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26.08.2025 19:15

Tiersender können Vergiftung von Geiern aufdecken und Massensterben bei bedrohten Geierarten verhindern

Jan Zwilling Wissenschaftskommunikation
Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) im Forschungsverbund Berlin e.V.

    Todesfälle durch Verzehr vergifteten Tierkadavern tragen wesentlich zum Rückgang der Bestände vieler Geierarten bei. Da Geier bei der Nahrungssuche interagieren und einander folgen, sterben an einem vergifteten Kadaver mitunter hunderte Exemplare bedrohter Arten wie dem Weißrückengeier. Forschende der GAIA-Initiative am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) konnten nun zeigen, dass Sender an Geiern es ermöglichen, Vergiftungsfälle rasch zu erkennen und den Kadaver zu entfernen.

    Geier sind als Aasfresser resistent gegenüber vielen in der Umwelt vorkommenden Krankheitserregern und erfüllen unter anderem die ökologisch wichtige Funktion, Landschaften von im Aas vorkommenden Pathogenen wie dem Milzbranderreger Bacillus anthracis zu befreien. Gegenüber künstlichen Giften wie Agrarpestiziden sind sie jedoch extrem anfällig und sterben oft unmittelbar nach der Aufnahme, zum Beispiel über einen vergifteten Kadaver in der Landschaft. Vergiftete Kadaver sind keine Seltenheit, sie werden beispielsweise in Mensch-Wildtier-Konflikten zur Bekämpfung von Raubtieren auf Farmland oder zum Verschleiern illegaler Aktivitäten wie Wilderei ausgebracht. Ob Geier Kollateralschaden oder direktes Ziel der Vergiftungen sind – der Effekt ist häufig ein Massensterben der Vögel an einem einzigen Ort. Diese Ereignisse spielen eine große Rolle bei den zum Teil dramatischen Bestandsrückgängen, etwa um bis zu 90% innerhalb von drei Generationen beim Weißrückengeier (Gyps africanus).

    Besendern von 5 Prozent der Tiere kann 45 Prozent der weiteren Todesfälle verhindern

    Forschende der GAIA-Initiative identifizierten nun ein mutmaßlich wirksames Rezept zur Eindämmung des Massensterbens von Geiern an vergifteten Kadavern: Sie wiesen anhand der Daten von besenderten Weißrückengeiern im Etosha-Nationalpark in Namibia nach, dass die Auswertung der Daten von Tiersendern die frühzeitige Erkennung von Vergiftungsfällen und ein schnelles Eingreifen ermöglicht. Wird der vergiftete Kadaver innerhalb von zwei Stunden entfernt, kann ein beträchtlicher Anteil der nachfolgenden Todesfälle verhindert werden. Die Forschenden berechneten das Verhältnis von Aufwand und Nutzen: „Dieses Verhältnis ist in unserem Modell gut ausbalanciert, wenn fünf Prozent der Geierpopulation (25 Individuen in unserem simulierten System) mit Senderdaten verfolgt werden“, sagt Teja Curk, Wissenschaftlerin am Leibniz-IZW und Erstautorin der Studie. „Dieser Ansatz kann 45 Prozent der vergiftungsbedingten Todesfälle verhindern, wenn innerhalb von zwei Stunden eingegriffen wird. Unsere Ergebnisse zeigen also, dass es zur Verringerung der vergiftungsbedingten Sterblichkeit ausreicht, einen kleinen Teil der Geierpopulation mit Tiersendern auszustatten, der als Wächter für den Rest der Population fungieren würde.“

    Je kürzer die Zeitspanne bis zum Entfernen des Kadavers, desto mehr Todesfälle können verhindert werden – wird innerhalb einer Stunde eingegriffen, können mehr als 50 Prozent der Todesfälle verhindert werden; bei einer Reaktionszeit von 12 Stunden sinkt die Zahl auf 25 Prozent. Zudem ist der Zusammenhang zwischen dem Anteil der besenderten Geier und der Anzahl potenziell geretteten Tiere nicht linear, das bedeutet beispielsweise mit verdoppeltem Aufwand (Geier am Sender) wird erheblich weniger als der doppelte Nutzen erzielt.

    Analysen verbinden Tiersenderdaten, Verhaltensbeobachtungen und Simulationen

    Die Analysen stützen sich auf Daten über einen Zeitraum von 13 Monaten von 30 mit Sendern ausgestatteten Weißrückengeiern in Namibia. Die Sender zeichneten minütlich Positionsdaten (GPS) und Bewegungsdaten über den sogenannten ACC-Sensor auf. ACC-Daten sind Beschleunigungsdaten in drei räumlichen Dimensionen und erlauben sehr genaue Rückschlüsse auf Körperbewegungen der Tiere an einer Position. „Mit den von der GAIA-Initiative entwickelten, auf Künstlicher Intelligenz beruhenden Analyseverfahren konnten sowohl das Verhalten der Geier (beispielsweise das Fressen) als auch die Position von Kadavern in der Landschaft zuverlässig abgeleitet werden“, erklärt GAIA-Projektleiter Jörg Melzheimer vom Leibniz-IZW.

