbildungen.

    „Diese Effekte beruhen auf der unkontrollierten Aktivierung des Immunsystems. Fehlt AntiSys als Gegenspieler, dann reichen schon kleinste Mengen an Systemin aus, um den Rezeptor zu aktivieren und die Abwehrreaktionen auszulösen“, so der Leiter der Studie, Professor Georg Felix vom Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP) der Universität Tübingen. „Wenn wir diese Rezeptoren jedoch ebenfalls entfernen, bleiben die Pflanzen trotz fehlendem AntiSys gesund.“

    Tomaten besitzen mehrere aktivierende Systemine – und AntiSys

    Doch die Forschenden entdeckten nicht nur AntiSys: „Lange hat man geglaubt, dass Systemin das einzige seiner Art in Nachtschattengewächsen sei. Nun haben wir herausgefunden, dass es neben dem Gen für Systemin ein ganzes Gencluster in der Tomate gibt, in dem vier strukturell ähnliche Peptide beziehungsweise deren Vorläuferproteine kodiert werden“, freut sich Lei Wang, der diese Entdeckung als Doktorand von Professor Felix gemacht hat.

    „Drei davon ähneln Systemin in ihrer Aktivität: Auch sie lösen Immunreaktionen aus. Nur AntiSys – und das ist natürlich das Spannendste – hat eine genau entgegengesetzte Aktivität, der Antagonist unterdrückt die Immunreaktionen.“

    Zudem fanden die Forschenden AntiSys auch in verwandten Nachtschattengewächsen wie Aubergine, Kartoffel oder Paprika, was auf eine wichtige, in der Evolution seit langem bewahrte Funktion schließen lässt. „Unsere Entdeckung wirft die Frage auf, ob ähnliche Gegenspieler auch in anderen Pflanzenarten existieren – und ob sie sich gezielt nutzen lassen, um Kulturpflanzen widerstandsfähiger, aber zugleich wachstumsstark zu machen“, sagt Professor Felix.

    Parallelen zum menschlichen Immunsystem

    Die Forschenden sehen auffällige Parallelen zum menschlichen Immunsystem, wo ebenfalls spezielle Antagonisten die Wirkung von aktivierenden Zytokinen dämpfen, um Entzündungsreaktionen im Gleichgewicht zu halten. Fehlt der Antagonist, ist die Balance gestört und es kommt zu Autoimmunerkrankungen, wie beispielsweise rheumatoide Arthritis, oder chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa.

    In Tomaten erfüllt AntiSys diese Aufgabe, indem es die Balance zwischen Abwehr und gesundem Wachstum ermöglicht: „Ohne AntiSys kommt es zu Störungen in Wachstum und Entwicklung, die wir mit einer chronischen Entzündungsreaktion vergleichen: Der Rezeptor wird sozusagen ‚unabsichtlich‘ aktiviert, und Immunreaktionen werden ausgelöst, obwohl gar kein Insektenbefall vorliegt“, erläutert Professor Felix.

    Publikation
    Wang et al., A receptor antagonist counterbalances multiple systemin phytocytokines in tomato, Cell (2025), https://doi.org/10.1016/j.cell.2025.07.044

    Text: Stuhlemmer


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Prof. Dr. Andreas Schaller, Universität Hohenheim, Fachgebiet Physiologie und Biochemie der Pflanzen, +49 (0)711 459-22197, Andreas.Schaller@uni-hohenheim.de

    Prof. Dr. Georg Felix (em.), Universität Tübingen, Zentrum für Molekularbiologie der Pflanzen (ZMBP), georg.felix@uni-tuebingen.de


    Originalpublikation:

    https://doi.org/10.1016/j.cell.2025.07.044


    Bilder

    Mit Hilfe eines raffinierten Systems aktivierender und inaktivierender Signalmoleküle können Tomatenpflanzen harmlose Verletzungen von bedrohlichen Angriffen durch Fressfeinde unterscheiden, so Forschende der Universitäten Hohenheim und Tübingen.
    Mit Hilfe eines raffinierten Systems aktivierender und inaktivierender Signalmoleküle können Tomaten ...

    Copyright: Universität Hohenheim / Max Kovalenko


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Wissenschaftler
    Biologie, Tier / Land / Forst
    überregional
    Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
    Deutsch


     

    Mit Hilfe eines raffinierten Systems aktivierender und inaktivierender Signalmoleküle können Tomatenpflanzen harmlose Verletzungen von bedrohlichen Angriffen durch Fressfeinde unterscheiden, so Forschende der Universitäten Hohenheim und Tübingen.


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