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03.09.2025 13:17

Die kleinen Tröpfchen des Lebens: Eine innovative Methode entschlüsselt die Zusammensetzung biologischer Kondensate

Benjamin Griebe Pressestelle
Technische Universität Dresden

    Biologische Kondensate sind kleine, membranlose Organellen, die in der Regel aus mehreren Proteinen und Nukleinsäuren innerhalb von Zellen bestehen. Sie sind an einer Vielzahl von zellulären Prozessen beteiligt, doch trotz ihrer Bedeutung fehlen Methoden zur Quantifizierung ihrer molekularen Zusammensetzung. In einer bahnbrechenden Veröffentlichung präsentieren Forscher der Brugués-Gruppe am Exzellenzcluster „Physik des Lebens“ der Technischen Universität Dresden, des Leibniz-Instituts für Polymerforschung Dresden und des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik eine neue experimentelle Methode, um die Zusammensetzung von Kondensaten aus komplexen Gemischen abzuleiten.

    In unseren Zellen tummeln sich zu jedem Zeitpunkt Zehntausende verschiedener Moleküle. In dieser komplexen Umgebung verbinden sich Proteine häufig mit RNA oder DNA und bilden durch einen Prozess namens Phasentrennung „Tröpfchen“, die als biomolekulare Kondensate bezeichnet werden. Zahlreiche zelluläre Prozesse werden von Kondensaten gesteuert, doch das Verständnis ihrer Zusammensetzung ist nach wie vor ein aktives Forschungsgebiet. „Wenn man etwas bauen will, kommt es nicht nur darauf an, welche Zutaten man verwendet, sondern auch wie viel. Die Verhältnisse sind entscheidend“, sagt Dr. Patrick McCall, unabhängiger wissenschaftlicher Mitarbeiter am Leibniz-Institut für Polymerforschung Dresden (IPF) und Hauptautor der Studie. „Bei Kondensaten gilt genau dasselbe Prinzip. Wir wissen oft, welche Komponenten vorhanden sind, aber nicht die spezifischen Anteile innerhalb eines Kondensats, die letztendlich seine Zusammensetzung bestimmen.“ Die Mischung der Komponenten innerhalb eines Kondensats ist entscheidend dafür, wie es sich verhält und was es bewirkt. Eine Analogie lässt sich zum Backen ziehen: Sowohl Kuchen als auch Kekse können mit ähnlichen Zutaten hergestellt werden, aber die spezifischen Verhältnisse in der Mischung sind entscheidend dafür, was aus dem Ofen kommt.

    Aber wie lassen sich diese Verhältnisse untersuchen? Bislang haben Wissenschaftler die einzelnen Bestandteile eines Kondensats mit fluoreszierenden Markierungen „markiert“, um ihre Konzentration zu messen. Jüngste Forschungsergebnisse haben jedoch gezeigt, dass diese Markierung und Quantifizierung zu erheblichen Fehlern führen können. Die üblicherweise verwendeten Markierungen sind groß genug, um die Eigenschaften, das Verhalten und sogar die Neigung zur Phasentrennung des Zielmoleküls erheblich zu verändern. Erschwerend kommt hinzu, dass ihre scheinbare Helligkeit im Kondensat unzuverlässig sein kann. Zwar vermeiden bestehende „markierungsfreie” Methoden die Probleme mit fluoreszierenden Markern vollständig, doch haben sie in der Regel Schwierigkeiten, zwischen verschiedenen Komponenten in einem Kondensat zu unterscheiden. Daher waren zuverlässige Messungen bisher auf vereinfachte Kondensate beschränkt, die in einem Reagenzglas aus nur einer oder zwei Komponenten rekonstituiert wurden. Um die komplexe Zusammensetzung realistischerer Kondensate zu verstehen, war ein neuer markierungsfreier Ansatz zur Messung der Komponenten erforderlich. Dr. McCall erkannte diese Lücke und begann zunächst während seiner Postdoc-Arbeit, die er gemeinsam in den Laboren von Jan Brugués (jetzt am Exzellenzcluster Physics of Life) und Anthony Hyman am Max-Planck-Institut für Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) durchführte, neue Wege zur Messung der Zusammensetzung von Kondensaten zu erforschen. Aufbauend auf dieser langjährigen Zusammenarbeit mit Kollegen am PoL und am MPI-CBG wurden nun bahnbrechende Ergebnisse in Nature Chemistry veröffentlicht, die eine neuartige, markierungsfreie Methode zur Messung der Zusammensetzung von Mehrkomponenten-Kondensaten vorstellen. Dies ist ein wesentlicher Schritt zum Verständnis der physikalischen Eigenschaften und Funktionen dieser Tröpfchen.

