Fraunhofer MEVIS feiert Geburtstag – und zeigt, wie neue Technologien unser Gesundheitssystem verbessern können.
1995 wurde das heutige Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin MEVIS als interdisziplinäres Forschungszentrum in Bremen gegründet. Inzwischen zählt es zu den weltweit führenden Einrichtungen auf seinem Gebiet. Sein 30-jähriges Jubiläum feiert das Institut mit mehreren Events: Am Abend des 3. September findet im historischen Bremer Rathaus eine Festveranstaltung statt, bei der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft auf die Erfolgsgeschichte des Instituts zurückblicken, aber auch einen Blick in die Zukunft wagen. Am 4. September kommen vormittags international renommierte Fachleute zu einem Symposium im Institut zusammen, um über künftige Entwicklungen in der Medizin zu diskutieren. Konkret geht es um Künstliche Intelligenz (KI) und welche Rolle sie beim Kampf gegen Krebs spielen kann. Nachmittags heißt Fraunhofer MEVIS dann die Öffentlichkeit willkommen und gewährt beim Open House spannende und interaktive Einblicke in aktuelle Forschungsarbeiten.
Fraunhofer MEVIS entwickelt praxistaugliche Softwaresysteme für die bild- und datengestützte Medizin, insbesondere unter Einsatz von modernster KI und Deep Learning. Das Ziel lautet, Krankheiten früher und sicherer zu erkennen, Behandlungen individuell auf Patient:innen zuzuschneiden und Therapieerfolge messbar zu machen. Dazu arbeitet das Institut eng mit Medizintechnik- und Pharmaunternehmen zusammen. »Wir sind ein Transferinstitut. Oft wird die Übertragung von der Wissenschaft in die Wirtschaft als große Hürde beschrieben, viele Forschungsergebnisse rund um den Globus schaffen es nicht in die Anwendung«, sagt Institutsleiter Prof. Horst Hahn. »Hier bauen wir Brücken, um das, was möglich ist, in die Welt zu bringen und für die Gesellschaft verfügbar zu machen.«
Von der Idee zur Anwendung
Ein aktuelles Beispiel: Vor gut zwei Jahren brachte Fraunhofer MEVIS gemeinsam mit der israelischen Firma Techsomed Medical Technologies Ltd. ein bahnbrechendes Verfahren zur Marktreife – die präzise Ultraschall-Überwachung für die minimalinvasive Tumorablation. Zu diesem Zweck wurde durch den ehemaligen stellvertretenden Fraunhofer MEVIS-Institutsleiter Prof. Tobias Preusser und sein Team die Techsomed GmbH in Bremen gegründet.
Bei der Ablation wird ein Tumor durch Hitze über eine feine Nadel zerstört. Bislang war der Ausgang der Prozedur oft ungewiss, doch dank der neuen Methode kann der Eingriff präzise gesteuert werden. »Mit diesem einmaligen Verfahren wird die Zerstörung des Tumorgewebes in Echtzeit überwacht«, erläutert Hahn. »Direkt nach dem Eingriff ist bereits zu sehen, ob der Tumor vollständig zerstört wurde. Und das Ganze mit einem einfachen und kostengünstigen Ultraschallgerät.« Beim herkömmlichen Verfahren müssen die Operierten leider zu oft später erfahren, dass der Eingriff nicht vollständig geglückt ist. Mit der neuen Methode können die Behandelnden noch während der Prozedur abschätzen, ob der Tumor vernichtet wurde – wenn nicht, wird die Behandlung an Ort und Stelle korrigiert. Das Verfahren ist mittlerweile, nur zwei Jahre nach Gründung, bereits an einigen der renommiertesten Kliniken in den USA im Einsatz.
Dieser Erfolg ist besonders, denn herausragende technische Möglichkeiten sind vorhanden, aber stoßen bislang im deutschen Gesundheitswesen an Grenzen. »Wir brauchen ein System, das auf Gesunderhaltung und Effizienz setzt.«, betont Hahn. Seine Forderung: Therapien, die nicht anschlagen, sollten in Zukunft frühzeitig erkannt und abgebrochen werden. »In der Krebsbehandlung sind viele Chemo- und Immuntherapien teuer, belastend und leider mitunter wirkungslos«, sagt er. »Wenn wir das früh genug erkennen, könnten wir Nebenwirkungen vermeiden, immense Kosten sparen und nicht zuletzt Lebenszeit für die Betroffenen gewinnen.«
Neue Technologien effizienter einsetzen
Fraunhofer-MEVIS-Methoden können dabei helfen, etwa durch KI-gestützte Bildanalyse, Datenintegration und leistungsfähige Vorhersagemodelle. Allerdings mangelt es im deutschen Versorgungssystem an entsprechenden Anreizen. Zurzeit finanzieren sich Einrichtungen oft über die schiere Zahl an Eingriffen und Therapien – Qualität und Kosteneinsparungen werden nicht immer belohnt. »Das muss sich ändern, wenn wir moderne Medizin für alle verfügbar machen wollen«, sagt Hahn. »Wir haben die Technologien dazu – was fehlt, sind die passenden Rahmenbedingungen.«
Ein wichtiger Forschungsschwerpunkt von Fraunhofer MEVIS liegt auf klinischen Systemen zur Entscheidungsunterstützung. Diese Systeme verknüpfen medizinische Bilddaten, Laborwerte und Studienergebnisse intelligent miteinander und können dadurch den behandelnden Ärzt:innen fundierte Therapieempfehlungen an die Hand geben.
