Materie in der alltäglichen Welt ist entweder gasförmig, flüssig oder fest. In der Quantenmechanik ist es allerdings möglich, dass zwei unterschiedliche Zustände gleichzeitig existieren. So kann ein ultrakaltes Quantensystem simultan die Eigenschaften einer Flüssigkeit sowie eines Feststoffes aufweisen. Dieses Phänomen hat nun die Forschungsgruppe Synthetische Quantensysteme an der Universität Heidelberg auf eine neue Art experimentell nachgewiesen, indem sie ein wenig Energie in eine Supraflüssigkeit eingebracht hat.
Pressemitteilung
Heidelberg, 28. August 2025
Wie aus einer Superflüssigkeit zugleich ein Festkörper wird
Heidelberger Physiker weisen experimentell nach, dass extern getriebene Quantensysteme suprasolide Eigenschaften annehmen können
Materie in der alltäglichen Welt ist entweder gasförmig, flüssig oder fest. In der Quantenmechanik ist es allerdings möglich, dass zwei unterschiedliche Zustände gleichzeitig existieren. So kann ein ultrakaltes Quantensystem simultan die Eigenschaften einer Flüssigkeit sowie eines Feststoffes aufweisen. Dieses Phänomen hat nun die Forschungsgruppe Synthetische Quantensysteme an der Universität Heidelberg auf eine neue Art experimentell nachgewiesen, indem sie ein wenig Energie in eine Supraflüssigkeit eingebracht hat. Sie hat gezeigt, dass sich Schallwellen in einem solchen extern getriebenen Quantensystem mit zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausbreiten. Das weist auf nebeneinander existierende Zustände von flüssig und fest hin – ein Merkmal von Suprasolidität.
Das überraschende und scheinbar widersprüchliche Verhalten, dass zwei verschiedene Materiezustände gleichzeitig auftreten können, gibt es bei Raumtemperatur nicht. Doch bei ultratiefen Temperaturen greift die Quantenmechanik, und die Materie kann ganz andere Eigenschaften aufweisen als gewöhnlich. Werden etwa Atome auf tiefe Temperaturen abgekühlt, beginnt ihr wellenförmiges Verhalten zu dominieren. Wenn sie nahe genug beieinander sind, verschmelzen viele Teilchen zu einer großen Welle, dem sogenannten Bose-Einstein-Kondensat. Dieser Zustand ist ein Suprafluid – eine Flüssigkeit, die ohne Reibung fließt.
Ein solches Suprafluid kann in seltenen Fällen auch periodische Modulationen der Dichte aufweisen. Sie werden durch äußere Kräfte angetrieben und führen dazu, dass eine Superflüssigkeit effektiv „kristallisiert“ und damit fest wird. Trotz der Kristallisation verhalten sich die Atome in diesem System jedoch immer noch als eine gemeinsame Welle und zeigen daher weiterhin superflüssige Eigenschaften. Das Phänomen der nebeneinander existierenden Zustände von flüssig und fest wird in der Quantenmechanik als suprasolid bezeichnet.
In Superflüssigkeiten können periodische Dichtemodulationen unter anderem dadurch erzeugt werden, dass das Suprafluid geschüttelt wird. Ähnlich wie das Rütteln an einem Wassereimer Oberflächenwellen hervorruft, wird in diesem Fall durch „Schütteln“ der Wechselwirkung zwischen den Atomen von außen Energie in das superflüssige System eingebracht. Es wird zu einem dynamischen, durch externen Einfluss getriebenen Quantensystem, das sich nicht mehr im Gleichgewicht befindet. Dass hier dennoch eine kristalline Ordnung auftreten kann, haben frühere Studien belegt. Welche Verbindung die Muster dieser Kristallisation zu Suprasolidität – zu Superfestkörpern – haben, wurde bisher experimentell nicht untersucht, wie Prof. Dr. Markus Oberthaler, Leiter der Forschungsgruppe Synthetische Quantensysteme, erläutert.
Ein besonderes Merkmal von Suprasoliden ist, dass sie zwei Arten von Schallwellen haben. Die eine Welle stört die Suprafluidität, die andere die kristalline Ordnung. Den Heidelberger Physikern ist es nun mithilfe moderner experimenteller Techniken gelungen, beide Störungen getrennt voneinander auszulösen. In diesem Zusammenhang haben sie untersucht, wie sich die Schallwellen durch das getriebene Quantensystem bewegen. Dabei hat sich gezeigt, dass sich die Defekte mit unterschiedlicher Geschwindigkeit ausbreiten. Dies deutet darauf hin, dass das System sowohl die Eigenschaften einer Flüssigkeit als auch eines Festkörpers aufweist und damit suprasolid ist.
„Für uns ist es eine interessante Erkenntnis, dass wir einer Supraflüssigkeit die Eigenschaften eines Festkörpers verleihen können, indem wir ein wenig Energie in das System einspeisen“, betont Prof. Oberthaler. „Das angeregte Suprafluid unterstützt Schwingungen wie ein fester Körper, in dem die Atome im Einklang um ihre Gleichgewichtspositionen schwingen, wenn eine Schallwelle vorbeizieht“, erläutert der Wissenschaftler, der mit seiner Gruppe am Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg forscht.
Nach den Worten von Nikolas Liebster ist die Arbeit der erste Nachweis von suprasoliden Schallwellen in einem System weit entfernt vom Gleichgewicht. „Üblicherweise werden Superfestkörper in der Gleichgewichtsphysik diskutiert. Das bedeutet, dass alles in der Zeit statisch ist. Jetzt schütteln wir das Suprafluid und pumpen damit Energie hinein, und dabei stellt sich heraus, dass das Konzept der Suprasolidität auch fernab des Gleichgewichts anwendbar ist“, sagt der Physiker, der Mitglied in Prof. Oberthalers Forschungsgruppe ist.
Die Forschung war Teil der Arbeiten am Sonderforschungsbereich „Isolierte Quantensysteme und Universalität unter extremen Bedingungen“ (ISOQUANT) und am Exzellenzcluster STRUCTURES der Universität Heidelberg. Sie wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Die Forschungsergebnisse sind in „Nature Physics“ erschienen.
Kontakt:
Universität Heidelberg
Kommunikation und Marketing
Pressestelle, Telefon (06221) 54-2311
presse@rektorat.uni-heidelberg.de
N. Liebster, M. Sparn, E. Kath, J. Duchene, H. Strobel & M.K. Oberthaler: Supersolid-like sound modes in a driven quantum gas. Nature Physics 21, 1064–1070 (published online 2 June 2025), https://doi.org/10.1038/s41567-025-02927-4
https://www.kip.uni-heidelberg.de/synqs – Forschungsgruppe Synthetische Quantensysteme
Merkmale dieser Pressemitteilung:
Journalisten
Physik / Astronomie
überregional
Forschungsergebnisse
Deutsch
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