    Ihre neue Methode, die Analyse von Verbindungslinien und Brechungsindex (ATRI), kombiniert zwei physikalische Konzepte – den Brechungsindex und die Bindungslinie –, um die Zusammensetzung eines Kondensats zu bestimmen. Der Brechungsindex eines Mediums beschreibt, wie stark Licht beim Durchgang durch dieses Medium gebrochen wird. Mithilfe der quantitativen Phasenbildgebung (QPI), einem leistungsstarken markierungsfreien Mikroskopieverfahren, konnten die Autoren den Brechungsindexunterschied zwischen mikrometergroßen Kondensaten und dem umgebenden Medium, der „verdünnten Phase“, messen und so die Konzentration bestimmen. Besteht ein Kondensat nur aus einem einzigen Protein, liefert die QPI-Messung sofort eine Schätzung der Konzentration innerhalb des Kondensats. Aus Gewissheit wird jedoch Unklarheit, wenn mehr als eine Komponente vorhanden ist, da verschiedene Kombinationen von Molekülen denselben Brechungsindex erzeugen können. Dies erschwert die Bestimmung der genauen Verhältnisse der einzelnen Komponenten in Mehrkomponenten-Kondensaten. Um diese Unklarheit zu beseitigen, verwendet ATRI eine Verbindungslinie. Die Verbindungslinie ist ein grundlegendes Konzept der physikalischen Chemie, das die Zusammensetzung zweier Phasen nach der Phasentrennung – das Kondensat und die umgebende verdünnte Phase – mit der Zusammensetzung des Gesamtsystems in Beziehung setzt. Die zentrale Erkenntnis hinter ATRI besteht darin, dass die Kombination von Brechungsindexmessungen mit der Verbindungslinie grafisch zwei Linien ergibt, die sich an einem bestimmten Punkt treffen: dem Punkt, der die Zusammensetzung des Kondensats darstellt. Unter Verwendung des Brechungsindex und der Verbindungslinie als Eingaben generiert ATRI eine Reihe von Gleichungen, um die Konzentration mehrerer verschiedener Komponenten in einem Kondensat genau zu bestimmen und so dessen Zusammensetzung zu ermitteln. Diese Technik kann sogar bei Gemischen mit vielen verschiedenen Molekülen und selbst dann angewendet werden, wenn nur winzige Mengen verfügbar sind.

