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01.09.2025 13:34

Für saubereren Biomüll: HSBI-Forschende entwickeln eine KI zur Erkennung von Fremdstoffen im Bioabfall

Dr. Lars Kruse Ressort Hochschulkommunikation
Hochschule Bielefeld

    Damit aus Bioabfällen wertvoller Kompost werden kann, darf er möglichst nur aus organischen Stoffen bestehen. Fremdstoffe wie Plastik, Glas oder Metalle sind für die Weiterverarbeitung in Kompostieranlagen ein großes Problem. Eine Novelle der Bioabfallverordnung verpflichtet die Anlagenbetreiber seit diesem Jahr zu strengeren Zielen bei der Reduktion von Fremdstoffen. Auf der Deponie Pohlsche Heide in Hille soll dabei in Zukunft eine von HSBI-Wissenschaftler:innen entwickelte KI helfen, Fremdstoffe zu suchen und ihre Menge zu bestimmen.

    Bielefeld (hsbi). Von oben betrachtet sieht eigentlich alles schön grün aus. Rasenschnitt wechselt sich mit ein paar Ästen, Blättern und anderen Pflanzenteilen ab. Dazwischen zeigt das Bild der hochauflösenden Kamera in der Kompostieranlage der Deponie Pohlsche Heide braune und beige Punkte. Die Menge erstaunt, aber es sind Kartoffeln oder anderes Gemüse. Doch auf der gesamten Fläche des fünf Meter hohen und breiten Bioabfallhaufens verraten weiße, graue und hellblaue Flächen unterschiedlicher Größe, dass hier nicht alles organischen Ursprungs ist. „Das Blaue sind die Müllsäcke, die jede:r kennt und das hier wahrscheinlich ein Pflanztopf aus Kunststoff“, erkennt Emilia Bensch auf den ersten Blick, was hier falsch gelaufen ist.

    Im Biomüll sind zu viele Fremdstoffe enthalten

    In den vergangenen Wochen hat sich die 23-Jährige Studentin des Masterstudiengangs Wirtschaftsinformatik ein geübtes Auge für Bioabfallhaufen und die in ihnen enthaltenen Fremdstoffe zugelegt. Zusammen mit Marius Sangel, der im Master Optimierung und Simulation und Wirtschaftspsychologie studiert, arbeitet sie im Team von Prof. Dr. Hans Brandt-Pook vom Fachbereich Wirtschaft und Institute for Data Science and Solutions (iDaS) der Hochschule Bielefeld (HSBI) an einer Lösung für das Aufspüren von Plastik und Co im Bioabfall. „TRACES“ (für Trash Recognition and AI-Controlled Evaluation of waste Surfaces) heißt die von ihnen entwickelte Anwendung und das gleichnamige Projekt, das über die Förderlinie DATIpilot noch bis April 2026 gefördert wird. Die vom Projektteam entwickelte Künstliche Intelligenz (KI) markiert Fremdstoffe und schätzt ihre Menge innerhalb der Abfallhaufen, die auf der Deponie in Hille im Kreis Minden-Lübbecke angeliefert werden. Aber dafür braucht TRACES ein umfangreiches Training. Diese Trainingsdaten stammen aus hunderten von Bildern aus der Kompostieranlage, die die beiden Masterstudierenden ausgewertet haben und als Datensatz in die KI einspeisen. In einem Workshop auf der Deponie werden diese Bilder heute zusammen mit den Mitarbeiter:innen des Betreibers Kreis Abfall Verwertungsgesellschaft Minden-Lübbecke mbH (KAVG) analysiert. Anhand der Routinen und des Wissens der Mitarbeiter:innen der Anlage soll die Arbeitsweise von TRACES in einem Workshop vor Ort optimiert werden.

    Trainingsdaten und Clickworking bilden die Grundlage der KI
    „Ganz praktisch haben wir uns bisher etwa 300 Bilder von Abfallhaufen angeschaut, die aus dem ganzen Kreis Minden-Lübbecke in der Kompostieranlage der Pohlschen Heide angeliefert werden. Darauf markieren wir anschließend Plastiktüten, Papiere, Obstschalen und alle anderen Fremdstoffe, die wir erkennen“, berichtet Marius Sangel über die erste Trainingsphase. Segmentierung nennt sich das Verfahren, in dem bestimmte Bildbereiche händisch markiert und einer bestimmten Kategorie Fremdstoff zugeordnet werden – echtes Clickworking. „Durch Wiederholung unterschiedlicher Beispiele ein und derselben Kategorie lernt die KI, wie beispielsweise Plastiktüten innerhalb eines Müllhaufens aussehen und kann das Gelernte anschließend auf andere Bilder anwenden“, beschreibt Emilia Bensch den Trainingsvorgang. Um die Analysen von TRACES möglichst zuverlässig zu machen, soll der Trainingsdatensatz der KI bis zum Projektende auf 5.000 Bilder anwachsen. Doch schon auf Basis des bisherigen Bildmaterials ragt ein Stoff besonders heraus: „Kunststoffe nehmen, wenig überraschend, den mit Abstand größten Anteil an Fremdstoffen ein“, bestätigt Bensch für die Pohlsche Heide, was Statistiken seit Jahren als Hauptproblem für Verschmutzung im Bioabfall belegen.