    Mit diesen Daten zu Kadaverstandorten sowie Geier-Bewegungen sowie auf Basis von Informationen und Erfahrungen aus vergangenen Studien simulierten die Forschenden die Nahrungssuche von Geiern in sogenannten agenten-basierten Modellen. Die Modelle berücksichtigten unter anderem die Größe des Streifgebiets der Etosha-Population der Weißrückengeier, die täglichen Aktionszeiten und -radien, die Flugbewegungen der Tiere bei der Nahrungssuche sowie unterschiedliche Szenarien für soziale Nahrungssuche.

    Kadaver und Tiere wurden zu Beginn einer Simulation zufällig in der Landschaft verteilt und in vorher festgelegten Verhältnissen zufällig als vergiftet/nicht vergiftet respektive als besendert/nicht besendert klassifiziert. Mit unterschiedlicher Parametrisierung ließen die Forschenden die Modelle insgesamt 360 Male laufen und analysierten die Ergebnisse.

    Soziale Strategien bei der Nahrungssuche machen Geier anfälliger für Massenvergiftungen

    Das Gruppenverhalten von Geiern bei der Nahrungssuche wirkt sich stark auf das individuelle Risiko einer Vergiftung aus. Dies belegten drei unterschiedliche Modelle für drei Strategien bei der Nahrungssuche: die nicht-soziale Futtersuche, bei der jeder Geier allein darauf angewiesen ist, selbst Kadaver in der Landschaft aufzuspüren; die Strategie der „lokalen Anreicherung“, bei der Geier nicht nur von Kadavern angelockt werden, sondern auch durch die direkte Beobachtung von fressenden Artgenossen; und die Strategie der „Geierkette“, bei der die Geier nacheinander anderen Geiern am Himmel folgen, die sich möglicherweise auf dem Weg zu einem Kadaver befinden. In einer früheren Studie wies das GAIA-Team nach, dass soziale Strategien bei der Nahrungssuche für Geier mehr Vorteile als Nachteile haben – im Hinblick auf das Vergiftungsrisiko sind Kooperation und Interaktion jedoch Nachteile, wie die aktuelle Studie im Detail aufzeigt. Beide soziale Strategien hatten zur Folge, dass nach einem Tag nahezu alle Geier an einem Kadaver fraßen, während es in dem nicht-sozialen Modell nur rund 60 Prozent der Geier waren. Dies hat erheblich höhere Anteile von vergifteten Geiern zur Folge, unabhängig davon wie hoch der Anteil der vergifteten Kadaver in der Simulation war.

    „In den letzten Jahrzehnten sind die Bestände vieler Geierarten stark zurückgegangen, sie sind nun akut vom Aussterben bedroht“, sagt Ortwin Aschenborn, GAIA-Projektleiter am Leibniz-IZW. „Die Hauptursachen dafür sind der Verlust von Lebensraum und Nahrung in vom Menschen geprägten Landschaften sowie eine hohe Anzahl direkter oder indirekter Vergiftungen. Der Bestand des Weißrückengeiers ist beispielsweise innerhalb von nur drei Generationen um etwa 90 Prozent zurückgegangen – das entspricht einem durchschnittlichen Rückgang von 4 Prozent pro Jahr.“ Der Erhaltungszustand des Weißrückengeiers wurde in der Roten Liste der Weltnaturschutzunion (IUCN) im Jahr 2007 von „least concern“ (nicht gefährdet) auf „near threatened“ (potenziell gefährdet) verändert. Nur fünf Jahre später wurde die Art als stark gefährdet eingestuft und im Oktober 2015 wurde ihr Status erneut auf „vom Aussterben bedroht“ geändert, da der anhaltende Rückgang schneller und gravierender ist als vorher vermutet wurde.


    Wissenschaftliche Ansprechpartner:

    Curk T, Santangeli A, Rast W, Portas R, Shatumbu G, Cloete C, Beytell P, Aschenborn O, Melzheimer J (2025): Using animal tracking for early detection of mass poisoning events. Journal of Applied Ecology Volume 62, Issue 8 (2025). DOI: 10.1111/1365-2664.70128


    Originalpublikation:

    Journal of Applied Ecology Volume 62, Issue 8 (2025). DOI: 10.1111/1365-2664.70128


    Bilder

    Vultures at carcass
    Vultures at carcass
    Quelle: Jon A. Juarez
    Copyright: Leibniz-IZW/Jon A. Juarez

    Vultures at carcass
    Vultures at carcass
    Quelle: Jon A. Juarez
    Copyright: Leibniz-IZW/Jon A. Juarez


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Tier / Land / Forst, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

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