    Mit ihrem neuen Ansatz gelang es den Autoren, die Zusammensetzung komplexer Kondensate in bisher unerreichter Detailgenauigkeit aufzudecken und die Konzentrationen von fünf Molekülen zu bestimmen. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung waren keine Experimente bekannt, bei denen mehr als zwei Proteine in einem Kondensat ohne Verwendung von Fluoreszenz bestimmt werden konnten, was die Bedeutung dieser neuen Methode unterstreicht. Durch die quantitative Bestimmung der Zusammensetzung von Kondensaten lassen sich deren Verhalten und Eigenschaften mit größerer Genauigkeit als je zuvor vorhersagen, was den Weg für neue Erkenntnisse ebnet. Darüber hinaus können Forscher nun mit ATRI untersuchen, wie Kondensate auf Schwankungen in der Häufigkeit eines bestimmten Bestandteils reagieren, und so Veränderungen in der Genexpression nachahmen, die normalerweise in einer zellulären Umgebung auftreten. Solche Experimente werden dabei helfen, den Beitrag einzelner Bestandteile zum Gesamtverhalten und zur Gesamtfunktion von Kondensaten aufzudecken. Über die Grundlagenforschung hinaus hat die neue Methode zudem das Potenzial, Fortschritte in der Biomedizin voranzutreiben. Kondensate spielen bei zahlreichen Erkrankungen eine Rolle, und indem ATRI aufzeigt, wie die molekulare Zusammensetzung eines Kondensats auf vielversprechende Verbindungen reagiert, könnte es in Zukunft zur Entwicklung wirksamer Therapeutika und Behandlungen beitragen.

    Weitere Informationen:

    Forscher: Patrick M. McCall, Kyoohyun Kim, Anna Shevchenko, Martine Ruer-Gruß, Jan Peychl, Jochen Guck, Andrej Shevchenko, Anthony A. Hyman und Jan Brugués.

    Finanzierung: Diese Studie wurde von Volkswagen „Life“ unter der Fördernummer 96827 und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) im Rahmen der Exzellenzstrategie, Exzellenzcluster Physik des Lebens der TU Dresden (EXC-2068-390729961) unterstützt. Die Forscher wurden zusätzlich durch ein ELBE-Postdoktorandenstipendium des Zentrums für Systembiologie Dresden und das Biokondensat Emerging Topic am IPF unterstützt.

    Über das Exzellenzcluster Physik des Lebens (PoL):

    Physics of Life (PoL) ist eines von fünf Exzellenzclustern an der TU Dresden. Ziel von PoL ist es, die physikalischen Gesetze zu identifizieren, die der Organisation des Lebens in Molekülen, Zellen und Geweben zugrunde liegen. In dem Cluster untersuchen Wissenschaftler aus Physik, Biologie und Informatik, wie sich aktive Materie in Zellen und Geweben zu bestimmten Strukturen organisiert und Leben entstehen lässt. PoL wird von der DFG im Rahmen der Exzellenzstrategie gefördert. Es ist eine Kooperation zwischen Wissenschaftlern der TU Dresden und Forschungseinrichtungen des DRESDEN-concept-Netzwerks, wie dem Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG), dem Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme (MPI-PKS), dem Leibniz-Institut für Polymerforschung (IPF) und dem Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR).

    Medienkontakt:
    Ryan Henne
    Science Communication Officer
    Cluster of Excellence Physics of Life
    Tel.: +49 351 463-41517
    E-Mail: pr.pol@tu-dresden.de


    Originalpublikation:

    Patrick M. McCall, Kyoohyun Kim, Anna Shevchenko, Martine Ruer-Gruß, Jan Peychl, Jochen Guck, Andrej Shevchenko, Anthony A. Hyman, Jan Brugués. (2025): A label-free method for measuring the composition of multi-component biomolecular condensates. Nature Chemistry. DOI: 10.1038/s41557-025-01928-3


    Bilder

    Eine quantitative Phasenmikroskopie-Aufnahme von biomolekularen Kondensaten, die aus RNA und vier verschiedenen RNA-bindenden Proteinen rekonstituiert wurden.
    Eine quantitative Phasenmikroskopie-Aufnahme von biomolekularen Kondensaten, die aus RNA und vier ve ...
    Quelle: Patrick McCall
    Copyright: Patrick McCall


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten
    Biologie, Medizin
    überregional
    Forschungsergebnisse, Forschungsprojekte
    Deutsch


     

    Eine quantitative Phasenmikroskopie-Aufnahme von biomolekularen Kondensaten, die aus RNA und vier verschiedenen RNA-bindenden Proteinen rekonstituiert wurden.


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