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04.09.2025 10:00

DNA-Untersuchungen lösen Frage nach Einwanderung der Slawen im frühen Mittelalter

Dr. Oliver Dietrich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt - Landesmuseum für Vorgeschichte

    Beginnend mit dem 6. Jahrhundert nach Christus werden in Schriftquellen für den Raum zwischen Ostsee, Balkan, Wolga und Elbe Bevölkerungsgruppen erwähnt, die als Slawen bezeichnet werden. Die Herkunft dieser Menschen und der Modus ihrer Ausbreitung waren lange Thema kontroverser Diskussionen. Untersuchungen an alten Genomen zeigen nun, dass für Mitteldeutschland hinsichtlich der Ausbreitung der Slawen von einem Bevölkerungswechsel auszugehen ist. Ausgangspunkt der Wanderungsbewegung war das Gebiet zwischen dem südlichen Weißrussland und der zentralen Ukraine.

    Hintergrund: Die Ausbreitung der Slawen
    Beginnend mit dem 6. Jahrhundert nach Christus werden in Schriftquellen für den Raum zwischen Ostsee, Balkan, Wolga und Elbe Bevölkerungsgruppen erwähnt, die als Slawen bezeichnet werden. Eigene schriftliche Quellen haben sie nicht hinterlassen; entsprechend musste die Geschichte ihrer Ausbreitung bislang vor allem durch archäologische und linguistische Quellen erschlossen werden. Diskutiert wurde dabei insbesondere, ob hinter diesem kulturellen Wandel eine Bewegung von Menschen, also eine Einwanderung der Slawen in neue Gebiete, steht oder ob er aus kulturellen Einflüssen auf die bereits ansässige Bevölkerung resultiert.

    Genetische Hinweise auf Ursprungsgebiet und Migration
    Ein internationales Team aus Forscherinnen und Forschern aus Deutschland, Kroatien, Österreich, Polen und Tschechien, darunter auch Wissenschaftler des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt, hat im Rahmen des HistoGenes-Projektes (https://www.histogenes.org/) 550 alte Genome untersucht, um dieser Frage auf die Spur zu kommen. Ihre Ergebnisse wurden nun in der Zeitschrift Nature vorgelegt (doi: https://doi.org/10.1038/s41586-025-09437-6). Tatsächlich spricht alles für die Einwanderungshypothese. Als Ausgangsgebiet zeichnet sich die Gegend zwischen dem südlichen Weißrussland und der zentralen Ukraine ab. Diese Region hatten Archäologen aufgrund der Verbreitung der recht einheitlichen unverzierten frühslawischen Keramik, der spezifischen Grabsitten und Siedlungsmuster bereits seit längerem als mögliche Ursprungsregion ausgemacht. Auch sprachwissenschaftliche Indizien deuteten bereits lange dorthin.
    In einigen Regionen kam es ausgehend von diesem Gebiet zu einem umfangreichen Bevölkerungswechsel. Für Mitteldeutschland östlich der Elbe-Saale-Linie lässt sich nach dem Untergang des Königreichs der Thüringer in Folge der Schlacht an der Unstrut 531 gegen die Franken ein slawischer Abstammungsanteil von etwa 85 % nachweisen. Es deutet nichts auf eine gewaltsame militärische Verdrängung durch die Slawen hin. Die Region östlich von Mittelelbe und Saale etwa dürfte bei ihrer Ankunft durch die Abwanderung eines großen Teils der Langobarden Richtung Karpatenbecken teils entvölkert gewesen sein.
    Auch die Gesellschaftsstrukturen hilft die Genetik zu klären. Die neuen Gemeinschaften siedelten zunächst in unbefestigten Dörfern und waren um patrilineare Großfamilien herum organisiert. Frauen verließen die Dörfer mit der Heirat und wurden Teil der Gemeinschaft ihrer Ehemänner. In ihrem weiten Verbreitungsgebiet zeigen sich regionale Unterschiede in der Anzahl der Neuankömmlinge und Anpassungsstrategien an die regionalen Gegebenheiten. Die offenen Dörfer der Einwanderergeneration wurden östlich der Elbe aufgrund des fränkisch-sächsischen Eroberungsdrucks erst ab dem 8. Jahrhundert zunehmend zugunsten befestigter Anlagen aufgegeben; die Gesellschaft wurde kriegerischer.

    aDNA-Forschung am LDA Sachsen-Anhalt
    Die Untersuchung alter DNA eröffnet der Archäologie aktuell völlig neue Perspektiven auf historische Vorgänge. Eine besondere Rolle spielen bei zahlreichen grundlegenden aDNA-Studien der letzten Jahre Befunde aus Mitteldeutschland. Die Löss- und Schwarzerderegionen Mitteldeutschlands bieten in Kombination mit günstigen klimatischen Verhältnissen und der Verfügbarkeit wichtiger Rohstoffe seit jeher ideale Bedingungen für Ackerbauern. Entsprechend dicht fällt die prähistorische Besiedlung in zahlreichen Epochen aus. Gleichzeitig liegen vielerorts Bodenverhältnisse vor, die die Skelett- und aDNA-Erhaltung begünstigen. Das große Erkenntnispotential der neuen bioarchäologischen Methoden ist am LDA Sachsen-Anhalt bereits seit den frühen 2000er Jahren erkannt und durch den Aufbau von Kooperationen etwa mit dem Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie (MPI EVA) in Leipzig fest in das Forschungsprogramm integriert worden. Aktuell werden beispielsweise rund 600 neolithische und bronzezeitliche Proben von bedeutenden Fundorten aus Sachsen-Anhalt im Zuge des von Wolfgang Haak am MPI EVA eingeworbenen ERC Advanced Grants ROAMANCE untersucht (https://www.lda-lsa.de/presse-und-oeffentlichkeitsarbeit/presseinformationen/186...).


    Weitere Informationen:

    https://J. Gretzinger/F. Biermann/H. Mager et al., Ancient DNA connects large-scale migration with the spread of Slavs. Nature 2025: doi: https://doi.org/10.1038/s41586-025-09437-6


    Bilder

    Rekonstruktion einer slawischen Rundburg des 9.-10. Jahrhunderts. Die offenen Dörfer der Einwanderergeneration wurden östlich der Elbe aufgrund des fränkisch-sächsischen Eroberungsdrucks ab dem 8. Jahrhundert zugunsten befestigter Anlagen aufgegeben.
    Rekonstruktion einer slawischen Rundburg des 9.-10. Jahrhunderts. Die offenen Dörfer der Einwanderer ...
    Quelle: Karol Schauer
    Copyright: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt


    Merkmale dieser Pressemitteilung:
    Journalisten, Studierende, Wissenschaftler, jedermann
    Geschichte / Archäologie
    überregional
    Forschungsergebnisse
    Deutsch


     

    Rekonstruktion einer slawischen Rundburg des 9.-10. Jahrhunderts. Die offenen Dörfer der Einwanderergeneration wurden östlich der Elbe aufgrund des fränkisch-sächsischen Eroberungsdrucks ab dem 8. Jahrhundert zugunsten befestigter Anlagen aufgegeben.


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