    Fremdstoffe verhindern, dass aus Abfall wieder Humus wird

    Denn Kunststoffe und andere Fremdstoffe wie Glas, Textilien oder Metalle in der Biotonne sind ein immenses Problem: Sie verhindern, dass die im Bioabfall liegenden Nährstoffe als Humusboden zum Anfang eines neuen, natürlichen Kreislaufs werden. Studien gehen von jährlich 1.200 Tonnen Mikroplastik aus, die allein über Komposterden und Klärschlämme in Deutschland in landwirtschaftliche Böden gelangen. Europaweit gehen dadurch in Landwirtschaft und Gartenbau ca. 90.000 Tonnen Kompost pro Jahr durch Verunreinigungen verloren – ein enormes Potenzial für Kreislaufwirtschaft. Eine vor drei Jahren beschlossene und nun in Kraft getretene Novelle der Bioabfallverordnung (BioAbfV) will dieses Potenzial nun besser ausschöpfen. „Seit Mai dieses Jahres dürfen Betreiber von Kompostieranlagen wie die Pohlsche Heide den angelieferten Biomüll des Entsorgers ablehnen, wenn der Anteil von Fremdstoffen drei Prozent überschreitet. Im Rahmen einer Sichtkontrolle sind sie verpflichtet, dies zu überprüfen“, weiß Britta Sirges. Die Masterstudentin begleitet das Projekt zusammen mit Professorin Dr. Christiane Nitschke aus wirtschaftsrechtlicher Sicht und berät das Entwickler:innenteam bei den vielen regulatorischen Fragen rund um den Einsatz der KI in der Kompostieranlage.

    Strengere Regeln gegen die Zunahme an Fremdstoffen
    Neben einer einfachen Sichtkontrolle durch Müllwerker:innen bei der Tonnenabholung setzen erste Betriebe deshalb auf KI-gestützte Bilderkennungsverfahren, die die Fremdstoffe erkennen und melden. Die dafür erforderlichen Kameras können entweder im Müllwagen selbst installiert sein oder den angelieferten Abfall in der Anlage begutachten. Beim Projektpartner KAVG entschied man sich für die zweite Variante und kooperiert innerhalb des TRACES-Projekts deshalb außerdem mit c-trace, einem führenden Anbieter von IT-Systemen für die Entsorgungswirtschaft. Das Bielefelder Unternehmen bringt die hochauflösende Kamera und die Serverumgebung ins Projekt ein, mit deren Hilfe Bensch und Sangel die KI trainieren.

    Wissen der Mitarbeiter:innen fließt in TRACES ein

    Auch das Wissen der Mitarbeiter:innen der Kompostieranlage soll in die Weiterentwicklung der Anwendung einfließen: Diesen Job übernehmen Milea Rullke und Udo Ossenfort von der KAVG. Normalerweise betreuen sie als Radladerfahrer:in die Anlieferung in der Kompostieranlage. Beim heutigen Workshop schauen sie sich zusammen mit Bensch und Sangel wenige Meter von ihrem Arbeitsplatz entfernt, Bilder der Haufen an, mit denen sie tagtäglich zu tun haben. Wie im Arbeitsalltag erfolgt zuerst eine Sichtkontrolle, anschließend wird eine Schulnote, je nach Fremdstoffgehalt, vergeben. Am Ende sollen die beiden den Fremdstoffgehalt im Haufen in Gewichtsprozent schätzen. Die voneinander abweichenden Bewertungen der beiden Mitarbeiter:innen zeigen, dass neben der fehlenden direkten Sicht auf den Abladevorgang auch die eigene Sichtweise auf die Haufen eine entscheidende Rolle spielt. Am Ende des Workshops steht die Erkenntnis: Auch die derzeitigen Verfahren der Anlage zur Bestimmung von Fremdstoffen beruhen maßgeblich auf Schätzungen und bestimmtem Erfahrungswissen.

