Die Berichterstattung über Verkehrsunfälle in deutschsprachigen Ländern ist häufig nicht neutral und verlagert die Schuld von Autofahrenden auf Radfahrende und Zufußgehende. Journalistinnen und Journalisten stellen Verkehrsunfälle als isolierte Ereignisse dar und spielen dadurch Politik- und Infrastruktur-Probleme herunter. Das zeigt eine jetzt in der Fachzeitschrift „Mobilities“ veröffentlichte Studie. Ein interdisziplinäres Forschungsteam legt darin Leitlinien für eine präzisere Berichterstattung dar, die auch das Bewusstsein für sichere Mobilität fördern sollen.
„In Deutschland, Österreich und der Schweiz verschleiern sprachliche Muster in der Berichterstattung über Verkehrsunfälle Ursachen und Auswirkungen. Anhand einer Inhaltsanalyse von 229 Artikeln haben wir nachgewiesen, dass sprachliche Mittel wie Passivkonstruktionen, Metonymien und reflexive Verben häufig verwendet werden, um die Verantwortung für Unfälle von Kfz-Fahrerinnen und Fahrern auf Menschen zu verlagern, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind“, so Erstautor Dirk von Schneidemesser vom Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit. Auf diese Weise vermittle die Berichterstattung ein verzerrtes Bild und behindere Mobilitätsreformen für mehr Sicherheit.
Die Autorinnen und Autoren beschreiben vier Arten der sprachlichen Verschleierung:
1. Wenn das Fahrzeug anstelle des Fahrers oder der Fahrerin als Akteur genannt wird, wie in „Auto erfasst Radfahrerin“, verlagert dies den Fokus weg von den Handelnden und verschleiert damit die Verantwortung für die Kollision. In der Rhetorik wird diese Ersetzung einer Person durch eine Sache als Metonymie bezeichnet.
2. Ein zweites gängiges sprachliches Mittel, um einen sozialen Akteur in den Hintergrund zu rücken, ist die Verwendung einer Passivkonstruktion mit Präpositionalphrase, wie in „Fußgänger von Autofahrer angefahren.“ (Im Gegensatz zur Aktivkonstruktion: „Autofahrer fährt Fußgänger an.“) Dadurch wird der Akteur in den Hintergrund gedrängt.
3. Eine dritte Möglichkeit, Verantwortung durch Sprache zu verschieben, ist die Auslassung: Der beteiligte Akteur wird überhaupt nicht erwähnt. Zum Beispiel durch die Verwendung einer Passivform ohne Präpositionalphrase („Fußgängerin angefahren“).
4. Eine vierte Möglichkeit, Verantwortung zu verschieben, ist die Verwendung reflexiver Verben, zum Beispiel „Fußgängerin verletzt sich“. Dies hat eine ähnliche Wirkung wie die Passivform. Erstens wird der Verursacher oder die Verursacherin weggelassen und zweitens der Fokus auf die geschädigte Person gelegt.
Die Autorinnen und Autoren raten zu einer Sprache, die die handelnden Personen klar benennt. In denen von ihnen analysierten Artikeln kamen Opfer in 76 Prozent der Überschriften vor, während nur 15 Prozent eine zweite beteiligte Person erwähnen. Die für die Schäden Verantwortlichen standen also nicht im Fokus.
Neben den Formulierungen sei auch das Fehlen von Kontextinformationen ein häufiges Problem, erläutert Schneidemesser: „Wenn die Leserinnen und Leser zum Beispiel aus dem Artikel erfahren, dass es an einer Kreuzung häufig zu Kollisionen kommt oder es an einer vielbefahrenen Straße keine Ampel gibt, sind sie eher geneigt, sicherheitsorientierte Infrastrukturmaßnahmen zu befürworten.“
Ausführlichere Empfehlungen haben Fachleute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, darunter Forschende des RIFS, bereits im März dieses Jahres in dem Leitfaden „Unfallsprache – Sprachunfall“ (https://sprachkompass.ch/themen/verkehr/sprachunfall-unfallsprache) veröffentlicht.
Dr. Dirk von Schneidemesser
dirk.vonschneidemesser@rifs-potsdam.de
von Schneidemesser, D., Bettge, S., Caviola, H., Sedlaczek, A., Reisigl, M., Schindler, F., & Wirz, M. (2025). How linguistic patterns obscure responsibility in newspaper coverage of traffic crashes in German-speaking countries: an interdisciplinary study. Mobilities, 1–18. https://doi.org/10.1080/17450101.2025.2534634
In Berichten über Verkehrsunfälle werden oft unpersönliche Formulierungen verwendet.
Copyright: Sprachkompass "Unfallsprache - Sprachunfall"/Julia Weiss
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Gesellschaft, Medien- und Kommunikationswissenschaften, Verkehr / Transport
überregional
Forschungs- / Wissenstransfer
Deutsch
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