Bei der Wundheilung, der Abwehr von Infektionen oder wenn sich Krebs ausbreitet wandern Zellen durch den Körper. Dabei müssen sie sich oft durch enge Räume zwängen. Forschende haben nun herausgefunden, dass Zellen eine Art Gedächtnis besitzen. Sie merken sich, wie sie früher solche Engstellen passiert haben und können sich dadurch schnell und geschickt durch strukturreiches Gewebe bewegen.
Unser Körper besteht aus einer Vielzahl von Zellen. Die meisten von ihnen, wie etwa Hautzellen, bleiben zeitlebens an ihrem Platz. Doch es gibt Ausnahmen: embryonale Zellen, Abwehrzellen oder Zellen, die an der Wundheilung beteiligt sind, bewegen sich durch den Körper. Auch Tumorzellen sind dazu in der Lage. Sie verlassen ihren Ursprungsort und bilden in anderen Regionen Metastasen. Um von einer Stelle zur nächsten zu gelangen, müssen sich die Zellen durch enge Lücken im Gewebe zwängen – oftmals kleiner als sie selbst. Dafür müssen sie sich verformen, was Energie und Zeit kostet.
Prof. Dr. David Brückner vom Biozentrum der Universität Basel hat gemeinsam mit Forschenden um Prof. Dr. Sylvain Gabriele von der Universität Mons in Belgien herausgefunden, dass solch wandernde Zellen eine Art mechanisches Gedächtnis besitzen. Die Zellen merken sich die Form, die sie beim Passieren einer Engstelle angenommen haben. So müssen sie ihre Form nicht jedes Mal aufs Neue anpassen und können sich schneller und effektiver durch enge Gewebestrukturen bewegen.
In ihrer in «Nature Physics» veröffentlichten Studie geben die Forschenden Einblick in den biophysikalischen Mechanismus, der diesem Verhalten zugrunde liegt. Brückner lieferte als theoretischer Physiker das mathematische Modell, welches die Dynamik wandernder Zellen beschreibt.
Zellen wechseln ihre Gestalt
Die Forschenden beobachteten das Verhalten einzelner Zellen in speziell konstruierten Mikro-Strukturen auf einem Kunststoffchip: Zwei winzige quadratische Aussparungen verbunden mit einem hauchdünnen Kanal, der die engen Zwischenräume im Gewebe nachbildet. «Die Zellen selbst bewegen sich mithilfe von Protrusionen, also mikroskopischen Ärmchen, in diesen Strukturen», erklärt Brückner. «Besonders bewegungsfreudig sind Krebszellen, sie wandern die ganze Zeit von einer zur anderen Seite.» Dabei wechseln die Zellen zwischen zwei verschiedenen Formen: einer flachen langgezogenen und einer kompakten kugelförmigen Gestalt.
Geht die Zelle in den Tunnel hinein, ziehen die Ärmchen mal in die eine, mal in die andere Richtung. Sie probiert anfangs also noch beide Richtungen aus und streckt sich dabei lang. Je länger sie in dem engen Kanal verweilt, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie in die kompakte Form wechselt. «Dort hat sie nur ein richtungsgebendes Ärmchen, das den Rest der Zelle wie einen Sack hinter sich herzieht», sagt Yohalie Kalukula von der Universität Mons, Erstautorin der Studie. «Die Zelle verwendet also ihre Kraft darauf, sich gezielt in eine Richtung fortzubewegen.»
Zellen behalten kompakte Form auch nach Engstelle bei
Überraschenderweise behalten die meisten über längere Zeit eingeengten Zellen ihre kompakte Gestalt auch nach Verlassen des Tunnels erst einmal bei. So sind sie bereits für das nächste Hindernis vorbereitet: «Die Zelle merkt anscheinend, dass sie schon eine Engstelle hinter sich und vermutlich noch weitere vor sich hat. Daher bleibt sie kompakt», sagt Kalukula. «In einem kleinen Teil der Fälle wechselt sie jedoch wieder in die längliche Form zurück. Vermutlich ist es im Gewebe nicht vorteilhaft, immer nur kompakt zu sein und in eine Richtung zu laufen, weil man dann öfter in eine Sackgasse gerät und feststeckt.»
Form-Gedächtnis beruht auf Umbau von Zellgerüst
Wie die Forschenden weiter herausfanden, beruht das mechanische Gedächtnis auf Veränderungen im Zellskelett, genauer gesagt im sogenannten Aktin-Gerüst. Es bestimmt die Form der Zelle und verleiht ihr Stabilität. Bei längerem Aufenthalt in engen Zwischenräumen verstärkt die Zelle ihr Aktin-Gerüst. Es wird dicker und stabiler und erlaubt ihr die kompakte Form beizubehalten, auch wenn sie die Engstelle bereits verlassen hat. «Der Umbau des Aktin-Gerüsts braucht allerdings einige Zeit und dadurch entsteht dieser Gedächtnis-Effekt», so Brückner.
Die Ergebnisse der Gruppe weisen darauf hin, dass Zellen besser durch komplexe Umgebungen navigieren können, wenn sie ihre Gestalt den jeweiligen Gegebenheiten anpassen. Für die Wundheilung oder die Bekämpfung von Infektionen könnte dies förderlich sein. Allerdings hat diese Fähigkeit auch eine Kehrseite: Sie könnte dazu beitragen, dass Tumorzellen sich im Körper schneller ausbreiten können.
Prof. Dr. David Brückner. Universität Basel, Biozentrum, E-Mail: d.b.brueckner@unibas.ch
Yohalie Kalukula, Marine Luciano, Gleb Simanov, Guillaume Charras, David B. Brückner and Sylvain Gabriele.
The actin cortex acts as a mechanical memory of morphology in confined migrating cells.
Nature Physics (2025), doi: 10.1038/s41567-025-02980-z
Zellen verändern ihre Gestalt, um sich durch komplexe Strukturen zu bewegen.
Quelle: Yohalie Kalukula
Copyright: Yohalie Kalukula, Universität Mons
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Biologie, Medizin
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Forschungsergebnisse, Wissenschaftliche Publikationen
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