    Kollege KI als Entscheidungshilfe für die schwierigen Fälle

    „Erfahrungswissen ist für Menschen sehr wichtig, weil es hilft, neue Situationen einzuordnen und Verbindungen zu vorherigen Ereignissen oder anderen Informationen herzustellen. Es kann aber auch verzerrend wirken, weil es oft Vorerwartungen mit sich bringt, die auf den gleichen Erfahrungen beruhen – zum Beispiel, dass ein Müllwagen aus Ort X meistens viel Plastik mitbringt“, erklärt Projektleiter Hans Brandt-Pook den Test mit den KAVG-Mitarbeiter:innen. Genau an dieser Stelle könnte TRACES in Zukunft seinen Platz in der Anlage in Hille oder anderswo finden: „Die Anwendung kann eine objektive Entscheidungshilfe für die Mitarbeiter:innen sein, die ihre Schätzungen sekundenschnell, nach den immergleichen Kriterien trifft“, ordnet Brandt-Pook den zukünftigen Nutzen für den Projektpartner ein. Wie beim Vier-Augen-Prinzip könnte die KI den Mitarbeiter:innen der Kompostieranlage eine Ergänzung zur eigenen Einschätzung anbieten, ob ein Haufen den geforderten Richtwerten entspricht. „Die Einschätzung der Mitarbeitenden bleibt weiterhin zentral, wird aber durch die KI um eine datenbasierte Grundlage ergänzt“, bringt es Sangel auf den Punkt.

    Auch rechtliche Fragen müssen bei der Entwicklung mitgedacht werden

    Der ergänzende Charakter von TRACES zur menschlichen Einschätzung ist auch aus rechtlicher Sicht wichtig, unterstreicht Prof. Dr. Christiane Nitschke: „Die Mitarbeiter:innen müssen die Grenzen der KI einschätzen können und die Chance zum Eingreifen haben, wenn die KI Ergebnisse ausgibt, die ihrer menschlichen Einschätzung grob zuwiederlaufen.“ Für den rechtssicheren Betrieb der KI gilt es viele weitere juristische Aspekte mitzudenken: „Welche Stoffe gelten laut der Abfallsatzung des Kreises als Störstoff und was passiert, wenn sich diese Definition nicht vollständig mit der Fremdstoff-Definition der Bioabfallverordnung deckt? Auch Fragen der IT-Sicherheit und des Mess- und Eichgesetzes sind für den sicheren Betrieb der Anwendung wichtig“, nennt Nitschke weitere Beispiele aus der Arbeit ihres Teams in den letzten Monaten, zu dem bis Ende Juni auch Kristin Maoro, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Referentin für Wirtschaftsrecht im Projekt InCams@BI, gehörte.

    Bei erfolgreicher Implementierung sind auch Erweiterungen der KI denkbar

    Mit genügend Zeit und Training könnten TRACES oder mögliche Folgeanwendungen vielleicht irgendwann so „fit“ sein, Fremdstoffe nicht erst nach der Anlieferung zu finden, ihren Anteil zu errechnen und zu dokumentieren. Stattdessen könnte der zugrundeliegende Bewertungsalgorithmus schon in der Abholung oder – gekoppelt mit anderen Systemen – in der anschließenden Sortierung helfen, Fremdstoffe zu finden und sie auszusieben. Im Ergebnis würden Plastiktüten und Pflanzbecher die Kompostieranlage gar nicht mehr erreichen oder darin zumindest nicht mehr zu Mikroplastik zerrieben werden. Spätestens dann würde der erste Eindruck nicht mehr täuschen und beim Kompost auf der Pohlschen Heide wäre tatsächlich alles im grünen Bereich.


    Weitere Informationen:

    https://www.hsbi.de/presse/pressemitteilungen/fuer-saubereren-biomuell-hsbi-info... Pressemitteilung auf www.hsbi.de


    Bilder

    Das TRACES-Projektteam (v.l.): Udo Ossenfort, Milea Rullmann, Emilia Bensch, Timo Röllke, Prof. Christiane Nitschke, Prof. Hans Brandt-Pook, Britta Sirges, Marius Sangel.
    Das TRACES-Projektteam (v.l.): Udo Ossenfort, Milea Rullmann, Emilia Bensch, Timo Röllke, Prof. C ...

    Copyright: F. Hüffelmann/HSBI

    Nur wenige Zentimeter groß ist die Kamera, die die Bilder für die Analysen der Anwendung produziert.
    Nur wenige Zentimeter groß ist die Kamera, die die Bilder für die Analysen der Anwendung produzie ...

    Copyright: F. Hüffelmann/HSBI


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Informationstechnik, Umwelt / Ökologie
    überregional
    Forschungsprojekte, Kooperationen
    Deutsch


     

    Das TRACES-Projektteam (v.l.): Udo Ossenfort, Milea Rullmann, Emilia Bensch, Timo Röllke, Prof. Christiane Nitschke, Prof. Hans Brandt-Pook, Britta Sirges, Marius Sangel.


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    Nur wenige Zentimeter groß ist die Kamera, die die Bilder für die Analysen der Anwendung produziert.


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