Für die Zukunft setzt das Institut auf sogenannte Multi-Agenten-Systeme, die in der Industrie bereits regen Einsatz finden. Diese neuen KI-Strukturen können mehrere unterschiedlich spezialisierte KI-Module automatisch kombinieren – individuell für jede Fragestellung. »Dadurch können wir künftig schneller und umfassender analysieren, welche Therapie für einen konkreten Fall am besten geeignet ist, und zwar basierend auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft«, erklärt Horst Hahn – und sieht darin eine Schlüsseltechnologie, um der wachsenden Komplexität in der Medizin gerecht zu werden.
Wurzeln in der Mathematik
Initiiert wurde die Einrichtung 1995 von dem Mathematiker und Bremer Universitätsprofessor Heinz-Otto Peitgen. Das neue »Centrum für Medizinische Diagnosesysteme und Visualisierung« folgte einem visionären Ansatz: Gemeinsam sollten Fachleute aus Medizin, Mathematik, Informatik und Physik neue digitale Werkzeuge entwickeln, um damit Diagnostik und Therapie sicherer und effektiver zu machen. Wichtiger Ausgangspunkt waren sogenannte Fraktale – eine Spielart der Geometrie, mit der sich komplexe organische Gebilde in Formeln fassen lassen. »Peitgen war gemeinsam mit dem Marburger Radiologieprofessor Klaus Klose davon überzeugt, dass sich damit biologische Strukturen wie etwa Blutgefäße beschreiben lassen, mit einem echten Nutzen für die Medizin«, erzählt Hahn.
Im Laufe der Zeit sorgte Fraunhofer MEVIS für zahlreiche Innovationen, die den Weg in die Praxis fanden. So entwickelte das Institut den Prototypen für eine hocheffiziente Software zur digitalen Mammographie-Befundung. Sie erlaubt es Radiologie-Fachleuten, die Röntgenaufnahmen der Brust schnell und sicher auf mögliche Tumoren zu befunden, und wird weltweit genutzt. Zur Marktreife weiterentwickelt und bis heute vermarktet wird sie von den beiden aus dem Institut hervorgegangenen Firmen MeVis Medical Solutions und MeVis BreastCare, die zusammen etwa ebenso viele hochwertige Arbeitsplätze in Bremen geschaffen haben wie das Institut selbst.
Ein weiteres Erfolgsbeispiel ist die computergestützte Planung von Leber-OPs. Gerade bei der anspruchsvollen Leberlebendspende sowie bei komplexen Tumoroperationen hilft eine MEVIS-Software, die individuelle Gefäßanatomie präzise zu analysieren und Schnittführungen im Voraus virtuell zu planen. Das minimiert Risiken und erhöht die Erfolgswahrscheinlichkeit. Heute ist die Technologie zur Operationsplanung in zahlreichen Zentren weltweit im Einsatz.
Zunächst war MEVIS ein rechtlich eigenständiges, gemeinnütziges Forschungszentrum an der Universität Bremen. Die Einrichtung wuchs kontinuierlich und kooperierte mit Unternehmen, Kliniken und Forschungseinrichtungen weit über die Region hinaus. 2009 erfolgte die Integration in die Fraunhofer-Gesellschaft – MEVIS wurde zum Fraunhofer-Institut für Bildgestützte Medizin und installierte Zweigstellen unter anderem in Lübeck und Berlin. 2019 kam ein Namenswechsel: Der Begriff »Bildgestützte Medizin« hatte sich für die immer komplexeren Anwendungen als zu eng erwiesen. Mittlerweile wertet das Institut nicht mehr nur medizinische Bilder aus, sondern bringt die verschiedensten Patient:inneninformationen zusammen, um fundiertere medizinische Entscheidungen zu ermöglichen. Folgerichtig steht MEVIS seitdem für das Fraunhofer-Institut für Digitale Medizin.
Festveranstaltung, Symposium und Open House
Auf der Festveranstaltung am 3. September im Bremer Rathaus werden Wegbegleiter:innen, Politiker:innen und Mediziner:innen über das Thema »Digital Medicine – The Way Ahead« diskutieren. Im Hauptteil des Festprogramms wird Dr. Sibylle Anderl, Leiterin des Ressorts Wissen bei DIE ZEIT, gemeinsam mit Heinz-Otto Peitgen, Horst Hahn und bedeutenden Weggefährt:innen die Anfangstage des Instituts Revue passieren lassen sowie die künftigen Chancen und Herausforderungen ausloten. Den Festakt eröffnet die international gefeierte Cellistin Tanja Tetzlaff, die mit ihrem Glenn Gould Bach Fellowship das Projekt Suites4Nature realisierte und darin Bachs Cellosuiten eindrucksvoll mit Natur und Klimawandel verbindet.
Am 4. September lädt das Institut, das auf dem Campus der Universität Bremen angesiedelt ist, zum Zukunftssymposium »Impact of AI in Cancer Care and Beyond«. Expert:innen aus dem In- und Ausland, unter anderem aus Schweden, den Niederlanden und den USA, diskutieren dort über die künftige Rolle von KI in der Krebsmedizin – mit besonderem Fokus auf die gesellschaftlichen und ökonomischen Implikationen. Am Nachmittag öffnet Fraunhofer MEVIS dann seine Türen für alle Interessierten. Beim Open House erwarten Besucher:innen interaktive Vorstellungen aktueller Projekte und informative Einblicke in die Welt der KI.
Fraunhofer MEVIS – Internationale Forschung und Entwicklung in der digitalen Medizin aus Bremen.
Quelle: Jan Meier
Copyright: Jan Meier
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Wissenschaftler
Informationstechnik, Mathematik, Medizin, Physik / Astronomie
überregional
Buntes aus der Wissenschaft
Deutsch
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